„Wenn Exzellenz drohen, so kann ich allerdings nicht widerstehen, mache aber –“
„Schon gut! Geh mit; weiter brauchst du nichts zu tun.“
Der Maire legte den Schreibärmel ab, zog den Überzieher an, griff nach dem Hut und erklärte sich bereit, die Herren zu begleiten. Draußen auf der Straße nahmen sie ihn in die Mitte, und Blücher begann:
„Herr Bürgermeister, Sie haben vielleicht gehört, daß ich ein eigentümlicher Querkopf bin. Im guten geht alles, im schlimmen geht nichts! Jetzt spreche ich zu Ihnen als zum Vertreter der Polizei. Wir bedürfen Ihrer Hilfe.“
„In welcher Angelegenheit?“
„Man hat einer Mutter ihre Tochter entführt.“
„Ah, der Geliebte ist mir ihr durchgegangen?“
„Nein, die Sache liegt strafbarer; man hat sie förmlich geraubt.“
„Ah! Menschenraub? Das wäre schlimm! Wer ist das Mädchen?“
„Es ist Mademoiselle Richemonte.“
„Ah, vielleicht die Schwester des Kapitän Richemonte?“
„Allerdings. Kennen Sie ihn?“
„Ich sah ihn einige Male bei meinem Schwager. Wann ist sie entführt worden?“
„Vor noch nicht einer halben Stunde.“
„Von wem?“
„Wir haben eben Ihren Schwager im Verdacht.“
Da blieb der Maire erschrocken stehen und sagte:
„Meinen Schwager? Den Baron?“
„Ja, den neugebackenen Baron.“
„Aber warum, Exzellenz?“
„Weil er ein Halunke ist, dem man so eine Niederträchtigkeit zutrauen muß.“
„Exzellenz verzeihen; ich darf unmöglich anhören, daß ein Verwandter von mir –“
„Papperlapapp! Ihre Verwandtschaft geht uns gar nichts an. Ihr Schwager will Mademoiselle mit Gewalt zu seiner Frau machen; sie liebt ihn nicht. Hier dieser Herr, ein junger Freund von mir und wackerer Offizier, ist ihr Verlobter. Gestern abend hat Ihr Schwager ihn meuchlings auf der Straße überfallen und zwei Kugeln auf ihn abgegeben. Der Mord gelang nicht; da hat der Baron sich entschlossen, das Mädchen zu rauben.“
„Unmöglich!“
„Schwatzen Sie keinen Unsinn! Wenn ich, der alte Blücher, es sage, so haben Sie es zu glauben, sonst soll Sie der Teufel holen! Er hat sich zu dieser Schlechtigkeit sogar meines eigenen Namens bedient und einen als deutschen Offizier verkleideten Menschen zu der Dame geschickt, der sie angeblich zu mir zum Souper abholen sollte. Der Wagen ist nach der Wohnung des Barons gefahren.“
„Aber, Exzellenz, wie ich meinen Schwager kenne, so ist er –“
„Ein Erzspitzbube, nicht wahr?“ fiel Blücher ein. „Dem stimme ich vollständig bei!“
„Ich wollte allerdings das Gegenteil sagen.“
„Damit haben Sie bei mir kein Glück.“
„Aber, die ganze Geschichte klingt so fabelhaft, daß ich –“
„Herr!“ donnerte ihn da Blücher an. „Glauben Sie, daß ich mit meinem Heer nach Frankreich gekommen bin und Paris eingenommen habe, nur um einem kleinen Maire eine Fabel zu erzählen. Was ich sage, das sage ich!“
„Aber, was wünschen Sie von mir?“
„Ihr Schwager wohnt in Ihrem Arrondissement. Nicht wahr?“
„Allerdings.“
„Nun, wir wünschen eine Haussuchung bei ihm zu halten.“
„Mein Gott, ist dies möglich?“
„Sogar sehr. Diese Haussuchung soll keine heimliche, sondern eine offizielle sein.“
„Da soll ich mithelfen?“
„Natürlich. Ich respektiere die Gesetze, Herr Maire.“
„Da muß ich Ihnen leider sagen, daß eine Haussuchung unmöglich ist.“
„Ah, warum?“
„An eine Haussuchung sind gewisse Vorbedingungen geknüpft, meine Herren, die –“
„Die hier vollständig vorhanden sind“, fiel Blücher ein.
