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Die Wahrheit war, daß die bisherigen Erzieher Alexanders denn doch in der Vergötterung des Knaben nicht gar zu weit hatten gehen wollen.

„Du meinst also“, sagte dieser, „daß so ein Deutscher ein gutes Spielzeug ist, ein Dienstbote, der sich vor den Franzosen fürchtet?“

„Ganz gewiß. Und ein zweiter Grund ist der, daß diese Deutschen ganz außerordentlich gelehrt sind. Bei deinem neuen Lehrer wirst du in einer Woche mehr lernen als früher in einem Monat.“

„Das heißt ja beinahe, daß die Franzosen gegenüber den Deutschen dumm sind!“

„Nein. Wir sind die Meister im praktischen Leben; sie aber träumen gern; sie hocken über ihren Büchern und wissen vom wirklichen Leben nichts. Dieser Doktor André Müller wird vom Fechten, Reiten, Schwimmen, Tanzen, Exerzieren, Jagen, Schießen, Konversieren und vielen anderen notwendigen Dingen gar nichts verstehen, aber er wird dir von Griechenland, Ägypten und China alles sagen können, obgleich er kaum wissen wird, wie groß Paris ist, und daß wir bei Magenta die Österreicher geschlagen haben. Die Hauptsache ist, daß du bei ihm die deutsche Sprache sehr bald, sehr leicht und sehr vollständig erlernen wirst.“

„Deutsch soll ich lernen?“ fragte Alexander mit Nasenrümpfen. „Warum? Ich habe keine Lust, mich mit der Sprache dieser Barbaren und Büchermilben abzuquälen!“

„Das verstehst du nicht, mein Sohn“, erläuterte der Alte. „Es wird die Zeit kommen, und sie ist vielleicht sehr bald da, daß unsere Adler steigen werden, wie zur Zeit des großen Kaisers. Sie werden über den Rhein hinüber fliegen und Deutschland mit ihren scharfen, siegreichen Krallen ergreifen. Dann werden wir über das Land herrschen, welches einst uns gehörte, uns vom Unglück aber für einige Zeit wieder entrissen wurde. Es wird wieder eine Ära anbrechen, in welcher der Tapfere mit Fürsten- und Herzogtümern, ja mit Königreichen belohnt werden wird, wie Murat und Beauharnais, wie Davoust, Ney und andere Helden, und wer dann die Sprache des Landes versteht, dessen Herrscher er geworden ist, der hat doppelte Macht und Gewalt über seine Untertanen. Du bist ein Sainte-Marie, und du bist mein Enkel. Du sollst und du wirst zu den Tapfersten gehören. Du sollst mit dem Adler Frankreichs fliegen, und deinem Ruhm soll der Lohn werden, welcher mir versagt blieb, weil die englischen Schurken meinen Kaiser in Ketten schmiedeten, auf einem fernen, abgeschlossenen Eiland, wie einen Prometheus, den man nicht zu entfesseln wagt, weil dann die Völker aus Angst vor ihm heulen würden.“

Die Erinnerung an den Ruhm und das Unglück seines Kaisers war in ihm wachgeworden. Er hatte sich erhoben und sprach mit lebhaften Gestikulationen. Seine dunklen Augen blitzen, und bei den Worten, welche sich auf St. Helena bezogen, stieg sein gewaltiger Schnurrbart empor, und seine Zähne zeigten sich, das Gebiß eines Panthers, welcher zum Sprung ausholt.

Da fiel sein Blick zufällig durch das Fenster auf den Weg hinab, welcher von den Eisenwerken nach dem Schloß führte. Seine Oberlippe fiel herab, seine Brauen zogen sich zusammen, und mit völlig veränderter Stimme fuhr er fort:

„Doch davon werden wir später sprechen, mein Sohn. Jetzt gehe hinab und sieh zu, ob der Groom das Pony eingeschirrt hat, um dich spazieren zu fahren.“

Das ließ sich Alexander nicht zweimal sagen; er eilte fort. Der Kapitän aber trat von neuem zum Fenster und heftete seine Augen mit finsterem Ausdruck auf den Mann, der langsam nach dem Schloß herbeigeschritten kam.

Dieser Mann hatte eine hohe, breite, kraftvolle Figur, und die Züge seines Gesichtes konnten interessant genannt werden. Er hielt den Blick scheinbar zu Boden gerichtet, als sei er in tiefes Nachsinnen versunken, aber wer ihn hätte beobachten können, dem wäre aufgefallen, daß sein Auge unter den gesenkten Lidern heraus forschend nach den Fenstern derjenigen Zimmer schielte, welche die Baronin bewohnte.

