„Das weißt du nicht?“
„Nein.“
„Nun, des Barons!“
„Ah! Er hat mich rauben lassen, und du hast ihm geholfen?“
„So ist es!“
„Mein Gott, ein Bruder!“
„Mein Gott, eine Schwester!“ höhnte er.
„Weiß Mama, wo ich bin?“
Die Angst um die Mutter gab ihr diese Frage ein. Er lachte laut auf und antwortete:
„Sie? Es wissen? Hältst du uns für wahnsinnig?“
„Sie wird es erfahren.“
„Gewiß, das wollen wir ja.“
„Wann?“
„Sobald es dir beliebt.“
„Ich verstehe dich nicht.“
„Du wirst mich sofort verstehen. Paß auf.“
In diesem Augenblick neigte sich der Baron über die Lehne des Stuhls herüber und küßte sie auf den Mund. Sie hatte nicht gewußt, daß er hinter ihr gestanden hatte. Sie stieß einen lauten Hilferuf aus, da aber sagte ihr Bruder schnelclass="underline"
„Halt! Keinen Laut! Sobald du rufst, bekommst du einen Knebel in den Mund; das wird deine Lage keineswegs angenehmer machen.“
„Wer berührte mich jetzt?“ fragte sie, zitternd vor Abscheu.
„Ich.“
Bei diesen Worten trat der Baron hervor, so daß sie ihn deutlich sehen konnte.
„Unverschämter!“ zürnte sie.
„Zanken Sie immerhin!“ lachte er. „Sie befinden sich in meiner Hand. Ich werde Sie jedenfalls zu zähmen wissen.“
„Nie, niemals!“
„Ah, Sie glauben es nicht?“ fragte er. „Nun, so hören Sie, was Ihrer wartet. Ich liebe Sie, und Sie stoßen mich von sich. Ich habe sie gebeten und Ihnen gedroht, alles umsonst. Nun greife ich zu dem letzten, aber unfehlbaren Mitteclass="underline" Sie werden heute die Meine werden, heute, noch diesen Abend. Sie werden es so lange sein, bis es mir gefällt, Sie zu entlassen; Sie werden dann in Ehren keinem anderen gehören können und mich kniefällig bitten, die Schande von Ihnen zu nehmen, indem ich Sie zur Baronin Reillac mache. Und das werde ich dann vielleicht tun, vielleicht auch nicht.“
„Teufel.“
„Ja, ich bin ein Teufel, und Sie sind ein Engel; es wird eine interessante Verbindung.“
„Nie, niemals!“ rief sie.
„Pah, Sie können nicht widerstehen!“ lachte er.
„Gott wird mich schützen.“
„Glauben Sie das nicht. Gott hat mehr zu tun, als sich um die kleine Margot zu kümmern. Sie werden heute noch mein.“
„Ich werde sterben“, hauchte sie.
„Es stirbt sich nicht so leicht und schnell. Meine Zärtlichkeiten werden Ihnen bald gefallen, und dann werden Sie recht gern leben.“
Sie war leichenblaß geworden. Sie blickte ihm ängstlich forschend in das Gesicht und sagte:
„Baron, das kann Ihre Absicht nicht sein.“
„O gewiß, doch.“
„Ich kann Sie nie lieben.“
„Sie werden es lernen.“
„Haben Sie Mitleid! Denken Sie an meinen Vater, dessen Freund Sie einst waren, und an meine arme Mutter, welche bereits so viel gelitten hat.“
„Ihr Vater ist tot, und Ihre Mutter geht mich jetzt nichts an. Als meine Schwiegermutter jedoch wird sie mir sehr angenehm und willkommen sein.“
„So denken Sie an Gott, der alles sieht.“
„Wirklich?“ lachte er. „Er wird eine interessante Liebesszene sehen.“
„Und der alles bestraft.“
„Vor dieser Strafe fürchte ich mich nicht.“
Sie schauderte. Dieser Mensch war wirklich ein Teufel. Sie wendete sich an den Bruder:
„So erbarme du dich meiner; du bist ja doch der Bruder.“
„Unsinn!“ antwortete er. „Hast du dich meiner erbarmt?“
„Albin“, sagte sie vorwurfsvoll, „du weißt, daß Mama und ich im stillen für dich gearbeitet und gehungert haben.“
„Das ist dir gut bekommen“, sagte er mitleidslos. „Wenn du die Frau des Barons bist, quittiert er meine Schulden. Als gute Schwester würdest du dies beherzigen und ihm aus freien Stücken dein Jawort geben. Du stehst an der letzten Entscheidung. Ich frage dich: Willst du freiwillig seine Frau werden oder gezwungen?“
Sie sah, daß hier auf kein Mitleid zu rechnen war, und antwortete:
„Ich werde es weder freiwillig, noch gezwungen sein. Gott wird mich beschützen.“
Sie dachte an das, was Königsau ihr gestern erzählt hatte, als sie bei Blücher saßen.
