„Was lachst du, he? War's etwa bloß Torf und keine Steinkohlen?“
„Es müssen doch Steinkohlen gewesen sein, Exzellenz, denn dem Herodes ist dabei die ganze obere Hälfte des Kopfes weggebrannt. Übrigens möchte ich nicht sagen, daß es mir sehr leicht wird, den Baron entkommen zu lassen. Er geht uns nichts an; wir sind ihm keine Rücksichten schuldig, und er wütet als Todfeind gegen uns.“
„Da weiß ich Hilfe“, meinte Blücher. „Anstatt sie unschädlich zu machen, will ich euch unverletzlich machen; beides führt zu ganz demselben Ziel. Wie wäre es, wenn ich dich nach Berlin schicke, mein Junge?“
„Oh, Exzellenz, soll Margot ohne meinen Schutz hier zurückbleiben?“
„Nein. Ich habe vorhin mit ihr darüber gesprochen. Frau Richemonte hat da in Belgien eine nahe Verwandte. Dorthin reisen die beiden Damen morgen ab, und kein Mensch erfährt, wo sie sich befinden. Dort werden die beiden Spitzbuben dir die Margot sicherlich nicht ausgattern.“
„Dieser Vorschlag ist prächtig, Exzellenz! Führen wir ihn aus, so entziehen wir uns den Verfolgungen und sind nicht zur Rache gezwungen.“
„Siehst du! Ich habe heute bereits einmal gesehen, daß der Blücher ein guter Amtskopist hätte werden können. Und was dich betrifft, so bringst du die Damen an Ort und Stelle und gehst dann nach Berlin. Du wirst schon noch erfahren, wozu. Aber du wirst da heute den ganzen Tag bei mir sein müssen, um mir zu helfen, die dazu nötigen Schreibereien anzufertigen.“
„Ich stehe ganz zu Befehl, Exzellenz!“
„Gut. So führe jetzt dein Mädel nach Hause, wie es einem richtigen Burschen geziemt. Punkt neun Uhr bist du bei mir; da geht das Arbeiten los, und erst am Abend sehen wir uns alle wieder. Damit euch aber nicht wieder etwas Schlimmes widerfährt, gebe ich euch acht Mann Garde mit, unter scharf geladenem Gewehr, vier Mann auf der einen, vier Mann auf der anderen Seite der Straße und ihr in der Mitte. Hier ist der Befehl, mein Junge; gib den Wisch unten in der Wachstube ab. Und nun gute Nacht, Kinder! Und wenn ihr euch küßt, so macht nicht zu viel Lärm dabei; leise und zart schmeckt's viel besser.“
Sie gingen und erreichten unter der erwähnten Bedeckung glücklich die Wohnung Margots. Der Portier öffnete wieder persönlich.
„Verzeihung, Mademoiselle“, sagte er, „Sie waren bei dem Marschall Blücher?“
„Ja“, antwortete sie.
Er machte eine außerordentlich tiefe Reverenz, und als sie außer Hörweite von ihm waren, brummte er leise in den Bart:
„Der ist sicher kein Lieutenant, sondern irgendein Prinz inkognito, sonst würden die beiden nicht so intim mit dem berühmten Marschall sein. Na, ich gönne es Mademoiselle Margot von ganzem Herzen, eine Prinzessin zu werden.“
Margot war ganz erfüllt von dem, was sie erlebt und mit dem Marschall besprochen hatte. Sie konnte nicht anders, sie weckte ihre Mutter, und als diese vernahm, um was es sich handle, verzichtete sie gern auf die Fortsetzung der unterbrochenen Nachtruhe. Königsau wurde nicht fortgelassen; er mußte bleiben.
Frau Richemonte erschrak zwar außerordentlich, als sie erfuhr, in welcher Lebensgefahr sich der Lieutenant befunden habe, und daß Margot nochmals so kühn gewesen sei, sich auf die Straße zu wagen; da jedoch alles so glücklich abgelaufen war, so wurde es ihr nicht schwer, sich bald wieder zu beruhigen.
Den Vorschlag Blüchers, die Freundin aufzusuchen, fand sie ganz und gar akzeptabel. Sie war von dieser Dame hundert Mal eingeladen worden, ohne dieser Einladung Folge leisten zu können. Sie war gewiß, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, und schrieb stehenden Fußes einen Brief, in welchem sie ihre Ankunft meldete und den Königsau schleunigst zu besorgen versprach.
