„Wie? Es ist dir schwer, zu glauben, daß Albin es gewesen ist?“
Frau Richemonte antworte mit Tränen des Schmerzes im Auge:
„Leider muß ich gestehen, daß ich ihm eine solche Schändlichkeit zutraue. Wer an den Gliedern seiner eigenen Familie so handelt wie er, der ist auch imstande, einen Fremden, welcher seinen Plänen im Wege steht, hinwegzuräumen. Aber dennoch fällt es mir unendlich schwer, an die vollendete Tatsache zu glauben.“
„So siehe seine Stiefel an; sie liegen hier.“
„Kind, können es nicht die Stiefel eines anderen Mannes sein?“
„Nein. Der Portier hat bemerkt, daß er in Strümpfen gekommen ist.“
„Vielleicht nur ein eigentümlicher Zufall, obgleich ich mir nicht denken kann, auf welche Weise ein Kapitän der Garde dazu kommen kann, in Strümpfen nach Hause gehen zu müssen.“
„So werde ich das Mädchen rufen. Sie hat seine Aufwartung übernommen und wird also seine Stiefel genau kennen.“
„Nein, nein! Das Mädchen darf in diese Angelegenheit unmöglich eingeweiht werden. Aber beeile dich! Siehst du nicht, daß Herr von Königsau mehr Blut verliert!“
„Mein Gott, ja! Ich mußte doch erst Wasser und Verbandzeug besorgen. Komm her, mein Guter! Mir ist so angst, daß deine Wunde gefährlich ist. Wir legen jetzt nur den Notverband an und werden dann gleich zum Arzt senden.“
Königsau antwortete mit beruhigendem Lächeln:
„Fürchte nichts, liebe Margot. Es handelt sich hier jedenfalls nur um einen kleinen Ritz oder Stich, welcher vollständig ungefährlich sein wird.“
„So lege schnell ab. Mama wird es gern erlauben.“
Frau Richemonte zog sich zurück, da Königsau gezwungen war, sich teilweise seiner Kleidung zu entledigen. Er legte den Panzer und den Rock ab, dessen Ärmel ebenso blutig war wie der des Hemdes. An dem glattpolierten Panzer war die Stelle zu erkennen, welche von der Spitze des Dolches getroffen worden war. Ohne den ehernen Schutz wäre die Waffe vielleicht in das Herz gedrungen.
Margot streifte ihm den Ärmel des Hemdes auf. Sie war todesbleich vor Besorgnis, aber ihre Hände zitterten nicht. Als ihr Auge die Wunde erblickte, stieß sie einen Ruf des Schreckens aus.
„Herrgott! Wie groß und tief, das ist ja gefährlich!“ rief sie.
„Oh nein, liebe Margot“, meinte Königsau. „Das sieht jetzt nur so schlimm aus, da alles blutig ist. Nimm den Schwamm und reinige die Wunde, dann wirst du sogleich sehen, daß du dich getäuscht hast.“
Sie folgte dieser Aufforderung. Wie schön war sie in ihrer Angst um den Geliebten. Wie leise und sanft war ihre Berührung. Er bekam hier eine Vorahnung des Glücks, welches er haben werde, wenn dieses schöne, liebevolle Mädchen als geliebtes Weib einst ganz ihm gehören werde. Er blickte nicht auf seine Wunde, sondern nur auf sie, auf ihre erregungsblassen Wangen, ihren vor angstvoller Spannung leise geöffneten Mund, zwischen dessen Lippen die herrlichen Zähne hervorleuchteten, auf ihre dunklen Augen, aus denen unendliche Zärtlichkeit und innigstes Mitleid leuchteten.
Endlich war die Wunde gereinigt und konnte genauer betrachtet werden.
„Sie ist nicht so groß, wie ich dachte. Gott sei Dank!“ hauchte Margot. „Aber tief. Nicht?“
„Nein“, antwortete er. „Die Spitze des Dolches ist am Panzer abgebrochen, und da der Stoß dadurch geschwächt wurde, so konnte die stumpfe Klinge nicht weit eindringen.“
„Aber warum blutest du so sehr? Es ist doch nicht etwa eine Pulsader getroffen?“
„Oh, dann würde die Blutung eine ganz andere gewesen sein, liebes Kind. Das stumpfe Instrument hat natürlich eine weitere Wunde hervorgebracht, als wenn die Spitze sich noch daran befunden hätte. Es sind einige kleinere Äderchen zerrissen worden; das sieht schlimmer aus als es ist.“
„Aber durch diesen stumpfen Stich wird die Wunde viel schmerzhafter sein!“
„Ich bin Soldat!“ sagte er einfach.
