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„Ah!“ dachte der Lauscher. „Es wird also Zeit, nachzuforschen, ob ich mich wirklich auf ihn verlassen konnte.“

„Tun Sie das nicht“, fiel sie schnell ein. „Ich würde mich hier ganz unglücklich fühlen. Aber es ist wahr, Sie dürfen ihn nicht warten lassen. Meine Sehnsucht nach Ihnen kann ja auf andere Weise gestillt werden. Sind Sie heute abend frei?“

„Ja, aber allerdings erst spät.“

„Wieviel Uhr?“

„Von zehn Uhr an, teure Adeline.“

„So werde ich um diese Zeit das Schloß verlassen und nach der Parkwiese kommen. Können Sie mich dort erwarten?“

„Es wird mir eine Seligkeit sein, Sie dort zu treffen.“

„So gehen Sie jetzt, Sie lieber, lieber Mann!“

Er ergriff ihre Hand, um einen Kuß auf dieselbe zu drücken; sie aber hob den Kopf und bot ihm ihre Lippen dar. Der für die Hand bestimmte Kuß traf den Mund, und dann verließ der Direktor das Boudoir.

Als er bei dem Kapitän eintrat, fand er diesen bei einer Menge von Skripturen an dem Arbeitstische sitzen.

„Sie kommen, den Tagesbericht abzugeben?“ fragte der Alte, ohne sich zu erheben.

„Allerdings, Herr Kapitän“, lautete die Antwort.

„Ich habe heute nicht viel Zeit. Gibt es etwas Aufschiebbares?“

„Haus Monsard und Kompanie hat Geld geschickt.“

„Endlich. Wieviel?“

„Zwölftausend Francs. Ebenso Léon Siboult achttausendfünfhundert.“

„Das freut mich. Haben Sie die beiden Summen mit?“

„Ich wollte sie aufzählen.“

„Das hat Zeit bis morgen. Vielleicht ist ein Teil dieser Summe dazu bestimmt, Ihnen zu beweisen, daß ich Ihre Wirksamkeit anerkenne. Aber sprechen Sie heute mit niemand davon. Morgen werden wir uns einigen. Adieu!“

Der Direktor hätte gern einige dankbare Worte ausgesprochen; aber er kannte seinen Gebieter. Hatte dieser einmal ‚Adieu‘ gesagt, so konnte ihn jedes weitere Wort nur in den Harnisch bringen. Darum begnügte der Beamte sich damit, unter einer tiefen Verneigung abzutreten. Während er die Treppe hinunterstieg, dachte er:

„Wußte ich das, so konnte ich der Baronin noch ein Viertelstündchen widmen. Wer weiß, ob sie sich heute abend wieder in einer solch liebevollen Stimmung befinden wird!“ –

Alexander hatte die Weisung seines Großvaters befolgt und war nach dem Stall gegangen. Dort war der Groom beschäftigt gewesen, das Pony vor den leichten Wagen zu spannen, um den jungen Herrn auszufahren, was täglich um diese Zeit zu geschehen pflegte. Als das Gespann bereit war, wollte der Kutscher auf den Bock steigen, aber Alexander hielt ihn zurück.

„Halt, steige in den Wagen; ich werde selbst fahren!“

„Aber, gnädiger Herr Alexander, das haben Sie ja noch nicht gelernt!“

„So werde ich es heute lernen.“

Der Groom wußte, daß hier ein fernerer Widerspruch vergebens sein werde. Er gehorchte also und setzte sich in den Wagen, während Alexander die Zügel und die Peitsche ergriff, und auf dem Bock Platz nahm. Das Pferd setzte sich in Bewegung. – – –

Zu derselben Zeit saß im Wirtshause des Dorfes Oudron ein Mann, der in einen langen Frack gekleidet war, eine große Messingbrille trug und auf dem Rücken – ausgewachsen war. Es war Doktor Müller. Er war in diesem Augenblick der einzige Gast, und die Wirtin hatte sich zu ihm gesetzt, um sich ein wenig von der anstrengenden Küchenarbeit auszuruhen. Sie schien eine sehr redselige Frau zu sein, denn sie hatte seit zehn Minuten dem Gast bereits ihren ganzen Lebenslauf erzählt und ihn auch mit den Familiengeheimnissen des Dorfes bekannt gemacht. Jetzt nahm sie ihn schärfer auf das Korn und fragte:

„Wie mir scheint, sind Sie fremd hier, Monsieur?“

„Vollständig“, antwortete Müller.

„Wohin wollen Sie?“

„Nach Ortry.“

„Ah, das ist ja mein Geburtsort. Haben Sie vielleicht Verwandte dort?“

„Nein. Ich komme von sehr weit her. Ich bin ein Deutscher.“

„Unmöglich!“ rief sie. „Sie sprechen ja das Französisch so geläufig und regelrecht, daß man meinen sollte, Sie seien auch in Ortry geboren.“

Er unterdrückte das Lächeln, welches auf die Lippen treten wollte. Diese gute Frau schien der Meinung zu sein, daß in Ortry das beste Französisch gesprochen werde, und doch war ihre Sprache schwerfällig und mit einer ganzen Menge von Germanismen gespickt.

