„Ja, aber nicht nach der vorderen Tür. Kennen Sie das kleine Nebengäßchen?“
„Ja.“
„Mein Garten stößt daran. In der Mauer befindet sich ein kleines Pförtchen, sehr leicht zu treffen, da es das einzige Gäßchen ist. Dort erwarten wir einander, wenn wir gezwungen sein sollten, uns zu trennen. Jetzt kommen Sie. Aber schießen Sie nur dann, wenn wir wirklich Königsau vor uns haben!“
Sie schritten leise über die Straße hinüber und warteten. Es verging einige Zeit, da hörten sie nahende Schritte. Sie drückten sich sehr tief in den Türbogen, um nicht sofort gesehen zu werden. Der Kapitän zog die Pistole hervor, und der Baron fuhr mit der Hand nach der Laterne.
„Aufgepaßt!“ flüsterte der letztere. „Das wird er sein. Sobald er hier bei uns stehenbleibt, um dem Portier zu klingeln, leuchte ich ihm plötzlich ins Gesicht. Sie halten ihm den Lauf dicht an die Schläfe und drücken los. Er ist sofort tot.“
Die Schritte kamen immer näher. Da sagte der Kapitän leise:
„Dieses Mal ist es nichts. Diese Schritte klingen nicht wie diejenigen eines Offiziers. Aber seien wir trotzdem gefaßt. Geht er vorüber, so ist er es auf keinen Fall.“
Der Erwartete kam langsam herbei. Den beiden Lauernden klopfte vor Erregung das Herz, dieses Mal jedoch unnützerweise. Der Mann ging vorüber.
Erst nach einer Pause meinte der Kapitän:
„Ich hatte Recht, aber ich wollte, Königsau wäre es gewesen.“
„Warum?“
„So wäre jetzt die Geschichte vorüber.“
„Ah! Haben Sie Angst?“
„Pah, Angst! Sie taxieren mich noch immer zu niedrig, wie ich höre. Aber warten wir!“
Und sie warteten. Es vergingen kaum zwei Minuten, so hörten sie abermals Schritte, welche sich auf ihrer Seite der Straße näherten. Richemonte lauschte und erklärte dann:
„Das ist ein Soldat, das ist ein Offizier.“
„Wirklich?“
„Ich gehe jede Wette ein.“
„Gut, Sie sind in diesem Fach Kenner. Geht er vorüber, so ist es wohl ein anderer, bleibt er stehen, so werde ich ihn anleuchten. Aber nur schießen, wenn er es ist.“
Die kräftigen, militärischen Schritte kamen näher. Jetzt war jener noch zehn Schritte von ihnen entfernt, dann acht, sechs, vier – da blieb er stehen. Sie konnten wegen der Dunkelheit nicht sehen, was er tat, aber es schien, als ob er emporblickte, um die Fensterfront zu mustern. Der Kapitän stieß den Baron an. Dieser zog die Laterne hervor, richtete die vordere Seite ganz auf die Gestalt und öffnete. Sofort wurde diese von einem hellen, blendenden Licht überflutet, während die beiden anderen im tiefsten Dunkel standen.
„Donnerwetter!“ rief der Mann, und dann fügte er in gebrochenem Französisch, welches ganz schrecklich klang, hinzu: „Wer seid ihr? Was macht ihr hier?“
Die beiden Männer waren fürchterlich erschrocken, denn sie hatten – den Feldmarschall Blücher erkannt. Der Baron klappte schleunigst seine Laterne zu, um zu verhüten, daß ihr Licht auf ihn selbst falle. Dabei aber machte er mit der Hand eine unwillkürliche Drehung, und das Licht fiel für einen kurzen Moment seitwärts, wo der Kapitän stand. Dieser hatte die Pistole bereits zum Schuß erhoben gehabt, aber vor Schreck die Hand halb wieder sinken lassen. Der Lichtblitz fiel nicht auf ihn, aber doch auf die Hand, welche die Pistole hielt. Blücher war zu sehr Soldat, um nicht die Waffe sofort zu bemerken, aber er besaß auch Schlauheit genug, um einen Fehler zu vermeiden. Als die beiden infolge ihres Schreckens nicht antworteten, wiederholte er:
„Ich frage, wer ihr seid, und was ihr hier wollt.“
Da faßte sich der Kapitän und antwortete:
„Wir sind crieurs de nuit – Nachtwächter.“
„Warum steht ihr hier?“
„Wir warten hier auf unsere Ablösung.“
„So, so! Zeigt doch einmal eure Gesichter! Nehmt die Laterne heraus!“
Das war ein schlimmer Befehl, aber der Baron wußte sich zu helfen. An der Laterne befand sich eine kleiner Schieber, um das Licht auszulöschen. Ein leichter Fingerdruck genügte, um dies zu bewirken.
