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Da waren die Millers, zu denen Jacob - wie auch zu den Kelleys - ein fast freundschaftliches Verhältnis hatte. Sie hatten ihre Farm an der blutigen Grenze zwischen Kansas und Missouri aufgegeben, weil der ewige Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern der Sklaverei, die in Kansas verboten und in Missouri erlaubt war, sie zermürbt hatte.

Und der Wagen mit Custis Hunter, Virginia Cordwainer, ihrem gemeinsamen kleinen Sohn Bobby, dem freigelassenen Sklaven Melvin und Virginias ehemaligem Hausmädchen Beth. Jetzt, auf dem Treck, hätte die korrekte Berufsbezeichnung für die Schwarze »Wagenmädchen« lauten müssen. Oder besser »Kinderfrau«, da es ihre Hauptaufgabe war, auf den kleinen Bobby aufzupassen. Das Kind hatte den Namen Robert von Custis Hunters ermordetem Vater übernommen.

Die Taufe sollte erst noch erfolgen, durch Abner Zachary. Genauso die Hochzeit von Custis und Virginia und wohl auch die von Melvin und Beth, die dann das Ehepaar Freeman sein würden. Freeman, freier Mann, diesen Namen hatte sich Melvin erst gegeben, als er kein Sklave mehr war.

Aber Jacob hatte nicht nur Freunde im Treck. Fast feindschaftlich gegenüber stand ihm die irische Familie O'Rourke. Die Brüder Patrick und Liam O'Rourke hatten sich bei dem versuchten Lynchmord an Martin hervorgetan, und Jacob hatte ihnen zusammen mit Bowden Webb, dem City Marshal von Kansas City, den tödlichen Spaß verdorben.

Als der letzte Wagen an Jacob vorübergerumpelt war, folgte die Viehherde. Weit verstreut zogen Pferde, Mulis, Ochsen und Milchkühe über die Prärie und sättigten ihren Hunger an Hundsgras und Klee, verabscheuten aber auch die bunten Blumenfelder nicht, die immer wieder aus dem grünbraunen Einerlei herausragten. Ein paar Männer gaben acht, daß die Herde nicht zu weit zurückblieb und nicht zu sehr auseinanderdriftete. Der Dienst bei der Herde erfolgte nach einem Plan, der alle männlichen Auswanderer der Reihe nach dazu einteilte.

Die letzten Kühe passierten Jacobs Hügel im müden Trott und widerstanden beharrlich den anfeuernden Rufen zweier hinterherlaufender Halbwüchsiger und dem lauten Kläffen einiger ungewöhnlich vergnügter Hunde. Als der Deutsche dem langen, schwerfälligen Treck nachsah, stiegen Zweifel in ihm auf, ob er sein Ziel am anderen Ende des riesigen amerikanischen Kontinents jemals erreichen würde.

Gerade wollte er den Grauen antreiben, um zum Wagenzug aufzuschließen, als er eine Staubwolke in der Richtung bemerkte, aus der die Auswanderer gekommen waren. Erst dachte er an ein paar Nachzügler der Viehherde. Aber dafür bewegte sich die Wolke mit zu großer Geschwindigkeit auf den Treck zu. Das konnten keine müde vor sich hintrottenden Rinder sein. Bald erkannte er, daß es Reiter waren, eine große Anzahl, etwa zwanzig.

Er verlängerte die schattenspendende Hutkrempe durch die davorgelegte flache Hand, kniff die Augen zusammen und spähte in die Sonne hinein, aus der die Reiter kamen. Ihren Anführer, der einen kräftigen Apfelschimmel ritt, glaubte Jacob zu erkennen. Ein großer, robuster Mann im dunklen Anzug, dessen Gesicht von einem dunklen Schnurrbart beherrscht wurde. Ja, Jacob war sich jetzt sicher, Marshal Bowden Webb vor sich zu sehen.

Als der scharf galoppierende Reitertrupp näherkam, erkannte Jacob auch zwei der Deputys an Webbs Seite, Grant Begley und Bill Stoner. Das sah ganz nach einer Posse aus. Der Deutsche fragte sich, ob sie zufällig den Spuren des Trecks folgte.

