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Ein Stück der wirren Näharbeit blieb unaufgetrennt. Da Mrs. Peters ihr den Rücken zuwandte, begutachtete Martha Hale das Stück nun eingehend und verglich es mit der fein säuberlichen Arbeit an den anderen Quiltblöcken.

Der Unterschied war verblüffend. Wie sie den Block so in der Hand hielt, überkam sie ein merkwürdiges Gefühl, so als teilten sich ihr die zerstreuten Gedanken der Frau mit, die sich der Arbeit vielleicht zugewandt hatte, um Ruhe zu finden.

Mrs. Peters’ Stimme rüttelte sie auf.

«Hier ist ein Vogelkäfig«, sagte sie.»Hatte sie denn ein Vögelchen, Mrs. Hale?« «Hm, keine Ahnung, ob sie eins hatte oder nicht. «Sie sah den Käfig an, den Mrs. Peters hochhielt.»Ich war schon so lang nicht mehr hier. «Sie seufzte.»Letztes Jahr war mal einer da und hat billige Kanarienvögel verkauft – ich weiß aber nicht, ob sie einen genommen hat.

Vielleicht. Sie hat früher selber sehr hübsch gesungen.« Mrs. Peters blickte in der Küche umher.

«Einen Vogel kann man sich hier eigentlich nicht recht vorstellen. «Sie lachte ein wenig — als versuchte sie etwas abzuwehren.

«Aber sie muss ja einen gehabt haben — wieso hätte sie sonst einen Käfig? Ich möchte wissen, was aus dem geworden ist.« «Vielleicht hat ihn die Katze erwischt«, warf Mrs. Hale ein und nahm ihre Näharbeit wieder auf.

«Nein, sie hatte keine Katze. Sie war so, wie manche Leute bei Katzen sind — sie hatte Angst vor ihnen. Als sie sie gestern zu uns nach Hause brachten und meine Katze ins Zimmer kam, hat sie sich schrecklich aufgeregt und mich gebeten, sie rauszuschaffen.« «So war meine Schwester Bessie auch«, lachte Mrs. Hale.

Die Frau des Sheriffs gab keine Antwort. Auf ihr Schweigen drehte Mrs. Hale sich um. Mrs. Peters war dabei, den Vogelkäfig eingehend zu untersuchen.

«Sehen Sie sich mal dieses Türchen an«, sagte sie bedächtig.»Es ist kaputt. Da ist eine Angel abgerissen.« Mrs. Hale kam näher.

«Sieht so aus, als hätte jemand es — mit Gewalt getan.« Wieder trafen sich ihre Blicke — erschrocken, fragend, ängstlich. Einen Augenblick lang verharrten sie reglos.

Keine sagte etwas. Dann wandte Mrs. Hale sich ab und sagte brüsk:»Wenn die irgendwelche Beweismittel finden wollen, sollen sie sich jetzt mal ranhalten. Mir gefällt’s hier nicht.« «Ich bin furchtbar froh, dass Sie mitgekommen sind, Mrs. Hale. «Mrs. Peters stellte den Vogelkäfig auf den Tisch und setzte sich.»Ich käme mir einsam vor — so ganz allein hier zu sitzen.« «Ja, nicht?«, stimmte Mrs. Hale ihr in entschlossen natürlichem Ton zu. Sie nahm die Näharbeit zur Hand, ließ sie nun aber in den Schoß sinken und murmelte in verändertem Tonfalclass="underline" »Aber wissen Sie was, Mrs. Peters?

Ich hätte doch mal herkommen sollen, als sie noch hier war. Ach, hätte ich es doch getan!« «Aber Sie waren doch so schrecklich eingespannt, Mrs. Hale. Ihr Haus — Ihre Kinder.« «Ich hätte schon kommen können«, gab Mrs. Hale knapp zurück.»Ich bin weggeblieben, weil es hier so freudlos war — und gerade darum hätte ich kommen sollen. Ich« – sie blickte umher —»ich habe dieses Haus noch nie leiden können. Vielleicht weil es in einer Mulde liegt und man die Straße nicht sehen kann. Ich weiß nicht, was es ist, aber es ist so einsam und abgelegen, immer schon. Ach, wär ich doch gekommen und hätte Minnie Foster mal besucht. Jetzt verstehe ich auch — «Sie sprach es nicht aus.

«Sie sollten sich keine Vorwürfe machen«, redete Mrs. Peters ihr gut zu.»Wir begreifen nicht, wie es um andere Leute steht, bis — etwas passiert.« «Ohne Kinder hat man zwar weniger Arbeit«, sinnierte Mrs. Hale nach kurzem Schweigen,»aber es ist so still im Haus — und Wright war ja den ganzen Tag draußen bei der Arbeit —, und wenn er da war, auch keine richtige Gesellschaft. Kannten Sie John Wright eigentlich, Mrs. Peters?« «Nicht so richtig. Ich hab ihn öfter in der Stadt gesehen.