„Im Gegenteil, im Gegenteil.“
„Was? Wie sagen Sie?“ fragte Blücher. „Zu einer Haussuchung gehört nur zweierlei?“
„Oh, mehr, viel mehr.“
„Papperlapapp! Zu einer Haussuchung gehört erstens ein Haus und sodann, der, welcher es aussucht, pasta, abgemacht! Das Haus ist da, der Aussucher auch, ja, es sind sogar deren mehrere da. Es gibt keinen Grund zur Ausrede für Sie.“
„Ich muß dennoch bei meinem Bescheid beharren, Messieurs.“
„So beharren Sie, uns wird das gar nicht stören. Aber Sie werden die Freundlichkeit haben, uns zu Ihrem lieben Schwager zu begleiten.“
„Eigentlich bin ich dazu viel zu sehr beschäftigt.“
„So arbeiten Sie eine Stunde länger, Monsieur. Wir Deutschen haben Ihretwegen manche Stunde arbeiten müssen. Wo ist das Haus, Lieutenant?“
„Hier, Exzellenz!“
Sie waren natürlich nicht nach dem Gäßchen, sondern nach der vorderen Front der Straße gegangen. Die erste Etage des angedeuteten Hauses war nur teilweise erleuchtet. Der Marschall klingelte, und der Portier öffnete.
„Wohnt hier Baron Reillac?“ fragte Königsau.
„Ja, Monsieur.“
„Ist er ausgegangen?“
„Nein.“
„Also daheim?“
„Ja.“
„Hat er Besuch?“
„Der Herr Kapitän Richemonte scheint bei ihm zu sein.“
„Ah! Wer noch?“
„Weiter niemand.“
„Da hören Sie es!“ sagte der Maire mit befriedigter Miene.
„Was hören wir?“ fragte Blücher, indem er den Maire die Treppe emporschob. „Denken Sie, wir sind so dumm wie ihr Franzosen? Ihr meldet es wohl dem Portier, wenn ihr ein Mädchen entführt und nach Hause schleppt? Gott segne euren Verstand! Lieutenant, klingeln Sie. Man wird sehen, wo man Margot versteckt hat.“ –
Während Königsau mit Blücher gesprochen hatte und dann mit diesem nach der Maire gegangen war, hatte Margot ihr Bewußtsein wiedererhalten.
Sie blickte umher und fand sich in einem ihr fremden Zimmer. Sie wußte nicht, wie sie hierhergekommen war, und wollte mit der Hand nach der Stirn greifen, wie man zuweilen tut, wenn man etwas überlegen will. Da merkte sie, daß sie gefesselt war, ja, daß man ihr sogar den Mund verbunden hatte. Und nun kam es plötzlich klar und hell über sie, wie sie hierhergekommen war. Es fiel ihr ein, daß eine Ordonnanz sie abgeholt hatte. Sie erinnerte sich des Duftes, welchen sie eingeatmet hatte, und nun wurde sie von der Gewißheit durchschauert, daß sie das Opfer eines Betruges geworden sei.
Sie ließ ihre Augen im Zimmer herumschweifen; es war kein Mensch vorhanden. Wo befand sie sich? Es wurde ihr vor Angst siedend heiß im Inneren.
Da hörte sie ein Geräusch hinter sich. Sie konnte den Kopf nicht bewegen, aber dies war auch nicht nötig, denn der Betreffende trat gleich darauf vor sie hin.
Es war ihr Bruder.
Er verschränkte die Arme ineinander und blickte sie an. Sie schloß die Augen, um das Spiel seiner Mienen nicht ansehen zu müssen. Nach einer Weile stieß er ein kurzes, höhnisches Lachen aus und sagte:
„Das hat man davon, wenn man sich zur Geliebten eines Deutschen herabwürdigt!“
Sie konnte ihm nicht antworten. Er hatte große Lust, mit ihr zu spielen, wie die Katze mit der Maus, darum trat er näher und schob ihr das Tuch ein wenig vom Mund fort.
„Welch eine Luft! Nicht wahr? Nur meine Nähe verpestet sie.“
Sie hielt noch immer die Augen geschlossen. Sie wollte, bevor sie sich in ihrem Verhalten bestimmte, erst erfahren, welche Absicht er mit ihr habe.
„Wie schade, hier bei mir sein zu müssen, während du glaubtest, bei Blücher und deinem Soldaten speisen zu können.“ Und höhnisch fügte er hinzu: „Welcher rühmt sich denn eigentlich des Glücks, dich zu besitzen? Der Alte oder der Junge?“
Auch jetzt noch schwieg sie. Das ärgerte ihn, und darum sagte er:
„Doch das ist ja gleich. Du wirst von jetzt an das Eigentum eines anderen sein.“
Das half, denn sie öffnete jetzt die Augen und fragte:
„Wessen?“