«Solche Tücher werden furchtbar schnell dreckig. Und Männerhände sind auch nicht immer besonders sauber.« «Aha, solidarisch mit Ihren Geschlechtsgenossinnen, ich verstehe!«, lachte er. Dann hielt er inne und musterte sie aufmerksam.
«Sie und Mrs. Wright waren doch Nachbarinnen. Dann waren Sie ja wohl auch befreundet, nehme ich an.« Martha Hale schüttelte den Kopf.
«Ich hab sie in den letzten Jahren selten gesehen. In diesem Haus war ich — schon über ein Jahr nicht mehr.« «Wie das? Konnten Sie sie nicht leiden?« «Ich konnte sie recht gut leiden«, gab sie energisch zurück.»Farmerfrauen haben alle Hände voll zu tun, Mr. Henderson. Außerdem — «Sie blickte in der Küche umher.
«Ja?«, fragte er aufmunternd.
«Ich fand es hier nie besonders anheimelnd«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihm.
«Nein«, pflichtete er ihr bei.»Anheimelnd kann man es bestimmt nicht nennen. Ich würde sagen, ihr fehlt’s ein bisschen am Nestbauinstinkt.« «Na, Wright aber auch, würde ich sagen«, murmelte sie.
«Wollen Sie damit andeuten, sie vertrugen sich nicht besonders gut miteinander?«, beeilte er sich zu fragen.
«Nein, damit will ich überhaupt nichts andeuten«, entgegnete sie nachdrücklich. Etwas von ihm abgewandt, fügte sie hinzu:»Ich glaub aber nicht, dass John Wrights Gegenwart dazu angetan war, ein Haus heimeliger zu machen.« «Darüber möchte ich mit Ihnen später reden, Mrs. Hale«, sagte er.»Jetzt will ich unbedingt das obere Stockwerk in Augenschein nehmen.« Er ging auf die Tür zur Treppe zu, gefolgt von den beiden Männern.
«Ich nehme an, was Mrs. Peters macht, ist in Ordnung?«, erkundigte sich der Sheriff.»Sie soll ihr nämlich ein paar Kleider mitbringen — und ein paar andere Kleinigkeiten.
Wir mussten gestern so überstürzt weg.« Der Bezirksstaatsanwalt betrachtete die beiden Frauen, die sie nun inmitten des Küchenkrams allein ließen.
«Ja — Mrs. Peters«, sagte er, und sein Blick verweilte auf der Frau, die nicht Mrs. Peters war, auf der grobknochigen Farmerfrau, die hinter der Frau des Sheriffs stand.
«Mrs. Peters ist natürlich eine von uns«, sagte er in einem Ton, der ihr Verantwortung auferlegte.»Und, Mrs. Peters, haben Sie doch auch ein Auge auf alles, was uns eventuell nützlich sein könnte. Man kann nie wissen, ihr Frauen entdeckt vielleicht einen Hinweis auf das Tatmotiv — und das ist genau das, was wir brauchen.« Mr. Hale rieb sich das Gesicht wie ein Alleinunterhalter, der gleich einen Witz machen will.
«Würden die Frauen denn einen Hinweis erkennen, wenn sie darauf stoßen?«, fragte er, bevor er den anderen durch die Tür zur Treppe folgte.
Die Frauen blieben reglos und schweigend stehen und lauschten den Schritten, erst auf der Treppe, dann im Zimmer über ihnen.
Und dann, als wollte sie sich von etwas Fremdem befreien, begann Mrs. Hale die schmutzigen Töpfe unter dem Spülbecken wieder ordentlich hinzustellen, die der verächtliche Fußtritt des Staatsanwalts durcheinander gebracht hatte.
«Ich könnte es nicht ausstehen, wenn Männer in meine Küche kommen«, sagte sie gereizt,»und rumschnüffeln und meckern.« «Sie tun natürlich nur ihre Pflicht«, sagte die Frau des Sheriffs in scheuer Ergebenheit.
«Pflicht ist ja schön und gut«, erwiderte Mrs. Hale schroff,»aber ich finde, der Hilfssheriff, der hier war, um das Feuer zu machen, hätte ruhig ein bisschen aufräumen können. «Sie zog an dem Rollhandtuch.»Wenn mir das bloß früher eingefallen wäre! Ist doch gemein, so über sie zu reden, weil sie hier nicht alles blank geputzt hatte, wo sie doch so überstürzt weg musste.« Sie blickte in der Küche umher.»Blank geputzt «war sie bestimmt nicht. Ihr Blick fiel auf ein Eimerchen mit Zucker in einem der unteren Regale. Von dem Holzeimer war der Deckel abgenommen, und daneben lag eine Papiertüte — halb voll.
Mrs. Hale ging darauf zu.
«Sie wollte das hier einfüllen«, sagte sie nachdenklich bei sich.
Das Mehl zu Hause in ihrer eigenen Küche fiel ihr ein – halb gesiebt, halb nicht gesiebt. Sie war unterbrochen worden und hatte die halb fertige Arbeit liegen lassen.
