Sie setzte also das Capuchon auf, schlang sich ein Tuch um die Schulter, nachdem sie schnell ein Oberkleid übergeworfen hatte, und ging.
Der Portier wunderte sich nicht wenig, als er bemerkte, wer es war, dem er abermals zu öffnen hatte.
„Um Gottes willen, Mademoiselle, was ist passiert, daß Sie wieder gehen?“ fragte er.
„Nichts, öffnen Sie nur schnell.“
Er sah beim Schein seiner Lampe ihre Blässe und fragte weiter:
„Wer war der Herr, der vorhin bei Ihnen klingelte und dann so stürmisch das Haus verließ? Ich konnte ihm gar nicht schnell genug öffnen.“
„Es war der Feldmarschall Blücher.“
„Mein Gott, da muß es sich um höchst wichtige Dinge handeln. Gehen Sie!“
Er ließ sie hinaus.
Sie wußte, daß der Geliebte die Richtung nach rechts eingeschlagen habe, und folgte derselben. Sie hatte kaum einige Schritte getan, so war es ihr, als ob sie in weiter Ferne zwei Schüsse schnell hintereinander fallen höre. Wem galten dieselben? Hingen sie im Zusammenhange mit der Gefahr, welche Blücher angedeutet hatte? Sie ertönten aus der Gegend, in welcher Königsau wohnte.
Es erfaßte sie eine unendliche Angst. Sie ging eiligen Schritts die Straße hinab und bog dann links um die Ecke. Dann ging es weiter. Sie sah in der Ferne Laternen, weit, weit unten. Sie eilte weiter, immer weiter. Die Laternen verschwanden wieder und nachher kam sie an das Haus, welches nach der erhaltenen Beschreibung von Königsau mit bewohnt wurde. Sie sah an keinem einzigen Fenster Licht. Wäre der Geliebte nach Hause gekommen, so hätte er sich sicher wenigstens eine Kerze angebrannt. Ihre Angst wuchs.
Da vernahm sie weiter unten Stimmen; sie ging darauf zu. Vielleicht konnte sie hier Etwas hören. Sie kam näher und näher. Da hörte sie die lauten Worte:
„Gute Nacht, lieber August!“
Sie erkannte sofort die Stimme, welche diese Worte gesprochen hatte. Es war diejenige des Feldmarschalls, und wenn sie ja geglaubt hätte, sich zu irren, so erhielt sie den Beweis, daß sie recht gehört hatte, durch die darauf folgende Antwort:
„Gute Nacht, Exzellenz!“
Sie eilte auf die Stelle zu und kam an dem Tor an. Sie sah die beiden Posten.
„War der Feldmarschall hier?“ fragte sie.
„Ja,“ wurde ihr geantwortet.
„So muß ich zu ihm!“
Sie wollte in das Tor treten; da aber hielt ihr der eine Posten das Gewehr quer vor und sagte:
„Hier darf niemand passieren!“
„Aber ich muß zu ihm!“
„Kommen Sie am Tag wieder.“
Blücher hatte bereits den Anfang der Treppe erreicht, als er draußen noch lautes Reden hörte. Er blieb stehen und horchte. Er hörte eine Frauenstimme und dann die Antwort des Postens, daß sie morgen wiederkommen solle. Da fragte er, laut rufend:
„Wer ist denn noch draußen?“
„Ein Frauenzimmer, Exzellenz!“ antwortete der Posten zurück.
Er mochte ein biederer Märker oder Pommer sein, bei dem alles gleich war, ob Dame oder Frau, Mädchen oder Fräulein.
„Ein Frauenzimmer?“ antwortete Blücher. „Weiter nichts? Es soll sich zum Teufel scheren. Nachts drei Uhr gebe ich keiner alten Schachtel Audienz!“
„Sie ist jung, Exzellenz,“ wagte der Mann zu bemerken, aber immer in einem schreienden Ton, um von dem Marschall gehört zu werden.
„Jung?“ brüllte dieser zurück. „Laß dich nicht bemeiern, Junge. Sie lügen sich alle um elf Jahre jünger; jage sie fort!“
„Sie sagt, daß Sie mit Exzellenz bekannt sei!“
„Das ist nicht wahr!“
„Exzellenz sind erst vorhin bei ihr gewesen.“
„Das ist eine Lüge! Ich besuche kein Frauenzimmer. Gib ihr eins auf den Schnabel!“
„Sie meint, ich solle nur den Namen Richemonte sagen,“ rief der Posten.