„Es wird hohe Zeit, dem Spaß ein Ende zu machen“, brummte der Kapitän, indem er das Fenster verließ, um von dem Mann nicht bemerkt zu werden. „Er war außerordentlich brauchbar und hat alles auf das trefflichste arrangiert. Er ist auch bisher verschwiegen gewesen; aber seit neuerer Zeit steigt er mir mit seinen Ansprüchen zu hoch. Ich habe ihm bisher die Baronin überlassen, welche leider meine Schwiegertochter ist; nun aber soll mir die Verirrung der beiden einen Grund liefern, mit ihm fertigzuwerden. Ich werde bei ihm aussuchen, und das wird mir leicht werden, da ich unsere Möbel kenne. Ein Glück ist es, daß noch kein Mensch um das Geheimnis dieses alten Schlosses weiß.“

Er trat an seinen Schrank und öffnete ihn. Er langte zwischen die Kleider hinein, und sogleich ließ sich ein leises Knarren vernehmen – die hintere Wand des Schranks wich zurück. Er trat in den Schrank, verriegelte die Tür desselben hinter sich und stieg in die entstandene Öffnung. Es zeigte sich, daß das Schloß hier, vielleicht auch in anderen Teilen, doppelte Wände hatte, zwischen denen man aus einem Stockwerk in das andere und von dem einen Zimmer in das andere gelangen konnte, um durch geheime Öffnungen die Insassen dieser Zimmer zu beobachten und zu belauschen.

Eine schmale, den ganzen, vielleicht zwei Fuß breiten Zwischenraum ausfüllende Treppe führte zwischen der Doppelwand abwärts. Der Alte schien den Weg sehr gut zu kennen. Er stieg trotz des Dunkels, welches hier herrschte, mit großer Sicherheit hinab und blieb an einer Stelle stehen, welche er vorsichtig mit der Hand betastete.

Es gab hier einen lockeren Ziegelstein, welcher sehr leicht aus der Mauer zu ziehen war. Als der Kapitän dies getan hatte, ohne dabei das leiseste Geräusch zu verursachen, erschien eine mattgeschliffene Glastafel. Diese war im Boudoir der Baronin ganz oben unterhalb der Decke angebracht und hatte so genau die Breite und auch ganz die Zeichnung der dort befindlichen Kante, daß man ihre Anwesenheit gar nicht bemerken konnte. Aber das eingeschliffene Muster bildete durchsichtige Stellen, durch welche man sehr leicht das Boudoir zu beobachten vermochte, und durch die dünne Glastafel konnte man auch die dort geführte Unterhaltung vernehmen, falls sie nicht im Flüsterton geführt wurde.

Der Alte brachte seinen Kopf an die Öffnung und blickte hinab. Die Baronin saß ihm gerade gegenüber auf einer Ottomane. Sie trug ein dünnes weißes, von rosaseidenen Schleifen zusammengehaltenes Morgenkleid; doch waren die Schleifen so nachlässig zusammengezogen, daß zwischen den beiden Säumen des Kleides die feine Stickerei des Hemdes hervorblickte. Da dieses Hemd tief ausgeschnitten war und unten nicht durch ein gewöhnliches Korsett, sondern durch ein schmales, dünnes und nachgiebiges orientalisches Mieder unterstützt wurde, so glänzte durch die Spalte der Alabaster der Büste hervor, ein Umstand, der außerhalb aller Berechnungen schien, aber doch das Ergebnis eines sehr bewußten Raffinements war.

Vor ihr stand der Mann, dessen Kommen der Kapitän beobachtet hatte. Es war der Fabrikdirektor, welcher von der Zofe auf der Treppe erwartet und zu ihrer Herrin geschickt worden war. Er hielt unter dem Arme ein ziemlich umfangreiches Buch, nach welchem die verführerische Frau soeben ihre Hand ausstreckte.

„Aber bitte“, sagte sie, „legen Sie doch diesen häßlichen Band ein wenig fort, und setzen Sie sich an meine Seite.“

„Verzeihung, teure Adeline“, antwortete er, „ich darf mich nicht verweilen. Ich muß zum Kapitän. Vielleicht hat er mein Kommen durch das Fenster bemerkt und schöpft Verdacht, wenn ich zu erscheinen zögere.“

„Der häßliche Alte!“ seufzte sie, indem sie einen verzehrenden Blick auf den Direktor warf.

„Auch mir wird er immer unbequemer. Nicht nur, daß er der einzige ist, dessen Scharfsinn das stille, heimliche Glück unserer Liebe in Gefahr bringt, er weiß auch gar nicht, Verdienste anzuerkennen. Hielten Sie mich nicht hier fest, so würde ich mein Engagement längst aufgegeben haben.“