„Ich mußte natürlich fliehen, um nicht erkannt zu werden. Hätte ich den Kampf fortgesetzt, so wäre ich vielleicht gar ergriffen worden, da man bereits Türen und Fenster öffnete.“
„Sie meinen also, daß Sie nicht erkannt worden sind?“
„Dort noch nicht.“
„Ah, das ist noch gut!“
„Aber später jedenfalls.“
„Ah, warum?“
„Ich hatte die Stiefel ausgezogen und trug sie bei mir. Während des Kampfs entfielen sie mir. Sie haben sie gefunden, und Margot wird sofort sehen, daß es die meinigen sind.“
„Welch eine Unvorsichtigkeit! Konnten Sie Ihre Fußbekleidung denn nicht irgendwo verstecken?“
„Daß man sie unterdessen fand! Nein. Wäre der Panzer nicht gewesen, so hätte alles die gewünschte Wendung genommen; so aber hat sich alles nur auf das Schlimmste zugespitzt.“
„Aber ich sehe doch, daß Sie Stiefel anhaben!“
„Glauben Sie etwa, daß ich in Strümpfen oder gar barfuß hierher kommen konnte?“
„Woher haben Sie die Stiefel erhalten?“
„Es sind die meinigen. Ich rannte sofort nach Hause, um ein anderes Paar anzuziehen.“
„Unbemerkt?“
„Hm! Dieser verdammte Portier öffnete persönlich. Ich glaube, er hat bemerkt, daß ich in Strümpfen war. Aber ich habe ihm befohlen, nichts zu erzählen.“
„Das war klug von Ihnen“, sagte er, „ganz außerordentlich klug, denn nun wird er es erst recht erzählen.“
„Das Trinkgeld, welches ich ihm gab, wird ihm den Mund verschließen.“
„Ah! Wieviel gaben Sie?“
„Volle fünf Franken!“
„Volle fünf Franken!“ rief der Baron mit spöttischem Erstaunen. „Donnerwetter, ist das eine Summe! Na, Kapitän, lassen Sie sich entweder auslachen oder bedauern! Aber der Fehler ist einmal gemacht; er läßt sich nicht ändern. Hat der Portier gesehen, daß Sie das Haus wieder verlassen haben?“
„Ja.“
„So wird er Ihrer Schwester, sobald sie zurückkehrte, alles erzählt haben. Was gedenken Sie zu tun, wenn Sie morgen gefragt werden?“
„Von wem?“
„Von Mutter und Schwester, von Königsau selbst, von irgendwem, vielleicht sogar von der Kriminalpolizei, vom Richter.“
„Ich werde ihnen geradezu ins Gesicht lachen.“
„Gut! Man wird Ihnen nichts anhaben können, denn ich werde Ihr Alibi beweisen, Sie sind während der betreffenden Zeit bei mir gewesen.“
„Aber wenn Sie schwören müssen, Baron?“
„So werde ich natürlich schwören. Wir sind Verbündete und müssen uns unterstützen. Ich werde Sie auf keinen Fall sitzenlassen; das ist aber auch alles, worauf Sie von meiner Seite aus rechnen können.“
Der Kapitän verstand ihn gar wohl, ließ sich dies jedoch nicht merken. Er füllte sich das Glas, trank es bis zur Neige aus und sagte dann scheinbar gelassen:
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Daß wir zu Ende sind.“
„Ah, inwiefern?“
„Sie haben Ihre Aufgabe nicht gelöst und sich in eine fatale Lage gebracht. Ich werde Ihnen behilflich sein, aus dieser Lage zu kommen; weiter aber kann ich nichts für Sie tun. Ich bin gezwungen, Ihnen morgen Ihre Akzepte zu präsentieren.“
„Unsinn!“
„Warum Unsinn? Es gibt nur ein Mittel, diesen Deutschen loszuwerden; das ist sein Tod. Sie haben das nicht fertiggebracht und werden es auch nicht fertigbringen.“
„Wer sagt das?“
„Ich, denn ich kenne Sie. Übrigens ist er jetzt gewarnt. Ja, wenn noch heute etwas geschehen könnte. Aber er wird sich nun zu Hause befinden.“
„Das bezweifle ich sehr.“
„Wieso?“
„Sie wollen Menschenkenner sein? Gestatten Sie, daß ich nicht daran glaube! Mein Dolch ist zwar von der Brust abgeglitten, ihm aber tief in den Arm gefahren; ich habe das ganz genau gefühlt. Glauben Sie, daß meine Schwester ihn gehen lassen wird? Sie hat ihn ganz sicher mit sich zurückgenommen, um ihn zu verbinden.“
„Hm, das ist nicht schwer zu glauben! Wenn man nur erfahren könnte, ob er sich dort befindet!“
„Wie ich Margot kenne, so garantiere ich, daß er sich dort befindet. Ich behaupte es.“
„Und wann wird er gehen?“
„Jedenfalls nicht sogleich.“
„Hm!“ brummte der Baron nachdenklich, indem er vor sich hinblickte.