„Richemonte? Heiliges Elend! Kerl, bist du verrückt, mein Sohn!“
Bei diesen Worten kehrte er sich um und eilte zurück. Als er an den Eingang gelangte, hatte er noch die beiden Stiefel unter den Armen. Er sah Margot stehen und erkannte sie sofort. Da trat er zum Posten und sagte:
„Mensch, Esel, August! Du bist das größte Kamel, was in der Wüste Sahara Datteln und Radieschen frißt! Siehe einmal hierher! Ist das ein Frauenzimmer, he, ein Frauenzimmer?“
Der Mann sah den Marschall ganz verblüfft an und antwortete:
„Zu Befehl, Exzellenz!“
„Ein Frauenzimmer? Wirklich?“
„Zu Befehl!“
„Halte das Maul mit deinem Befehl! Wer hat dir den Befehl gegeben, diese Mademoiselle für ein Frauenzimmer auszugeben, du Waschbär von einem August?“
„Verzeihung, Exzellenz, es ist doch keine Mannsperson!“
Dieser Gegenbeweis schmetterte für den ersten Augenblick den Marschall förmlich zurück. Es wurde ihm ganz fremd im Kopf, und er sagte:
„Hm, das ist nicht übel gesagt! Eine Dame ist eigentlich auch ein Frauenzimmer; aber siehst du, mein Sohn, in Paris gibt es bloß Madame und Mademoisellen. Hättest du mir gesagt, daß eine Mademoiselle da sei, so hätte ich dir nicht befohlen, sie zum Teufel zu jagen. Eigentlich sollte ich dir deines Unsinns wegen diese Stiefeln gelinde um den Kopf herumschlagen, aber weil du in deiner Unschuld nicht weißt, was eine Mademoiselle ist, und es ihr gleich angesehen hast, daß sie keine Mannsperson ist, so will ich Gnade für Recht ergehen lassen und dich mit einem einfachen Verweise abrüffeln. Nimm dir das zu Gemüte, aber stirb mir ja nicht daran; denn es wäre jammerschade um so einen August!“
Jetzt war er mit dem Posten fertig, und nun wendete er sich direkt an Margot. Diese trat näher und bat:
„Verzeihung, Ew. Exzellenz! Die Angst ließ mich nicht zu Hause bleiben; dann hörte ich gar noch Schüsse fallen –!“
„Nicht ich habe Ihnen zu verzeihen, sondern Sie mir, Mademoiselle“, antwortete er. „Ich störte Sie zu so später Stunde und ging fort, ohne Ihnen Auskunft zu erteilen. Das war höchst unhöflich von mir. Bitte, kommen Sie mit mir.“
Er schritt ihr voran, und sie folgte. Er führte sie die Treppe empor in ein hell erleuchtetes Zimmer. Dieses war jedenfalls ein Damenboudoir gewesen. Die Rokokomöbel waren aus Rosenholz, mit Sandel ausgelegt, die Polster und Kissen alle von feinster Seide. Köstliche Uhren und Vasen, herrliche Leuchter und Nippes waren zu sehen, aber neben der Stutzuhr im Wert von wenigstens fünftausend Franken lag der Stiefelknecht; an einer marmornen Venus hing ein alter Tabaksbeutel von Schweinsblase, und auf der Bettdecke von echt persischer Seide paradierten ein Paar dreckige Kanonenstiefel. Eine köstliche Schatulle war mit zerbrochenen Pfeifenköpfen angefüllt, und überall, sogar auf dem Fußboden, lagen Landkarten, Risse, Berichte und Briefkuverts zerstreut umher.
„So, Mademoiselle, das ist meine Studierbude“, sagte er. „Nehmen Sie Platz! Setzen Sie sich, wohin Sie wollen, nur nicht auf mich selbst, und sagen Sie mir getrost, was Sie auf dem Herzen haben.“
Er stand vor ihr, noch immer die Stiefel unter den Armen. Sie war gewiß sehr in Angst und Betrübnis, aber sie hätte doch fast lächeln müssen bei dem Anblick des alten Haudegens, der jetzt beinahe wie ein ehrsamer Flickschuster vor ihr stand.
„Der Besuch Eurer Exzellenz hat mich in die fürchterlichste Unruhe versetzt“, sagte sie. „Galt derselbe meinem Bräutigam?“
„Ja. Zu Ihnen hätte ich sonst doch um diese Zeit nicht kommen dürfen.“
„Oh, sagen Sie, befindet sich Hugo in Gefahr?“
„Hugo? Hm! Wer ist das?“
„Herr von Königsau nennt sich Hugo.“
„Ah so! Siehste, Alter, also ein Hugo biste? So, so! Nun, allerdings befand sich dieser Hugo in Gefahr, Mademoiselle!“
„Mein Gott! War sie groß?“
„Hm! Man wollte ihn ein wenig erschießen.“