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Coralie wand sich, verzerrte das Gesicht und schlug mit der Hand auf die gepolsterte Armlehne. Sergeant Thompson saß mit gesenktem Kopf da, die Hand über seine Notizen gelegt. Nach einem jammervollen Blick zu Alleyn wandte Mike sich ab. Anthony Gill beugte sich über sie.»Nicht«, sagte er heftig,»nicht! Um Gottes willen, so hören Sie doch auf.« Sie machte sich von ihm los, packte die Schreibtischkante und wandte sich an Alleyn, während sie nach und nach die Selbstbeherrschung wiedererlangte.

«Ich will es Ihnen erzählen. Damit Sie es verstehen. Hören Sie zu. «Ihr Mann sei unsäglich grausam gewesen, sagte sie.»Es war wie eine Art Sklaverei. «Doch als sie die Scheidung einreichte, brachte er ihnen Beweise für den Ehebruch mit Cumberland. Sie hatten angenommen, er wüsste von nichts.

«Es gab eine entsetzliche Szene. Er sagte, er würde weggehen. Er sagte, er würde uns im Auge behalten, und wenn ich noch einmal versuchen sollte, mich scheiden zu lassen, käme er wieder. Damals war er eng mit Barry befreundet. «Er hatte den ersten Entwurf eines Theaterstücks dagelassen, das er für sie und Cumberland hatte schreiben wollen. Darin gab es einen wunderbaren Auftritt für beide.»Jetzt kriegst du es nie«, hatte er gesagt, «weil es außer mir keinen Dramatiker gibt, der dieses Stück für dich schreiben könnte. «Er war zwar, wie sie sagte, ein melodramatischer Mensch, jedoch niemals lächerlich. Er kehrte in die Ukraine zurück, wo er geboren war, und sie hatten nichts mehr von ihm gehört. Schon bald würde sie ihn für tot erklären lassen können. Doch das jahrelange Warten war Canning Cumberland nicht bekommen. Ständig trank er, und in seinen schlimmsten Phasen stellte er sich vor, dass die Rückkehr ihres Mannes unmittelbar bevorstand.»Er hatte furchtbare Angst vor Ben«, sagte sie.»Er kam ihm wie ein Ungeheuer in einem Albtraum vor.« Anthony Gill sagte:»Dieses Stück — war es — ?« «Ja. Zwischen Ihrem und seinem Stück bestand eine außerordentliche Ähnlichkeit. Ich erkannte gleich, dass Bens zentrale Szene Ihr Stück enorm aufwerten würde.

Cann war dagegen, dass ich es Ihnen gebe. Barry war eingeweiht und meinte, warum nicht? Er hatte es auf Canns Rolle abgesehen und war furchtbar sauer, als er sie nicht bekam. Sie verstehen also, als er den Vorschlag machte, Sie sollten sich als Ben verkleiden und schminken

— «Sie wandte sich an Alleyn.»Verstehen Sie?« «Wie reagierte Cumberland denn, als er Sie sah?«, wollte Alleyn von Mike wissen.

«Er machte so eine seltsame Handbewegung, als ob er – nun, als erwartete er, dass ich auf ihn losgehen würde.

Dann stürzte er in sein Zimmer.« «Er dachte, Ben sei zurückgekommen«, sagte sie.

«Waren Sie nach Ihrer Ohnmacht zu irgendeinem Zeitpunkt allein?«, fragte Alleyn.

«Ich? Nein. Nein, war ich nicht. Katie brachte mich in meine Garderobe und blieb bei mir bis zu meinem Auftritt in der letzten Szene.« «Noch eine Frage. Können Sie sich vielleicht zufällig erinnern, ob mit dem Ofen in Ihrem Zimmer irgendetwas nicht in Ordnung war?« Erschöpft blickte sie ihn an.»Ja, hat irgendwie geknallt.

Da bin ich erschrocken. Ich war nervös.« «Gingen Sie direkt von ihrem Zimmer auf die Bühne?« «Ja, mit Katie. Als wir herauskamen, wollte ich noch zu Cann hinüber und versuchte es an seiner Tür. Sie war abgeschlossen. Er sagte, ›Komm nicht herein.‹ Ich sagte:

›Alles in Ordnung, es war gar nicht Ben‹, und ging auf die Bühne.« «Ich habe Miss Bourne gehört«, sagte Mike.

«In der Zwischenzeit muss er sich dazu entschlossen haben. Er war furchtbar betrunken, als er seine letzte Szene spielte. «Sie strich sich das Haar aus der Stirn.

«Darf ich jetzt gehen?«, fragte sie Alleyn.

