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Der Regen hatte mittlerweile etwas nachgelassen, so daß man wieder in eine größere Entfernung sehen konnte. Der Bauer und seine Knechte erblickten den Schornstein des Schiffs, welcher schief aus den Fluten ragte. Am Ufer war kein Mensch zu sehen. Das Floß war zerrissen worden und verschwunden; es gab nichts zu retten.

Müller forderte die Leute auf, mit ihm stromabwärts zu gehen, und da fanden sie nach einiger Zeit eine sehr sichtbare Fährte im hohen Grase des Ufers. Hier mußte Fritz das Wasser verlassen haben.

„Vielleicht hat der Mann, den Sie suchen, unsere Wächterhütte gefunden“, bemerkte der Bauer.

„Wo ist diese?“

„Dort hinter jenem Erlengebüsch.“

Sie schritten darauf zu, hinter den Büschen erblickten sie eine sehr primitiv aus ausgeackerten Feldsteinen errichtete Hütte. Die Türöffnung derselben war ohne Verschluß, und die einzige Fensternische war mit Stroh verstopft. Als sie sich näherten, trat ein Mann hervor, es war wirklich Fritz, der Diener.

„Wo ist die Dame?“ fragte Müller.

Fritz deutete nach innen und antwortete:

„Da auf dem Stroh. Sie ist noch immer ohne Bewußtsein.“

„Hat sie vielleicht zuviel Wasser schlucken müssen?“

„Nicht halb soviel als ich. Übrigens dürfen Sie ohne Sorge sein; es ist jemand bei ihr, der es versteht, zu beurteilen, ob sie halb ertrunken ist oder ganz.“

„Ach, vielleicht Doktor Bertrand?“

„Allerdings. Er stand bereits am Ufer, als ich ankam. Wir fanden dann miteinander diesen Palast, in welchem wir uns bis jetzt ganz wohl befunden haben.“

Als Müller eintrat, kniete der Arzt bei der Dame. Er erhob sich sofort und sagte:

„Ach, Herr Doktor Müller! Ich muß sie um Verzeihung bitten, daß ich so ohne allen Abschied vom Schiff ging. Aber ich wußte die Damen unter der besten Aufsicht und hatte vor allem die Pflicht, mich als Arzt zunächst zu retten, um dann zu Diensten sein zu können. Diese Dame ist nur infolge des Schreckens ohnmächtig. Es wird nichts für sie zu fürchten sein, wenn wir sie nur so bald als möglich aus den nassen Kleidern und in einen guten Schweiß zu bringen vermögen.“

„Es ist ein Meierhof in der Nähe“, antwortete Müller. „Ich werde sie hinbringen, die Baronesse ist auch bereits dort.“

Er nahm das Mädchen auf die Arme und schritt den anderen voran, dem Bauerngut zu, wo der Arzt sich sofort zu der Baronesse begab, während die Frauen einstweilen für Nanon sorgten.

Marion war wieder zu sich gekommen und sehr erstaunt darüber, daß eine männliche Person es wagte, zu ihr zu kommen. Bertrand entschuldigte sich:

„Gnädiges Fräulein, ich bin Arzt und halte es für meine Pflicht, Ihnen meine Aufwartung zu machen, da sich keine andere wissenschaftliche Hilfe in der Nähe befindet.“

Diese Worte versöhnten sie sofort.

„Ach, Sie sind Arzt, mein Herr“, meinte sie. „Wo befinde ich mich?“

„Auf einem Meierhof in der Nähe der Unglücksstelle.“

„Wer hat mich hierher gebracht? Ist mein – Retter am Leben?“

„Er befindet sich wohl und hat Sie nicht nur aus den Fluten gerettet, sondern auch hierher getragen.“

„Wer ist dieser Mann?“

„Es ist ein Doktor der Philosophie, namens Müller.“

„Also ein Deutscher?“

„Ja. Glauben Sie, daß dieser Umstand geeignet ist, den Wert seiner Tat zu vermindern?“

„Oh, nicht im geringsten. Ich bin zwar Französin, aber keineswegs eine Deutschenhasserin aus Passion.“

„Das wird Herr de Sainte-Marie nur sehr ungern bemerken!“ lächelte Bertrand.