„Ich habe einen guten Franzosen als Lehrer gehabt“, erklärte er.

„Der ist sicher aus Ortry oder aus der hiesigen Gegend gewesen“, meinte sie. „Werden Sie längere Zeit dort bleiben?“

„Voraussichtlich, Madame. Ich begebe mich zum Baron de Sainte-Marie, bei welchem ich als Erzieher seines Sohnes engagiert bin.“

„Mein Gott, Sie Ärmster!“ rief sie. „Da werden Sie harte Arbeit haben.“

„Warum?“

„Weil Monsieur Alexander bisher alle Monate einen anderen Erzieher gehabt hat. Es konnte keiner länger aushalten!“

„Sie eröffnen mir da eine schlimme Perspektive. Wer trägt denn eigentlich die Schuld, daß die Herren so bald wieder fortgegangen sind?“

„Alle, nur diese Herren selbst nicht. Oh, die frühere Herrschaft, das war doch etwas ganz anderes! Ich bin da selbst Stubenmädchen gewesen, ehe ich meinen ersten Seligen kennenlernte.“

„Ah, Sie haben mehrere Selige, Madame?“ fragte Müller.

„Zwei. Und vom dritten habe ich mich scheiden lassen. Sie müssen nämlich wissen, daß dies geschehen konnte, weil ich nicht katholisch bin. Also, Monsieur, ich bin auf Schloß Ortry Zimmermädchen gewesen und bedaure, daß dieses Besitztum in solche Hände geraten ist. Ich sollte Ihnen dies allerdings nicht sagen, da Sie ja selbst ein Bewohner des Schlosses sein werden; aber ich kann mir nicht helfen. Ich kann diese Barons einmal nicht ausstehen.“

„Warum, Madame?“ fragte Müller, dem es sehr gelegen kam, hier etwas Näheres über seinen Bestimmungsort zu erfahren.

„Warum? Mein Gott, da gibt es eine ganze Menge Gründe. Fangen wir einmal von oben an! Da ist zunächst dieser Kapitän –“

„Ein Kapitän? Wer ist das?“

„Wer das ist? Ja, so, Sie sind dort noch unbekannt! Der Kapitän ist der Vater des Barons, ein Veteran der Napoleonsschlachten im Alter von wohl neunzig Jahren. Er ist ein Satan, ein Teufel, ein Beelzebub. Er hat weißes Haar, aber ein schwarzes Herz. Er spricht niemals ein Wort und übt doch eine Herrschaft aus, als ob er den Mund nicht einen Augenblick halten könne. Er ist es auch, der das große Eisenwerk regiert, und wer es mit ihm verdirbt, um den ist es geschehen. Ferner die Baronin.“

Die Wirtin machte hier eine Pause, um Atem zu schöpfen, dann fuhr sie fort:

„Von der Baronin sagt man im stillen, daß sie eine Bauernmagd aus dem Argonner Wald sei. Sie hält sich für ungeheuer schön und soll in Paris etliche hundert Anbeter haben. Sie putzt sich den ganzen Tag, trägt sich wie ein junges Mädchen und knechtet die Dienstboten. Nur für den alten Kapitän hegt sie eine Art von Respekt, im übrigen aber ist sie die Herrin des Hauses.“

„Und der Baron selbst?“

„Oh, der gilt gar nichts! Er ist ein guter Kerl, der sich alles gefallen läßt, und zuweilen soll er im Kopf nicht ganz richtig sein. Dann schließen sie ihn ein, und man sagt, daß er zu solchen Zeiten sogar Schläge erhält, denn man hat ihn ganz erbärmlich klagen und winseln gehört. Diese Anfälle kommen nur im Sommer, eigentümlich! Im Winter lebt er mit der Baronin in Paris, und da soll er ganz gesund im Kopf sein. Ferner ist da der junge Herr, der Alexander.“

„Das ist der Sohn, dessen Lehrer ich sein werde?“

„Ja, denn es ist weiter kein Sohn vorhanden. Der ist kaum sechzehn Jahre alt und hält sich doch bereits für einen großen Herrn. Lernen will und mag er partout nichts. Sie können sich die größte Mühe geben, so ist es doch umsonst. Ich weiß gewiß, daß Sie bei mir einkehren werden, nämlich auf der Rückreise nach Ihrer Heimat. Ich kann nicht begreifen, daß Sie engagiert worden sind, da sämtliche Bewohner des Schlosses Deutschland hassen. Es ist überhaupt für Sie hier eine gefährliche Gegend. Die Deutschen sind hier nicht gern gelitten. Man spricht sogar von einem Kriege mit da drüben und –“