«Ich habe ein Taxi gerufen. Mr. Gill, sehen Sie mal nach, ob es da ist? Würden Sie so lange im Foyer warten, Miss Bourne?« «Kann ich Katie mit nach Hause nehmen?« «Sicher. Thompson bringt sie her. Sollen wir sonst noch jemanden holen?« «Nein, danke. Bloß die gute alte Katie.« Alleyn hielt ihr die Tür auf und sah ihr nach, als sie ins Foyer trat.»Regeln Sie das mit der Garderobiere, Thompson«, murmelte er,»und holen Sie Mr. H. J. Bannington.« Er sah, wie Coralie Bourne sich auf die unterste Treppenstufe zum ersten Rang setzte und den Kopf an die Wand lehnte. Nicht weit von ihr auf einer vergoldeten Staffelei lächelte ein riesiges Foto von Canning Cumberland sie einnehmend an.

H.J. Bannington sah ziemlich elend aus. Er war sich mit der Hand übers Gesicht gefahren und hatte sein Make-up verschmiert. Üppige rote Lippenfarbe hatte das billige Kunsthaar befleckt, das angeklebt und zu einem Bart geformt worden war. Sein Monokel klemmte ihm noch im linken Auge, was ihm ein ungeheuer verwegenes Aussehen verlieh.»Hören Sie«, beklagte er sich,»jetzt habe ich aber genug von diesem Tamtam. Wann können wir nach Hause?« Alleyn murmelte ein paar beschwichtigende Phrasen und brachte ihn dazu, sich zu setzen. Er prüfte, wo H. J. sich nach Cumberlands Abgang von der Bühne aufgehalten hatte, und stellte fest, dass sein Bericht mit dem von Mike übereinstimmte. Als er sich erkundigte, ob H.J. vielleicht noch in einer der anderen Garderoben gewesen war, wurde ihm eisig beschieden, dass H.J. durchaus wusste, welcher Platz im Ensemble ihm zukam.»Danke der Nachfrage, aber ich bin in meinem unbeheizten, schäbigen Kabuff geblieben.« «Wissen Sie, ob Mr. Barry George dies ebenfalls getan hat?« «Keine Ahnung, alter Knabe. Bei mir war er jedenfalls nicht.« «Haben Sie vielleicht irgendwelche Theorien über diese unerquickliche Geschichte, Mr. Bannington?« «Wieso Cann es getan hat, wollen Sie damit sagen? Na ja, über Tote soll man ja nicht schlecht reden, aber ich hätte mir gedacht, es war ziemlich offensichtlich, dass er sturzbesoffen war. Voll wie eine Strandhaubitze, als wir mit dem zweiten Akt fertig waren. Fragen Sie mal den famosen Mr. Barry George. Dem hat Cann seinen großen Auftritt gründlich vermasselt und ihn ganz schön erbärmlich dastehen lassen. Künstlerisch völlig daneben, aber so war Cann nun mal, wenn er zu tief ins Glas geschaut hatte. «H.J.s böse Äuglein verengten sich.»Der große Mr. George«, sagte er,»muss sich ja inzwischen sehr unwohl fühlen in seiner Haut. Man könnte sagen, er hat einen Selbstmord auf dem Gewissen, meinen Sie nicht? Oder wissen Sie das noch nicht so genau?« «Es war kein Selbstmord.« Das Monokel plumpste H. J. aus dem Auge.»Gütiger Himmel!«, sagte er.»Gott, ich hab’s Bob Reynolds aber gesagt! Ich habe ihm gesagt, die ganze Anlage muss auf Vordermann gebracht werden.« «Die Gasheizung, meinen Sie?« «Sicher. Ich war vor Jahren selbst in der Gasbranche tätig. In gewissem Sinn könnte man sogar sagen, ich bin es immer noch, ha, ha!« «Ha, ha!«, pflichtete Alleyn ihm höflich bei. Er beugte sich vor.

«Einen Gasmann können wir heute Abend nicht mehr auftreiben, aber es kann durchaus sein, dass wir den Rat eines Experten brauchen. Sie können uns helfen.« «Hm, alter Knabe, ich hatte mich eigentlich auf ein hübsches Nickerchen gefreut. Aber natürlich — « «Ich werde Sie nicht lange aufhalten.« «Gott, das will ich hoffen!«, versetzte H. J. ernsthaft.

Barry George war für den letzten Akt blass geschminkt worden. Farblose Lippen sowie Schatten unter Wangenknochen und Augen hatten seine Rolle als heimgekehrter, jedoch seelisch gebrochener Kriegsgefangener wirkungsvoll unterstrichen. Nun, im grellen Schein der Bürolampe, sah er wie eine stark übertriebene Trauergestalt aus. Er begann Alleyn sofort zu beteuern, wie untröstlich und entsetzt er doch sei. Zwar, meinte er, habe jeder seine Fehler, da habe der arme alte Cann keine Ausnahme gemacht, aber sei es denn nicht schrecklich, sich vorzustellen, was aus einem Menschen werden konnte, der sich gehen ließ? Er, Barry George, sei nun mal ungewöhnlich empfindsam und glaube nicht, den furchtbaren Schock jemals recht verwinden zu können, den dies für ihn darstellte. Was, so frage er sich, könnte dem zugrunde liegen? Warum hatte der arme alte Cann beschlossen, mit allem Schluss zu machen?