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Liebe Grüße von uns allen, Jerry. « «Komisch«, bemerkte Mr. Allison.

«Klingt gar nicht nach Jerry«, sagte Mrs. Allison leise.

«Er hat nie so was geschrieben wie …«Sie hielt inne.

«Wie was?«, wollte Mr. Allison wissen.»Was hat er nie geschrieben?« Mrs. Allison drehte den Brief unschlüssig hin und her.

Es war unmöglich, einen Satz, ja selbst ein Wort zu finden, das sich nicht nach Jerrys üblichen Briefen anhörte. Vielleicht lag es nur daran, dass der Brief so spät kam oder an der ungewöhnlichen Anzahl von schmutzigen Fingerabdrücken auf dem Umschlag.

«Ach, ich weiß nicht«, sagte sie ungehalten.

«Ich versuche noch mal dort anzurufen«, sagte Mr. Allison.

Mrs. Allison las den Brief noch zweimal durch auf der Suche nach einem Satz, der sich falsch anhörte. Dann kam Mr. Allison zurück und sagte tonlos:»Die Leitung ist tot.« «Was?«Erschrocken ließ Mrs. Allison den Brief fallen.

«Die Leitung ist tot«, sagte Mr. Allison.

Der Rest des Tages ging rasch vorüber. Nach einem Mittagessen, bestehend aus Crackern und Milch, setzten sich die Allisons draußen auf den Rasen, doch wurde ihr Nachmittag durch die sich allmählich zusammenballenden Gewitterwolken verkürzt, die über den See zum Haus heraufzogen, so dass es um vier Uhr bereits so dunkel wie sonst erst abends war. In gleichsam liebender Vorahnung jenes Augenblicks, in dem es über das Sommerhaus hereinbrechen würde, verzögerte sich das Gewitter allerdings, und gelegentlich blitzte es, regnete aber nicht.

Abends schalteten Mr. und Mrs. Allison, in ihrem Haus dicht aneinander geschmiegt, das batteriebetriebene Radio an, das sie aus New York mitgebracht hatten. Drinnen brannten keine Lampen, die einzige Beleuchtung stammte vom Blitz draußen und der kleinen, quadratischen Skalenbeleuchtung am Radioapparat.

Das Sommerhaus war leicht gebaut und konnte den Stadtgeräuschen, der Musik und den Stimmen aus dem Radio nicht standhalten, und die Allisons konnten sie weit draußen über den See hallen hören: die Saxophone der New Yorker Tanzkapelle, die über das Wasser heulten, die flache Stimme der jungen Sängerin, die unwiederbringlich in die saubere Landluft entschwand. Selbst der Ansager, der mit glühenden Worten die Vorzüge von Rasierklingen pries, war nicht mehr als eine unmenschliche Stimme, die aus dem Haus der Allisons tönte und als Echo wiederkam, als schickten der See, die Hügel und die Bäume sie unerwünscht zurück.

Während einer Pause zwischen den Werbesendungen drehte sich Mrs. Allison um und lächelte ihren Mann kläglich an.»Ich frage mich, ob wir vielleicht etwas … tun sollen«, sagte sie.

«Nein«, erwiderte Mr. Allison bedächtig.»Das glaube ich nicht. Bloß abwarten.« Mrs. Allison hielt kurz den Atem an, als Mr. Allison sagte, während die banale Melodie der Tanzkapelle wieder einsetzte:»An dem Wagen hat sich jemand zu schaffen gemacht, weißt du. Das habe sogar ich gemerkt.« Mrs. Allison zögerte erst und sagte dann ganz leise:»Ich nehme an, jemand hat die Telefonkabel zerschnitten.« «Denke ich mir«, sagte Mr. Allison.

Nach einer Weile endete die Tanzmusik, und sie lauschten gespannt einer Nachrichtensendung, bei der die voll tönende Stimme des Ansagers ihnen atemlos von einer Hochzeit in Hollywood, dem neuesten Stand beim Baseball und dem geschätzten Anstieg der Lebensmittelpreise während der kommenden Woche erzählte. Er sprach zu ihnen im Sommerhaus ganz so, als verdienten sie es noch, Nachrichten aus einer Welt zu hören, die sie nicht mehr erreichte, außer durch die defekten Batterien des Radios, die allmählich schwächer wurden, fast als wären die beiden noch, und sei der Faden noch so dünn, mit dem Rest der Welt verbunden.

Mrs. Allison sah zum Fenster auf die glatte Oberfläche des Sees hinaus, auf die schwarz dräuenden Bäume und den wartenden Sturm und sagte im Plauderton:»Mir ist schon wohler wegen dem Brief von Jerry.« «Ich wusste es, als ich gestern Abend das Licht bei den Halls unten sah«, sagte Mr. Allison.