Er war ein braver Mann, heißt es.« «Ja — brav«, räumte John Wrights Nachbarin grimmig ein.»Er hat nicht getrunken, hat zu seinem Wort gestanden wie wohl jeder andere auch und hat seine Schulden gezahlt. Aber er war ein harter, schroffer Mensch, Mrs. Peters. Nur mit ihm zu plaudern — «Sie hielt inne und erschauderte leicht.»Wie ein rauer Wind, der einem in die Knochen fährt. «Ihr Blick fiel auf den Käfig vor ihr auf dem Tisch, und sie fügte fast bitter hinzu:»Ich kann mir schon vorstellen, dass sie sich ein Vögelchen gewünscht hat!« Plötzlich beugte sie sich vor und betrachtete den Käfig interessiert.»Was glauben Sie, was mit ihm passiert sein könnte?« «Keine Ahnung«, entgegnete Mrs. Peters.»Vielleicht ist es krank geworden und eingegangen.« Doch nachdem sie das gesagt hatte, reichte sie über den Tisch und klappte das kaputte Türchen auf und zu. Beide Frauen starrten wie gebannt darauf.

«Sie kannten — sie also nicht?«, fragte Mrs. Hale, einen etwas freundlicheren Ton anschlagend.

«Nicht, bis sie sie gestern gebracht haben«, sagte die Frau des Sheriffs.

«Sie — wenn ich’s recht überlege, war sie selber so ein bisschen wie ein Vogel. Wirklich lieb und hübsch, aber ziemlich scheu und — flatterig. Wie — hat — sie — sich – doch — verändert!« Dem Gedanken hing sie lange nach. Dann, als wäre ihr gerade etwas Erfreuliches eingefallen, erleichtert, wieder von etwas Alltäglichem sprechen zu können, rief sie aus:

«Wissen Sie was, Mrs. Peters, bringen Sie ihr doch den Quilt mit! Das bringt sie vielleicht auf andere Gedanken.« «Ach, das finde ich aber eine schöne Idee, Mrs. Hale«, stimmte die Frau des Sheriffs zu, als wäre sie ebenfalls froh, dass es jetzt nur darum ging, jemandem etwas Gutes zu tun.»Dagegen kann doch niemand was haben, oder?

Also, was nehme ich denn mit? Ob ihre Stoffstreifen vielleicht hier drin sind — und ihr Nähzeug?« Sie wandten sich dem Nähkorb zu.

«Hier ist etwas Rotes«, sagte Mrs. Hale und brachte eine Stoffrolle zum Vorschein. Darunter befand sich eine Schachtel.»Hier, vielleicht ist hier ihre Schere drin — und ihr Nähzeug. «Sie hielt die Schachtel hoch.»Was für eine hübsche Schachtel! Die hat sie bestimmt schon sehr lange — seit sie ein Mädchen war.« Sie behielt sie ein Weilchen in der Hand, dann öffnete sie sie mit einem leisen Seufzer.

Unwillkürlich fuhr sie sich mit der Hand an die Nase.

«Ach je — !« Mrs. Peters kam näher — und wandte sich gleich ab.

«Da ist was in das Seidenfetzchen eingewickelt«, stammelte Mrs. Hale.

«Es ist aber nicht ihre Schere«, sagte Mrs. Peters mit ersterbender Stimme.

In der zitternden Hand hielt Mrs. Hale das seidene Stoffstückchen hoch.»O, Mrs. Peters!«, rief sie aus.»Es ist — « Mrs. Peters beugte sich vor.

«Es ist der Vogel«, flüsterte sie.

«Aber, Mrs. Peters!«, rief Mrs. Hale.» Sehen Sie doch!

Sein Hals — sehen Sie doch seinen Hals! Der ist ganz – verdreht.« Sie hielt die Schachtel von sich weg.

Die Frau des Sheriffs beugte sich noch näher.

«Jemand hat ihm den Hals umgedreht«, sagte sie mit gedehnter, tiefer Stimme.

Und da trafen sich die Blicke der beiden Frauen erneut – diesmal mit einem Ausdruck ahnungsvoller Erkenntnis, in wachsendem Entsetzen aneinander geklammert.

Mrs. Peters Blick wanderte von dem toten Vogel zum kaputten Käfigtürchen hinüber. Wieder sahen sie einander an. Und in diesem Moment war an der Außentür ein Geräusch zu hören.

Schnell schob Mrs. Hale die Schachtel in den Korb unter die Quiltflicken und ließ sich auf den Stuhl davor sinken.

Mrs. Peters blieb aufrecht stehen und hielt sich am Tisch fest. Der Bezirksstaatsanwalt und der Sheriff kamen von draußen herein.

«Nun, meine Damen«, sagte der Anwalt in einem Ton, als wollte er sich von den ernsthaften Dingen des Lebens nun dem scherzhaften Geplänkel zuwenden,»haben Sie sich jetzt darüber geeinigt, ob sie es zusammennähen oder verknoten wollte?« «Wir glauben«, begann die Frau des Sheriffs aufgeregt, «dass sie — Knoten knüpfen wollte.« Er war so beschäftigt, dass er nicht bemerkte, wie sich ihre Stimme am Ende veränderte.