»Gehen wir hinein«, sagte Jacob. »Dann wissen wir es genau.«
Vorsichtig schlichen sie um das Gebäude herum und beobachteten eine Weile das Farmhaus. Dort war alles ruhig. Sie zogen den Riegel vom Stalltor, öffneten es ein kleines Stück, schlüpften hinein und zogen das Tor wieder zu.
Schlagartig ließ das Heulen des Windes etwas nach. Es tat wohl, einmal nicht dicke Regentropfen ins Gesicht gepeitscht zu bekommen.
»Pferde!« stieß Jacob hervor, als er vier Tiere in den Boxen erblickte.
Eins davon war gesattelt. Jacob erkannte es auf den ersten Blick: Tom Bidwells sehniger Schecke mit dem perlenbestickten Scabbard.
»Du scheinst mir die Wahrheit erzählt zu haben«, sagte Jacob zu seinem Begleiter. »Wenn ich bloß wüßte, wer Bidwells Freunde sind und was sie hier zu besprechen haben!«
»Darüber können Sie sich Gedanken machen, wenn wir den Stall wieder verlassen haben«, erwiderte das Halbblut. »Wenn man uns hier drin erwischt, wäre das sicher nicht gut.«
»Sicher nicht«, gab ihm Jacob recht und ging zurück zum Tor.
Als er es ein Stück aufgeschoben hatte, starrte er direkt in ein kleines schwarzes Loch. Ein gefährliches Loch. Tödlich gefährlich. Die Mündung eines Revolvers.
Insgesamt waren vier Waffen auf Jacob und Calhoun gerichtet. Eine davon war Tom Bidwells Allen & Wheelock-Revolver mit dem ungewöhnlichen Hammer, an der rechten Seite der Waffe angebracht.
»Sieh an«, sagte Oregon Tom. »Besuch von Mr. Adler.«
»Du kennst die Figuren?« fragte der Mann, in dessen Mündung Jacob geschaut hatte, ein großer Bulle mit einem gewaltigen schwarzen Schnauzbart, dessen Enden bis weit über sein Kinn hinunterreichten.
»Und ob, Hoss.« Bidwell zeigte auf Jacob. »Das hier ist ein Dutch, der zu den Auswanderern gehört.« Er richtete seine Waffe auf Calhoun. »Und dieses Halbblut hier kenne ich aus Kansas City. Es hat beim Pferderennen den zweiten Platz belegt. Allerdings weiß ich nicht, was es hier zu suchen hat.«
Jacob erklärte es in knappen Worten und fragte dann den Scout, was er auf der Farm mache.
Ein Grinsen glitt über Bidwells Gesicht.
»Ich halte hier ein kleines Schwätzchen mit meinen Freunden. Das siehst du doch, Dutch.«
»Ich nehme an, dieses Schwätzchen hat nichts Gutes für unseren Treck zu bedeuten.«
»Kluges Kind. Aber nicht klug genug. Mein Freund Hoss hier hat nämlich bemerkt, daß der Riegel nicht mehr vor dem Tor war, als er nach draußen trat, um sich zu erleichtern. Man sollte halt die menschlichen Bedürfnisse nicht unterschätzen.«
»Genug palavert«, meinte ein mittelgroßer, untersetzter Mann, der einen für diese Gegend zu fein wirkenden, dreiteiligen Anzug trug. »Gehen wir zurück ins Haus.«
»Und was machen wir mit den beiden Spitzeln, Jed?«
»Die kommen mit. Aber erst nehmen wir ihnen die Waffen ab.«
Nachdem Jacob entwaffnet worden war, wurden ihm und Calhoun mit Stricken die Hände auf den Rücken gefesselt. Sie wurden ins Farmhaus gebracht und mußten sich auf den Boden der großen Stube hocken.
Dann schickte der gutgekleidete Mann namens Jed den Bullen Hoss und den dritten Fremden, einen mageren, fast ausgemergelt wirkenden Burschen, den die anderen Skinny riefen, nach draußen, um die Pferde der beiden Gefangenen zu holen.
Jacob sah sich in der Stube um, die den gottverlassenen Eindruck bestätigte, den die Farm von draußen hervorrief. Der Staub lag knöcheltief auf dem Fußboden. Dicke Spinnennetze bedeckten die Ecken und waren zwischen den grobgezimmerten Möbeln gespannt. Auf dem viereckigen Tisch standen eine halbvolle Flasche und vier Blechtassen.
»Schau dich nur gut um, Dutch«, sagte Tom Bidwell höhnisch. »Etwas anderes wirst du in deinem Leben nicht mehr sehen. Es wird nämlich nicht mehr sehr lange dauern. Hast deine Nase etwas zu weit vorgestreckt.«
»Darf ich wenigstens erfahren, was das alles soll?«
Der Scout sah den Mann im Dreiteiler an, und der nickte zustimmend.