„Was meinen Sie?“
„Ich habe da einen Gedanken.“
„Welchen?“
„Ist diese Tür wirklich gut geschlossen, so daß uns niemand hören kann?“
„Gewiß.“
Da legte sich der Baron über den Tisch hinüber und fragte mit lauerndem Blicke:
„Wollen Sie den Kerl so entkommen lassen?“
„Fällt mir nicht ein!“ antwortete der Kapitän finster. „Nun muß er erst recht daran glauben. Es ist mir jetzt ganz unmöglich, meine Rechnung zu zerreißen.“
„Aber er wird sich von jetzt an doppelt vorsehen.“
„Ist mir gleich.“
„Er wird Sie morgen vielleicht anzeigen!“
„Er mag es tun.“
„Er wird vielleicht Paris verlassen und uns entkommen.“
„Das geht nicht so schnell.“
„Oh, man spricht von dem baldigen Abzug der Deutschen!“
„So muß ich um so schneller handeln.“
„Gut! Aber wann?“
„Übermorgen, morgen, wenn es paßt. Ich werde es mir überlegen.“
„Übermorgen? Morgen? Überlegen? Sind Sie klug oder nicht, Kapitän?“
„Was wollen Sie?“
„Morgen und übermorgen wird es bereits zu spät sein. Wissen Sie, wann gehandelt werden muß?“
„Nun?“
„Bereits heute.“
„Alle Teufel, Sie haben es notwendig!“
„Weil dies das klügste und beste ist.“
„Aber wissen Sie, was dazu gehört?“
„Nichts als ein klein wenig Entschlossenheit.“
„Die ist da. Aber wer schafft mir die passenden Umstände, ohne welche es nicht geht?“
„Ich.“
„Sie?“ fragte der Kapitän erstaunt.
„Ja, ich“, antwortete dieser.
„Erklären Sie sich deutlicher!“
„Nun, die Sache ist sehr einfach. Stirbt der Kerl noch heute, so kann er nicht gegen Sie auftreten, ich zerreiße Ihre Wechsel und bekomme Margot zur Frau.“
„Aber der Panzer.“
„Wir geben ihm eine Kugel.“
„Das macht Lärm.“
„Wir stellen uns natürlich nicht hin.“
„Sie sagen ‚wir‘. Sie meinen also sich selbst damit?“
„Ja. Ich muß Margot partout haben. Ich weiß nicht, wie das kommt, aber ich bin bei Gott in dieses Mädchen vernarrt, daß ich alles hingeben würde, es zu besitzen. Ich sehe ein, daß es für Sie allein schwierig ist, diesem Deutschen entgegenzutreten, und werde Sie unterstützen.“
„Das heißt, Sie wollen mich begleiten?“
„Ja.“
Der Kapitän sah ihn erstaunt an. Endlich glaubte er zu erraten, welchen Grund der Baron habe, sich persönlich an dieser gefährlichen Affäre zu beteiligen. Er sagte daher:
„Ah, Sie gehen als eine Art Aufseher mit?“
„Hm!“ brummte der Gefragte, ohne eine weitere Antwort zu geben.
„Um sich zu überzeugen, ob ich ein Feigling bin oder nicht?“
Richemonte hatte das Richtige erraten. Aber Reillac wollte ihn nicht aufs neue erzürnen; daher antwortete er:
„Unsinn! Jemandem eine Kugel durch den Kopf zu treiben ist leichter, als mit dem Dolch in der Faust mit ihm zu kämpfen, wie Sie es ja bereits getan haben.“
„Das meine ich auch“, sagte der Kapitän befriedigt.
„Ich bin überzeugt, daß Sie keinen Fehlschluß tun werden. Wenn ich erkläre, mich persönlich zu beteiligen, so ist das nicht Mißtrauen, sondern es hat seine Gründe.“
„Welche?“
„Es kann einer dem anderen beistehen, wenn irgendein unvorhergesehener Fall eintreten sollte. Sodann ist es diese Nacht sehr finster. Man muß sich vor dem Schuß überzeugen, ob man auch auf den Richtigen zielt.“