Es wurde ausgemacht, das Einpacken der mitzunehmenden Effekten so geheim wie möglich zu betreiben. Das Dienstmädchen sollte entlassen werden und nicht erfahren, wohin die Reise gehe. Von der Freundin würden Mutter und Tochter später nach Berlin kommen, wo die Hochzeit sein solle; daher beschloß man, alles schwere Gepäck zu vermeiden und Meubles und anderes Gerät unter der Hand zu verkaufen. Das würde der gute Papa Blücher wohl auch bewerkstelligen, so daß auch hierbei ein Verrat des Aufenthaltsortes der beiden Damen nicht zu befürchten sei.
Unter diesen Gesprächen und Beratungen verging die Zeit. Es wurde Tag, und als es acht Uhr schlug, mußte Königsau aufbrechen, um zur bestimmten Stunde bei dem Marschall zu sein.
Während Königsau mit diesem in allerlei wichtigen und geheimnisvollen Schreibereien vertieft war, hatten Mutter und Tochter genug zu tun, um ihre wirtschaftlichen Fragen und Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, damit morgen ihrer Abreise nichts im Wege stehe. Die Mutter war in letzter Zeit immer leidend gewesen; der Kummer und Gram über ihren Stiefsohn hatten zu tief auf sie eingewirkt, und als nun der Abend kam, da fühlte sie sich so angestrengt und ermüdet, daß sie sich legen mußte, um sich für die Reise auszuruhen.
„Du denkst, der Marschall wird kommen?“ fragte sie dabei Margot.
„Entweder das, oder er lädt uns zu sich ein, Mama. Er hat ganz bestimmt gesagt, daß heute abend noch alles Nötige besprochen werden soll.“
„Wenn er kommt, so werde ich aufstehen müssen, schickt er aber eine Einladung, so wirst du mich entschuldigen müssen, ich bin heute wirklich zu schwach, ihr zu folgen. Vielleicht finde ich morgen noch Zeit, mich von ihm zu verabschieden und ihm zu danken für alles, was er uns so Liebes und Ungewöhnliches getan hat.“
Es war draußen dunkel geworden, und Margot hatte vor einer Viertelstunde Licht angebrannt, als sie auf der Straße das Rasseln eines Wagens vernahm, welcher unten an der Tür zu halten schien. Nach wenigen Augenblicken läutete es an der Glocke. Sie ging selbst, zu öffnen, und erblickte einen jungen Offizier in deutscher Uniform mit der Adjutantenschärpe.
„Verzeihung, Mademoiselle“, sagte er unter einer eleganten Verneigung, „komme ich hier recht zu Frau Richemonte!“
„Gewiß; bitte treten Sie ein, Herr Lieutenant!“
Sie führte ihn in den Salon und nötigte ihn zum Sitzen; er lehnte dies jedoch mit den höflichen Worten ab:
„Entschuldigen, daß ich, ehe ich Ihrem Befehle gehorche, mich zuvor meines Auftrages entledige! Ist Frau Richemonte zu sprechen?“
„Leider nein. Sie befindet sich nicht wohl.“
Über das Gesicht des Offiziers ging ein schnelles Lächeln der Befriedigung, welches Margot aber nicht beachtete. Er sagte im Ton des Bedauerns:
„So gestatten Sie, daß ich kondoliere, gnädiges Fräulein! Ich habe doch die Ehre, Fräulein Richemonte vor mir zu sehen?“
Sie antwortete durch eine bejahende Verneigung.
„Nun, dann teile ich Ihnen mit, daß ich als Ordonnanz seiner Exzellenz, des Herrn Feldmarschalls von Blücher komme. Exzellenz lassen die beiden Damen höflichst ersuchen, bei ihm das Souper einzunehmen; da sie jedoch wußten, daß Ihre gnädige Frau Mama in letzter Zeit immer leidend gewesen ist, so bin ich beauftragt, die Dame von der Befolgung der Einladung zu dispensieren.“
„Ich danke Ihnen, mein Herr! Wir haben diese Einladung fast erwartet und uns bereits besprochen, daß Mama ablehnen muß. Ich aber werde sogleich mit Ihnen kommen und bitte nur um einen Augenblick Geduld, um Mama zu benachrichtigen. Ist Lieutenant von Königsau bei Exzellenz?“
„Allerdings.“
„Er wird mich dort erwarten. Da ich schon vorbereitet bin, so nimmt meine Toilette keine Zeit in Anspruch. Ich stehe gleich zu Diensten!“
Als sie in das Nebenzimmer getreten war, sah sich der angebliche Offizier erstaunt um und murmelte:
„Bei Gott, ich bin ganz versteinert! Ich glaubte hier auf Schwierigkeiten zu stoßen, welche man nur mit der größten diplomatischen Finesse beseitigen kann, und nun geht alles wie genudelt. Man ist vorbereitet: man hat bereits Toilette gemacht; man nimmt die Mama nicht mit. Wenn mir nur dieser verteufelte Königsau nicht in die Quere kommt; dann habe ich gewonnen.“