„Hugo, lieber Hugo, ich wollte, ich könnte den Schmerz auf mich nehmen!“
Er schlang den gesunden Arm um sieg, zog sie an sich, blickte ihr tief, tief in die nassen Augen und frage mit vibrierender Stimme:
„So lieb, so sehr lieb hast du mich?“
„Unendlich!“ hauchte sie, sich an ihn schmiegend.
„Wirklich?“
„O gewiß. Glaube es mir!“
Sie küßte ihn innig auf den Mund und machte sich dann mit allem Eifer daran, den Verband anzulegen. Zehnmal, hundertmal fragte sie sich nach seinen Schmerzen, und er hatte alle Mühe, die Sorge zu bekämpfen, welche sie um ihn fühlte. –
Unterdessen war der Kapitän, nachdem er sich mit neuen Stiefeln versehen hatte, nach dem Café geeilt, in welchem ihn der Baron de Reillac erwartete, um das Ergebnis des Überfalls zu vernehmen. Reillac hatte sich aus Vorsorge ein besonderes Zimmerchen geben lassen, um ungestört mit ihm reden zu können. Dort traf ihn Richemonte.
„Nun?“
In dieser einen Silbe, welche der Baron aussprach, lagen alle Fragen, die er hätte tun können.
„Wein!“
Dies war das einzige Wort, welches Richemonte antwortete. Seine Züge waren in diesem Augenblicke eisig zu nennen. Man konnte nichts aus ihnen lesen.
„Ah“, sagte der Baron lauernd. „Diese Antwort gefällt mir. Wer so dringend nach Wein verlangt, der muß eine tüchtige Arbeit, eine lohnende Anstrengung hinter sich haben. Habe ich recht oder nicht, lieber Kapitän?“
„Ja, eine verfluchte Arbeit war es“, antwortete der Gefragte zweideutig.
Der Baron verstand ihn nicht; er glaubte, daß der Anschlag gelungen sei und sagte:
„Nun, da sollen Sie Wein haben, vom allerbesten und soviel Sie trinken wollen.“
Er läutete und gab dem Kellner seine Bestellung. Bis dieser zurückkehrte, verhielten sich die beiden schweigend, aber als die Flaschen entkorkt waren und der dienstbare Geist sich entfernt hatte, griff Reillac zum Glas und sagte:
„Nun leeren Sie Ihr Glas, Kapitän, und erzählen Sie.“
Der Angeredete stürzte sein Glas hinunter, stampfte es grimmig auf den Tisch und begann:
„Sie sind ganz glücklich darüber, daß meine Arbeit eine lohnende gewesen ist?“
„Natürlich!“
„Wenn Sie sich nun aber doch irren?“
„Wie meinen Sie das?“
„So wie Sie es hörten.“
„Ich sollte mich geirrt haben?“
„Ja.“
„Pah! Sie wollen mich ein wenig auf die Folter spannen und dann mit der guten Nachricht überraschen. Aber mich täuschen Sie nicht. Ich schmeichle mir, Menschenkenner zu sein. So wie Sie hereintraten und so wie Sie hier sitzen, sieht nur ein Mann aus, der von gerade einer solchen Arbeit kommt, wie wir sie besprochen hatten.“
„Da mögen Sie recht haben, obgleich es größere Menschenkenner gibt, als Sie es sind. Ich komme allerdings direkt von einer solchen Arbeit; ob sie aber gelungen ist, das muß man erst wissen.“
„Na, ich hoffe doch, daß Sie einen guten Stoß zu führen verstehen.“
„Ich denke es auch!“ sagte der Kapitän zornig.
„Na, also!“ meinte sein Verbündeter im Ton der Befriedigung.
„Aber selbst der beste Stoß kann einmal danebengehen.“
„Dann war es eben nicht der beste Stoß, sondern ein sehr schlechter.“
„So will ich mich anders ausdrücken. Selbst der beste Stoß kann pariert werden oder auf einen unverhofften Widerstand stoßen.“
„Ich denke, Menschenfleisch bietet keinen bedeutenden Widerstand.“
„Nein, aber ein Panzer pflegt verdammt hart zu sein.“
Der Baron machte eine Miene unangenehmer Überraschung und sagte sehr schnelclass="underline"
„Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß der Kerl einen Panzer getragen hat?“
„Gerade das und nichts anderes will ich sagen!“
„Donnerwetter! Königsau ist doch, wie ich denke, Husarenoffizier, und nur Kürassiere pflegen sich mit Stahl zu umgürten.“
„Er trug dennoch einen Panzer.“