»Also gut«, meinte Bidwell und füllte eine Blechtasse mit der dunklen, bräunlichen Flüssigkeit aus der Flasche. »Vertreiben wir uns die Zeit mit ein wenig Geplauder.«
Er schaute kurz auf, als Hoss und Skinny zurückkehrten und meldeten, daß sie die beiden Pferde in den Stall gebracht hatten. Skinny hielt Jacobs Sharps in den Händen und legte sie auf den Tisch.
»Ich hatte niemals vor, den Treck nach Oregon zu bringen«, fuhr Bidwell fort. »Ursprünglich sollte ich euch dazu überreden, auf dem Land in Nebraska zu siedeln. Deshalb habe ich alles getan, die Reise zu verzögern. Das stürmische Wetter kam mir mehr als gelegen. Ich habe auch die Büffel wild gemacht und auf den Treck gehetzt. Dazu mußte ich natürlich diesen Miller über den Haufen schießen.«
»Warum?« fragte Jacob, angewidert von den Taten, mit denen der andere geprahlt hatte.
Der falsche Scout grinste erneut.
»Es hätte sich herausgestellt, daß das Land doch den Indianern gehört und nicht zur Besiedlung freigegeben ist. Dann wäre mein Freund hier, der ehrenwerte Mr. Jed Harper, aufgetreten und hätte den Siedlern Land zum Kauf angeboten, das ihm gehört.«
»Ich verstehe«, murmelte Jacob. »Wohl zu einem überhöhten Preis.«
»Sehr überhöht«, lachte Bidwell. »Aber ihr hättet das Angebot annehmen müssen, weil es viel zu spät gewesen wäre, auf den Oregon Trail zurückzukehren.«
»Und wenn wir den Preis nicht hätten bezahlen können?«
»Mr. Harper akzeptiert auch Schuldscheine. Wenn die allerdings nicht bezahlt werden können, fällt das Land an ihn zurück. Und sämtliche darauf befindliche Habe dazu.«
»Ich nehme an, unser Treck ist nicht der erste, der auf diese Weise ausgenommen wird.«
»Nein, Mr. Dutch, gewiß nicht.«
»Warum haben Sie eben gesagt, ursprünglich sei das Ihr Plan gewesen?«
»Weil die achtzigtausend Bucks alles verändert haben, Mann!«
»Welche achtzigtausend Bucks?«
»Die Mr. Asquith in Kansas City gestohlen wurden. Und die jetzt von Alan Clayton durch die Prärie geschaukelt werden.«
Jacob schaute Bidwell ungläubig an.
»Von Clayton?«
»Yeah, Mr. Ahnungslos. Was meinst du, weshalb er so erpicht darauf war, sich eurem Treck anzuschließen? Mir kam die Sache gleich spanisch vor. Ich habe ihn einmal früh morgens beim Waschen gesehen. Sein Verband verrutschte.
Darunter war keine Wunde zu sehen, nicht mal eine Narbe.«
»Aber das Blut.«.
»Pah, wahrscheinlich Hühnerblut. An dem Abend, als alle die Hochzeit gefeiert haben, auch Clayton und seine Hure, habe ich mich in den Wagen geschlichen. Und da war das Geld, gute US-Dollar, in Segeltuch eingeschlagen und in Proviantsäcke verpackt. Leider zuviel, um mich heimlich damit aus dem Staub zu machen.«
»Was haben Sie jetzt vor?«
»Ich werde den Treck morgen früh nach Norden führen. Wenn die Leute nicht nach Nebraska wollen, erzähle ich ihnen, ich hätte eine Furt entdeckt. Aber die Wagen werden in eine Falle rollen. Jed Harper hat eine kleine Armee zusammengetrommelt, ein halbes Hundert Outlaws. Wir werden die Auswanderer zusammenschießen, wenn sie sich nicht ergeben.«
»Wenn Sie Ihre Beute mit so vielen Männern teilen müssen, bleibt nicht viel für Sie und Mr. Harper übrig«, meinte Jacob.
»Die anderen wissen nicht, um was es geht. Wir teilen das Hab und Gut der Auswanderer unter ihnen auf, und sie verschwinden wieder. Es sind im Grunde arme Teufel, die sich über die Beute freuen werden. Gesetzlose, die in zivilisierten Gegenden gesucht werden. Darunter viele Deserteure, die lieber für eine lohnende Beute kämpfen, als für Abe Lincoln oder Jefferson Davis zu krepieren. Claytons Vermögen ist nur für unseren kleinen Kreis hier bestimmt.«
Wieder lachte er rauh, nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse und rülpste zufrieden. Als er die Tasse abgestellt hatte, zog er seinen fleckigen Allen & Wheelock, richtete ihn wie beiläufig auf Jacob und fragte: »Soll ich die Kerle jetzt umnieten, Jed?«