Wovon war Minnie Foster unterbrochen worden? Warum war diese Arbeit bloß halb fertig gemacht? Sie wollte sie gerade zu Ende bringen — unfertige Dinge störten sie immer —, als sie plötzlich bemerkte, dass Mrs. Peters sie beobachtete — und sie wollte nicht, dass Mrs. Peters denselben Eindruck gewann wie sie, von einer Arbeit, die angefangen und dann — aus irgendeinem Grund — nicht beendet worden war.
«Das mit ihrem Obst ist ein Jammer«, sagte sie und ging auf den Küchenschrank zu, den der Bezirksstaatsanwalt geöffnet hatte, stieg auf den Stuhl und murmelte:»Ob wohl alles hin ist?« Es war ein ziemlich trauriger Anblick.»Hier ist noch ein Glas in Ordnung«, sagte sie schließlich. Sie hielt es gegen das Licht.»Es sind Kirschen. «Sie sah noch einmal hin.
«Ich glaube fast, es ist das Einzige.« Mit einem Seufzer stieg sie vom Stuhl und trat ans Spülbecken, um das Glas abzuwischen.
«Das wird ihr arg sein, nach der ganzen harten Arbeit bei dem heißen Wetter. Ich erinnere mich noch gut an den Nachmittag im letzten Sommer, als ich meine Kirschen eingemacht habe.« Sie stellte das Glas auf den Tisch und wollte sich mit einem weiteren Seufzer im Schaukelstuhl niederlassen.
Doch dann setzte sie sich doch nicht hin. Etwas hielt sie davon ab, sich auf jenen Stuhl zu setzen. Sie richtete sich auf — trat zurück und betrachtete ihn halb abgewandt, während sie sich die Frau vorstellte, die dort gesessen und «an ihrer Schürze rumgefaltet «hatte.
Die Frau des Sheriffs platzte mit ihrer dünnen Stimme in ihre Gedanken:»Ich muss ja noch die Sachen aus dem Schrank im Wohnzimmer holen. «Sie öffnete die Tür zum Nebenzimmer, wollte schon hineinstürzen und wich zurück.»Sie kommen doch mit, Mrs. Hale?«, fragte sie nervös.»Sie — Sie könnten mir dabei helfen.« Sie waren gleich wieder da — in der strengen Kälte des selten genutzten Raumes hielt man sich nicht gern auf.
«Meine Güte!«, sagte Mrs. Peters, indem sie die Sachen auf den Tisch fallen ließ und zum Herd hinübereilte.
Mrs. Hale stand da und begutachtete die Kleider, die die Frau, die sie in der Stadt festgesetzt hatten, verlangt hatte.
«Wright war ganz schön knauserig!«, rief sie aus und hielt einen schäbigen schwarzen Rock hoch, der Spuren von häufigem Ausbessern zeigte.»Vielleicht hat sie deswegen so zurückgezogen gelebt. Kann doch sein, dass sie das Gefühl hatte, sie könnte nicht recht mithalten. Es ist schließlich kein Spaß, wenn man so schäbig daherkommt. Früher hat sie hübsche Kleider getragen und war fröhlich — als sie noch Minnie Foster war, eins von den Mädels in der Stadt, und im Chor gesungen hat. Aber das — ach, das ist schon zwanzig Jahre her.« Mit einer Behutsamkeit, die auch etwas Liebevolles an sich hatte, faltete sie die schäbigen Kleider zusammen und stapelte sie an einer Ecke des Tisches aufeinander. Sie sah zu Mrs. Peters hinüber. Im Blick der anderen lag etwas, was sie irritierte.
Es ist ihr egal, sagte sie bei sich. Ihr ist es doch gleich, ob Minnie Foster als junges Mädchen hübsche Kleider hatte.
Dann sah sie wieder hin und war sich nicht mehr so sicher; sie war sich eigentlich nie recht sicher gewesen, was Mrs. Peters anging. Die gab sich so unscheinbar und hatte dabei einen Blick, als könnte sie ganz tief in die Dinge hineinsehen.
«Ist das alles, was Sie ihr mitbringen sollen?«, fragte Mrs. Hale.
«Nein«, sagte die Frau des Sheriffs,»sie sagte, sie wolle eine Schürze. Komisch«, bemerkte sie auf ihre nervöse leise Art,»im Gefängnis kann man sich doch eigentlich nicht schmutzig machen, weiß der Himmel. Aber sie will sich vielleicht einfach normaler fühlen. Wenn man dran gewöhnt ist, eine Schürze zu tragen … Sie hat gesagt, sie sind hier im Schrank in der untersten Schublade. Ach, da sind sie ja. Und dann noch ihr kleines Umschlagtuch, das immer an der Treppentür hängt.« Sie holte das kleine graue Umschlagtuch hinter der Tür hervor, die nach oben führte, und betrachtete es eine Weile.