Der Wind, der plötzlich über dem See aufkam, fegte um das Sommerhaus herum und schlug heftig gegen die Fensterscheiben. Unwillkürlich rückten Mr. und Mrs.

Allison näher zusammen, und beim ersten Donnerschlag ergriff Mr. Allison die Hand seiner Frau.

Und während es draußen blitzte und das Radio knackte und schwächer wurde, kauerten die beiden alten Leute sich in ihrem Sommerhaus zusammen und warteten.

St.-Patrickstag

von CHARLOTTE ARMSTRONG

Charlotte Armstrong (1905-69) zählt zu jenen glänzenden Schriftstellerinnen, die die revisionistische Behauptung der Geschichte Lügen strafen, amerikanische Kriminalautorinnen der fünfziger und sechziger Jahre seien die unterdrückten, nicht genügend gewürdigten Opfer hart gesottener männlicher Dominanz. Die Mystery Writers of America verliehen ihr den» Edgar «für A Dram of Poison (1956; dt. Ein Schluck Gift) — und ihre beiden 1967 erschienen Titel The Gift Shop und Lemon in the Basket standen im selben Jahr auf der Auswahlliste für den besten Roman. Auf dem Höhepunkt ihres Ruhmes wurde sie in Sachen pure Spannung nicht einmal von Cornell Woolrich übertroffen.

Nach einigen erfolglosen (obgleich in New York uraufgeführten) Theaterstücken und drei relativ konventionellen Detektivromanen mit einer Hauptfigur namens MacDougall Duff machte die in Michigan geborene Charlotte Armstrong mit The Unsuspected (1946) Furore, einem Roman, der unter Anhängern wie Kritikern eine lebhafte Kontroverse entfachte. Howard Haycraft, der traditionsverhaftete Verfasser des Standardwerks Murder for Pleasure (1941), lobte die Stärken des Romans, behauptete jedoch, er wäre noch besser gewesen, wenn Armstrong in klassischer «Krimimanier «die Identität des Bösewichts erst am Ende gelüftet hätte, statt den Leser in das Geheimnis einzuweihen. 1947 wurde der Roman nach einem Drehbuch Armstrongs verfilmt, dann folgten The Chocolate Cobweb (1948), Mischief (1950; dt. Der Babysitter), The Black-Eyed Stranger (1951) sowie zahlreiche weitere Romane bis zum posthum veröffentlichten The Protegé (1970).

Armstrong beherrschte ihr Metier sowohl im Kurzgeschichtengenre wie auch beim Roman. Die Erzählung» St.-Patrickstag «veranschaulicht sowohl ihre Fähigkeit, Spannung zu erzeugen, als auch ihr starkes Gespür für gegenseitige Abhängigkeit und Verantwortung — samt allen Problemen, die sich daraus ergeben. Die Affinität der Autorin zu Woolrich zeigt sich in der ungewöhnlichen Abwandlung einer seiner Lieblingssituationen (die Dame verschwindet), und ebenso deutlich wird ihre Neigung zum Theater — Hauptfigur ist ein Bühnenschriftsteller, und man kann sich die Geschichte auch gut als Theaterstück vorstellen.

Ganz behutsam, mit fast ehrfürchtigem Genuss, sortierte er alle Papiere in die richtige Reihenfolge. Ein Exemplar des Manuskripts steckte er in einen Umschlag und schrieb die Adresse darauf. Die anderen legte er in einen leeren Koffer. Dann rief er bei einer Fluggesellschaft an und hatte Glück. Einen Platz nach New York und zwar morgens. Morgens? An welchem Morgen? Am St.-Patrickstag in der Frühe.

Er war der Welt entrückt gewesen. Jetzt aber reckte er sich, atmete durch, blinzelte und streckte die Fühler nach dem aus, was man gemeinhin die Realität nennt.

Also, mal ganz von vorn: Er hieß Mitchel Brown, war Bühnenautor (so Gott wollte) und hatte das

Überarbeitungsprojekt abgeschlossen, dessentwegen er nach Los Angeles gekommen war. Juhuu! Fertig!

Es war Viertel nach ein Uhr morgens, und deshalb bereits der siebzehnte März. Ort der Handlung war seine Wohnung im Erdgeschoss, und die sah schlimm aus: verraucht, schmutzig, unordentlich … Ach ja, andere Dinge hatten Vorrang gehabt. Sein Rücken schmerzte, seine Augen brannten, ihm schwindelte. Er würde sauber machen müssen, essen, schlafen, baden, sich rasieren, sich anziehen und packen. Aber zuerst …