„Sogleich“, antwortete er.
Bei diesen Worten griff er in die Tasche, drückte an den Schieber und zog die Laterne hervor.
„Ah!“ meinte er in bedauernden Ton. „Sie sind soeben ausgelöscht.“
„So mag es sein. Gute Nacht.“
Mit diesen Worten wandte Blücher sich um und schritt weiter.
„Donnerwetter, der Marschall!“ sagte der Kapitän. „Wer hätte das gedacht!“
„Und in Zivil! Sie hatten doch Recht, daß es ein Offizier sei.“
„Wissen Sie Baron, daß wir einen großen Fehler begangen haben?“
„Welchen?“
„Ich sollte ihn niederschießen.“
„Himmel! Warum?“
„So wäre Frankreich gerächt gewesen.“
„Allerdings, und ich auch, denn er hat den Freiersmann gemacht.“
„Ich war bei Gott ein Tor!“
„Nein, es ist besser so. Hätten wir jetzt erschossen, so wäre uns Königsau entgangen, und daß wir ihn treffen, ist jetzt die Hauptsache.“
Die beiden fühlten es bereits, aber sie gaben sich keine Rechenschaft darüber, daß es der Eindruck der gewaltigen Persönlichkeit des Marschalls und seines Rufes gewesen war, der sie erschreckt und verwirrt hatte. Dieser Eindruck ist sehr wohl imstande, eine bewaffnet erhobene Hand wieder sinken zu lassen.
„Ob er auch glaubt, daß wir Nachtwächter sind?“ fragte Richemonte.
„Es klang nicht so.“
„Ja, er wollte uns sehen. Wie gut, daß Sie den Gedanken hatten, die Laterne zu verlöschen. Er hätte uns sofort erkannt.“
„Ganz gewiß. Er scheint mir nun nicht mehr ganz geheuer zu sein. Ich möchte wissen, ob er in seine Wohnung tritt oder nicht.“
„Warum?“
„Tritt er ein, so ist alles gut. Geht er weiter, so ist sehr zu befürchten, daß er erraten hat, auf wen wir warten.“
„Horchen wir also!“
Sie lauschten, aber es ließen sich keine Schritte mehr hören.
„Er scheint doch hineingegangen zu sein“, meinte der Kapitän. „Man hört nichts.“
„Hm, ungewiß! Wir haben gesprochen, anstatt aufzupassen. Aber wir müssen Gewißheit haben, denn das ist das Notwendigste jetzt.“
„Wie diese aber bekommen?“
„Sehr leicht. Er hat doch zwei Ehrenposten an der Tür. Ich gehe hin und frage.“
„Gut. Aber wenn inzwischen Königsau kommt?“
„So geben Sie ihm die Kugel oder alle beide. Ich gehe.“
Er ging langsam im gemütlichen Schritt eines aus dem Wirtshause Heimkehrenden nach links hinauf, wo das Palais stand, welches Blücher bewohnte. Die beiden Posten standen zu seiten des Portals.
„Guten Abend“, grüßte er.
Einer der beiden radebrechte ein wenig Französisch und erwiderte seinen Gruß.
„War der Mann, welcher jetzt kam, der Feldmarschall Blücher selbst?“
„Ja“, antwortete der Posten auf diese Frage.
„Ist er weitergegangen?“
„Nein“.
„Also eingetreten?“
„Ja.“
Der Baron wandte sich befriedigt um und kehrte zu seinem Gefährten zurück, dem er die erhaltene Auskunft mitteilte. Er bückte sich dann nieder und zündete seine Laterne von neuem an, um bereit zu sein, wenn ihr Opfer erscheine.
Sie hielten sich wieder für sicher und doch täuschten sie sich. Blücher war seiner persönlichen Schlauheit wegen bekannt. Er hatte Verdacht gefaßt, sich aber wohl gehütet, ihn merken zu lassen. Als er von ihnen fortging, murmelte er:
„Nachtwächter wollen sie sein? Wart, ich werde sie benachtwächtern! Der eine hat die Laterne und der andere die Pistole? Verdammte Bande ist es, die hier irgendeinem auflauert! Und wer ist dieser eine? Tausend Teufel, doch nicht etwa der Königsau? Ich habe ihn gewarnt. Man will ihm zu Leibe! Sollte er noch bei seinem Mädel sein? Das ist unmöglich, obgleich es sehr spät ist, denn ein Verliebter horcht auf keinen Schwarzwälder Perpendikel. Ich muß sogleich hinschicken, aber wen? Wer weiß das Haus, und wer findet es? Niemand. Ich muß selber hin!“