„So hast du also gewählt“, sagte Margots Bruder. „Baron, ich übergebe sie Ihnen. Tun Sie mit ihr, was Ihnen beliebt. Sie hat alles nur sich selbst zuzuschreiben!“
„Albin“, sagte sie da. „Das wirst du nicht tun. Du wirst mich nicht verlassen!“
„Papperlapapp!“ antwortete er achselzuckend.
„Denke an den Vater!“
„Oh, er ist schuld, daß ich leichtsinnig geworden bin. Sein Andenken kann deine Lage nicht im geringsten verbessern!“
„Gott, was soll ich da noch sagen“, klagte sie. „Ihr seid keine Menschen!“
„Oh, wenigstens ich bin ein Mensch“, meinte der Baron. „Ich werde Ihnen beweisen, daß mein Herz sehr menschliche Regungen verspürt.“
Er näherte sich ihr, um sie zu küssen.
„Gehen Sie, gehen Sie, Ungeheuer!“ rief sie.
Er spitzte dennoch den Mund. Sie konnte den Kopf nicht wenden, sie hatte kein anderes Mittel der Verteidigung, sie spuckte ihm in das Gesicht.
„Da, du Widerwärtiger!“ rief sie. „Gebt mir nur wenigstens meine Glieder frei, damit ich mit Euch kämpfen kann.“
„Fällt mir nicht ein!“ lachte der Baron, indem er sich das Gesicht abtrocknete. „Sie haben eine eigentümliche Manier, Küsse zu empfangen. Ich werde Ihnen den Mund verbinden, um Wiederholungen zu vermeiden.“
Er schob ihr das Tuch wieder auf den Mund. Dadurch wurde der Hals frei, welcher alabasterweiß und verlockend aus dem Kleiderausschnitt hervorleuchtete. Hierher richtete jetzt der Baron seine Küsse. Er sah, daß der ganze Körper des schönen Mädchens unter diesen Berührungen zusammenzuckte; aber die herrlichen Formen, welche da vor ihm lagen, erweckten seine Glut, so daß er zu Richemonte sagte:
„Also, jetzt ist sie mein?“
„Ja.“
„Sie geloben Stillschweigen?“
„Gewiß.“
„Nun gut, so werde ich Ihnen jetzt eins Ihrer Akzepte zurückgeben.“
„Nur eins?“
„Nach der Hochzeit die anderen.“
„Aber wenn es zu keiner Hochzeit kommt?“
„Oh, sie wird jedenfalls einwilligen.“
„Ich meine, wenn Sie es sind, der von der Verbindung absieht.“
„Ich? Das ist unmöglich.“
„Oh, man kennt Beispiele, daß die leidenschaftlichste Liebe nach der Erhörung erkaltet.“
„Nun, in diesem Fall werde ich mich so gegen Sie verhalten, als ob Ihre Schwester meine Frau geworden sei.“
„Dann her mit dem Akzept!“
„Ich habe es im Schreibtisch. Kommen Sie. Wir wollen erst Margot in Sicherheit bringen.“
„Wohin?“
„Ich habe da in der Nähe ein außerordentlich bequemes Tapetenzimmer, dessen Tür kein Uneingeweihter zu finden vermag. Dort ist sie so sicher wie in Abrahams Schoß.“
„So machen Sie, ich möchte am liebsten fort von hier.“
„Gut, vorwärts.“
Er öffnete die Tür zum Nebenzimmer. Es war derselbe Raum, in welchem gestern die beiden zur Besprechung beisammen gewesen waren.
Draußen auf dem Dach der Veranda lagen die vier pommerschen Grenadiere. Es war ihnen gelungen, ganz unbemerkt heraufzukommen. Nun hatten sie schon eine geraume Zeit gewartet, aber nichts sehen oder hören können.
„Verdammt langweilig!“ flüsterte der eine.
„Wie auf Vorposten“, sagte der andere.
„Haltet das Maul!“ meinte August. „Wir haben aufzupassen.“
„Auf was denn?“
„Auf das Mädchen.“
„Wo ist es denn?“
„Da drin natürlich.“
„Besser wär's, wir hätten es hier.“
„Unsinn. Ich mag keine Französin.“