„Wie? Sie kennen meinen Vater?“

„Ich habe die Ehre, ihn sogar sehr genau zu kennen. Während der Zeit Ihrer längeren Abwesenheit habe ich mich in Thionville etabliert und bin so glücklich gewesen, der Hausarzt Ihres Herrn Vaters und Großvaters zu werden.“

„Und wie kommt es, daß Sie mich kennen?“

„Ich war Passagier desselben Schiffs, auf welchem Sie in Todesgefahr schwebten. Ich hörte da Ihren Namen nennen. Wie Sie an meinem Anzug sehen werden, habe ich mich durch Schwimmen gerettet. Wie befinden Sie sich, mein gnädiges Fräulein?“

„Ich bin bereits in wohltätigem Schweiß und hoffe, ohne ferneren Schaden davongekommen zu sein. Wie aber geht es meinem Retter?“

„Oh, der ist eine starke, sehr widerstandsfähige Natur, wie es scheint. Er wird die Kleider wechseln, um sie zu trocknen; das ist alles. Für Sie aber und die andere Dame –“

„Ah, Nanon!“ unterbrach sie ihn: „An die Gute habe ich eben gedacht, ehe Sie eintraten. Ist auch sie gerettet worden?“

„Ja, mein Kräutersammler hat sie nach dem Ufer gebracht. Sie befindet sich in einem anderen Zimmer dieses Hauses, und ich hoffe, daß sie ebenso schnell wieder wohl sein wird wie Sie. Ich werde in die Apotheke des nächsten Dorfes schicken, um einige Medikamente kommen zu lassen, und bin überzeugt, daß Sie morgen früh Ihre Reise fortsetzen können.“

„Aber um Gottes willen nicht wieder mit dem Dampfer! Ich werde mir einen Wagen besorgen, der mich über Hetzerath und Schweich nach Trier bringen soll, von wo aus ich dann die Bahn benutzen werde.“

Unterdessen hatten Müller und Fritz sich ihrer nassen Kleider entledigt und sich von den Bewohnern des Hofes andere geliehen. Der Regen hatte jetzt vollständig aufgehört; die Wolken waren verschwunden, und am Himmel erglänzte die helle Sonne, um mit ihren liebevollen Strahlen die vom Unwetter erkältete Erde zu erwärmen. Müller trat vor das Tor und sah einige Männer auf das Gut zukommen. Er erkannte bereits von weitem den Oberst Rallion und dessen Freunde. Er trat wieder in den Hof zurück, um ihnen nicht sogleich wieder als Zielscheibe ihrer schlechten Witze zu dienen. Sie kamen heran und trafen als ersten den Arzt, welcher aus der Tür getreten war, um nach dem Wetter zu sehen.

„Heda, guter Freund“, rief ihm der Oberst zu, der ihn zunächst für einen Bauern hielt, „wißt Ihr bereits von dem Unglück, welches dort auf dem Fluß geschehen ist?“

„Ich denke, sehr wohl“, antwortete Bertrand lächelnd.

Rallion betrachtete ihn genauer und sagte dann:

„Alle Teufel, Sie waren ja mit dabei, wenn ich nicht irre. Sie fuhren ja mit auf dem ersten Platz. Sind noch andere gerettet?“

„Bis jetzt weiß ich nur vier.“

„Wer ist es?“

„Zwei Damen und zwei Herren.“

„Wer sind die Damen? Schnell, schnell!“

„Die Baronesse Marion de Sainte-Marie und eine Freundin von ihr.“

„Gott sei Dank! Diese suche ich. Wer hat sie ans Ufer geschafft?“

„Doktor Müller.“

„Ah, der deutsche Tölpel.“

Der Arzt machte ein sehr ernstes Gesicht und antwortete in verweisendem Ton:

„Mein Herr, es erscheint mir gerade nicht tölpelhaft gehandelt, eine Dame vom Tod zu retten, während andere feig davonlaufen. Hätten Sie sich nicht des Kahnes bemächtigt, der mit Ihnen verschwunden ist, so verlören weniger Menschen ihr Leben, weil man, bis der Dampfer sank, nochmals zurückkehren konnte, um Leute aufzunehmen. Sie werden von Glück reden können, wenn Ihre Handlungsweise nicht untersucht und geahndet werden wird.“

Er drehte sich um und schritt davon. Der Oberst blickte ihm nach und sagte:

„Jedenfalls auch ein Deutscher. Es wird hohe Zeit, daß wir die Faust auf diese rohe Menschenklasse legen. Aber ärgern wir uns nicht, suchen wir lieber die Baronesse, um ihr Glück zu wünschen.“

Er ging über den Hof hinüber und trat in die Wohnstube; die anderen folgten ihm. Dort stand Müller, sich mit dem Meier unterhaltend. Als der Oberst ihn erblickte, lachte er laut auf und rief: