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Nach kaum zwei Minuten trat Margot wieder herein und erklärte sich zum Mitgehen bereit. Da sie die Anspruchslosigkeit des Marschalls kannte, so hatte sie es unterlassen, große Toilette zu machen. Sie war sehr einfach, aber doch geschmackvoll gekleidet; aber gerade diese Einfachheit hob ihre Schönheit hervor, daß die angebliche Ordonnanz den Blick mit hoher Bewunderung auf ihr ruhen ließ. Sie sah so vornehm, so distinguiert aus und dabei doch so mädchenhaft, so kindlich lieb und gut, daß dem Schwindler fast ein Gefühl des Bedauerns und des Mitleids ankam.

„Wie schön sie ist“, dachte er. „Wie rein und züchtig sie aussieht! Und dieses gute, herrliche Wesen soll diesem alten, trockenen Baron zum Opfer fallen! Ah, wenn mein Vater nicht sein Diener wäre, so würde ich mich sehr hüten, ihm behilflich zu sein. Wenn er noch jung und hübsch wäre! So aber kann sie mich dauern!“

Er gab ihr durch eine Verbeugung das Zeichen, daß er bereit sei, mit ihr zu gehen, und so trat sie den Weg an, von dem sie nicht ahnte, wie verhängnisvoll er ihr werden sollte.

Unten wartete die Equipage. Der Kammerdiener saß als Kutscher verkleidet auf dem Bock. Der Offizier öffnete den Wagenschlag, Margot stieg ein, und dann setzte sich der Wagen in Bewegung.

Es war bereits finster auf der Straße. Hier und da brannte eine Laterne, doch war das dadurch verbreitete Licht nicht hinreichend, eine genügende Helle zu geben. Übrigens begann der Offizier eine lebhafte Unterhaltung, welche den Zweck hatte, zu verhindern, daß Margot ihre Aufmerksamkeit hinaus auf die Straße richte; sie hätte ja sonst bemerken müssen, daß der Wagen zwar in die Straße einbog, in welcher Blüchers Wohnung lag, aber nicht vor derselben hielt.

Dennoch wurde sie aufmerksam. Das einem jeden Menschen innewohnende Vermögen, ganz unwillkürlich die Zeitdauer abzumessen, sagte ihr, daß sie das Ziel bereits erreicht haben mußten. Darum unterbrach sie die Unterhaltung mit der Frage:

„Aber, Monsieur, müßten wir nicht bereits angekommen sein?“

„Allerdings, Mademoiselle“, antwortete der Gefragte; „aber ich bemerke, daß der Kutscher einen kleinen Umweg eingeschlagen zu haben scheint. Lassen Sie einmal sehen, ob ich richtig rate oder mich irre.“

Er blickte durch die Fensterscheibe seiner Wagenseite und tat so, als ob er da nichts erkennen könne. Dann neigte er sich zur anderen Seite herüber und sagte:

„Gestatten Sie! Hier kann man deutlicher sehen.“

Sie bog sich ein wenig zurück, um ihm Raum zu lassen, aber in demselben Augenblick fühlte sie sich von ihm ergriffen und mit aller Gewalt in die Ecke gedrückt.

„Herrgott, was ist das! Was wollen – – –“

Sie konnte nicht weiter sprechen. Ein Tuch verschloß ihr den Mund, und diesem Tuch entströmte ein scharfer, unangenehmer Geruch, welcher ihr in die Atmungsorgane drang und ihr fast augenblicklich die Kraft, zu widerstehen, benahm. Sie versuchte zwar noch, den Angreifer von sich zu schieben, doch geschah dies so schwach, daß sie damit kein Kind fortzustoßen vermocht hätte. Einige Sekunden später lag sie vollständig bewußtlos in der Ecke.

„Ah, das ist mir leicht geworden“, flüsterte der Schauspieler. „Ich hatte es mir bedeutend schwerer vorgestellt. Nun aber werde ich mir einen Lohn nehmen, der allerdings nicht vereinbart worden ist. Ich werde sie küssen, bis der Wagen hält!“

Er setzte sich auf das Sitzkissen neben sie nieder, zog ihren Kopf herbei und legte seine Lippen auf ihren Mund. Da aber spürte er den scharfen Geruch des Parfüms, welcher ihm beinahe den Atem versetzte.

„Donnerwetter, es geht nicht“, sagte er, „ich muß gewärtig sein, daß ich die Besinnung geradeso verliere wie sie. Wie schade! Ach der Genuß wäre ja auch ein nur kurzer gewesen, denn wir sind bereits am Ziel. Der Wagen hält.“

Die Equipage hatte das Gäßchen erreicht, war in dasselbe eingebogen und hielt nun vor dem Gartenpförtchen. Dieses öffnete sich auf der Stelle, und zwei Männer traten hervor. Es waren Baron Reillac und Kapitän Richemonte.

„Nun? Gelungen?“ fragte der erstere den Kutscher.

„Weiß nicht genau!“ antwortete dieser.

„Nicht genau? Alle Teufel! Du mußt doch wissen, ob ihr sie habt!“

„Wir haben sie, aber –“

„Was, aber –?“

„Ob die Narkotisierung gelungen ist –!“

„Das werden wir gleich sehen!“

Er öffnete den Schlag, aus welchem ihm jener Geruch sogleich entgegendrang.

„Gelungen?“ fragte er nun in den Wagen hinein.

„Vollständig“, antwortete der verkleidete Schauspieler.

„Heraus mit ihr!“

Er griff zu, und der Kapitän half ihm.

„Jetzt schafft den Wagen fort, und hier ist das Geld.“

Er gab dem Schauspieler eine Börse, welche den vereinbarten Sünderlohn enthielt. Dieser steckte jene ein, bedankte sich und setzte sich wieder im Wagen zurecht.

„Wie lange darf ich ausbleiben?“ fragte der Kutscher.

„Bis du den Wagen abgeliefert hast; ich brauche dich vielleicht nötig.“

„Das Abliefern wird langsam gehn.“

„Warum?“

„Wir müssen den Wagen erst ausräuchern; der Geruch könnte uns verraten.“

„Ach. Wie wollt ihr dies tun?“

„Ich habe das Notwendigste bereits bei mir. Wir fahren hinaus vor die Stadt, wo wir auf freiem Feld unbeobachtet sind. Vielleicht kommen wir vor Mitternacht nicht retour.“

„So müssen wir versuchen, ohne euch zu auszukommen. Vorwärts!“

Der Wagen setzte sich in Bewegung und verließ das Gäßchen.

„Tragen Sie Ihre Schwester“, meinte der Baron zu dem Kapitän. „Ich habe die Türen zu öffnen und zu schließen.“

Richemonte folgte dieser Aufforderung. Sie schafften in der angegebenen Weise Margot in das Haus hinauf in das Bibliothekzimmer. Das konnte unbeobachtet geschehen, da der Baron den meisten seiner Leute Urlaub gegeben und die übrigen mit irgendeinem Auftrage aus dem Haus entfernt hatte.

Droben setzte der Kapitän seine Schwester auf einen Stuhl.

„Wollen wir sie binden?“ fragte er.

„Binden? Wird dies nötig sein?“

„Ich denke es. Sie wird jedenfalls Widerstand leisten.“

„Pah, diesen Widerstand werden wir wohl brechen können!“

„Sie wird um Hilfe rufen!“

„So verhüllen wir ihr den Mund.“

„Sie wird die Hülle losreißen, wenn wir ihr nicht auch die Arme binden.“

„Gut, so wollen wir sie an den Stuhl fesseln. Wie blaß sie ist. Wie eine Leiche.“

„Sie wird doch nicht erstickt sein?“ fragte der Kapitän, indem sein Auge eine unheimliche Glut erkennen ließ.

„Ich hoffe es nicht!“

„Es wäre dies wohl ein Strich durch die Rechnung, Baron?“

„Durch die Ihrige ebenso!“

„Pah! Mir würde dies sehr gleichgültig sein!“

„Ich bezweifle dies. Ich würde in diesem Fall nicht ihr Schwager werden und also die Wechsel nicht zerreißen.“

Der Kapitän lächelte und fletschte dabei die Zähne.

„Oh, diese Wechsel sind mir von jetzt an nicht mehr fürchterlich!“

„Nicht? Warum?“ fragte der Baron, aufmerksam werdend.

„Sie haben meine Schwester in Ihrer Hand, und ich fordere die Wechsel.“

„Noch aber ist sie nicht meine Frau.“

„Ob sie es wird oder nicht, das wird ganz allein von Ihrer Geschicklichkeit abhängen.“

„Sie kann mir noch entrissen werden.“

„Das geht mich nichts an.“

„Ich begreife Sie nicht, Kapitän. Ich habe Ihnen versprochen, ihre Accepte zu vernichten, sobald Margot meine Frau ist. Ich werde Wort halten, aber eher nicht.“

Der Kapitän zuckte die Achsel und antwortete:

„Ganz wie es Ihnen beliebt. Behalten Sie die Papiere meinetwegen ganz; es ist ja ebensogut, als ob sie vernichtet wären.“