Er blieb mit dem Grauen auf dem Hügel und wartete, bis ihn die Reiter erreichten. Marshal Webb hob die Hand, und die Männer zügelten ihre Tiere, dabei eine noch größere Staubwolke aufwerfend. »Freut mich, Sie zu sehen, Marshal«, grüßte Jacob mit ehrlich empfundener Sympathie den Mann, der nicht nur geholfen hatte, Martin vor dem Hängen zu bewahren, sondern der auch eine Posse zusammengestellt hatte, um Jackson Harris aus den Händen skrupelloser Sklavenjäger zu befreien.

»Mich auch«, sagte Webb in seiner ruhigen Art und sah zum riesigen Bandwurm des Trecks hinüber. »Ihr Wagenzug kommt nicht besonders schnell voran, scheint mir.«

»Nein. Die Tiere müssen sich erst an den Trott gewöhnen.«

»Dabei sollten Sie und Ihre Freunde es eilig haben, möglichst rasch die Rockies zu erreichen, um noch vor dem Winter über die Berge zu kommen. Unter anderem

Die letzten Worte hatte der Polizeichef von Kansas City mit einer seltsamen Betonung ausgesprochen. Seltsam war auch sein Blick und der seiner Begleiter. Düster schauten sie dem langsam gen Westen rollenden Treck nach. Auch Jacob erntete kaum einen freundlichen Blick oder ein freundliches Wort, Webb ausgenommen.

»Was soll das heißen, Marshal, unter anderem?« fragte Jacob deshalb.

»Ich könnte mir vorstellen, daß jemand von Ihren Leuten einen guten Grund hat, die Entfernung zwischen sich und Kansas City schnell zu vergrößern.«

»Sie sprechen in Rätseln.«

»Ich werde Ihnen alles erklären, wenn wir beim Treck sind, Adler. Dann muß ich es nicht zweimal sagen.«

Webb trieb seinen Apfelschimmel an, und die Posse folgte ihm. Jacob schloß sich den Bürgern von Kansas City mit gemischten Gefühlen an. Etwas war nicht in Ordnung, soviel war sicher.

Die Auswanderer warfen den an den Wagen vorbeigaloppierenden Reitern verwunderte Blicke zu. Als sie den vordersten Wagen, Abner Zacharys Conestoga, erreichten, rief Webb dem Prediger auf dem Bock zu, er solle den Treck anhalten lassen.

Der schwarzgekleidete Graubart zügelte seine Mulis und zog, als sie standen, die Wagenbremse an. Hinter ihm wiederholte sich das von Wagen zu Wagen. Das Rumpeln und Knarren der Prärieschoner erstarb allmählich.

Überraschte Auswanderer sammelten sich um den Conestoga. Auch Zacharys Söhne hatten den nicht geplanten Halt der Kolonne mitbekommen und lenkten ihre Pferde zurück zum Treck.

»Was ist denn los, Marshal?« wollte Abner Zachary wissen.

»Wir müssen den Treck durchsuchen, Mr. Zachary.«

»Durchsuchen?« echote dieser, als glaubte er, nicht recht gehört zu haben. »Etwa jeden Wagen?«

Jacob fühlte sich bei Webbs Erklärung an die Sklavenjäger erinnert, die Jackson Harris vor seinem Freikauf beim Treck gesucht und auch gefunden hatten, versteckt im Wagen seines Schwagers.

»Das ist leider nötig«, sagte Bowden Webb. »Es sei denn, jemand rückt freiwillig die achtzigtausend Dollar heraus.«

»Achtzigtausend Dollar?« fragte Liam O'Rourke, verzog sein breites, abstoßendes Gesicht und brach in ein rauhes Lachen aus. »Wenn Sie soviel Geld bei uns finden, Marshal, lege ich noch mal dieselbe Summe drauf.«

Der Ire schüttelte sich vor Lachen und genoß es, Webb zu verspotten. Es war seine Rache dafür, daß der Marshal Liam und seinen Bruder Patrick den Spaß am Lynchen verdorben hatte. Daß sich Martins Unschuld kurz danach herausstellte, kümmerte die rohen Iren nicht.

»Sie sollten nichts versprechen, was Sie nicht halten können, Mann«, sagte Webb scharf.

»Was hat es mit diesen achtzigtausend Dollar auf sich, Marshal?« erkundigte sich Abner Zachary.

»Sie wurden in der Nacht aus dem Tresor der Asquith Trading Bank gestohlen.«

»Ein Bankraub also«, brummte der alte Prediger und fuhr mit der Hand durch seinen grauen Bart.

»Nein, kein Bankraub, sondern ein Diebstahl«, widersprach der Marshal. »Es wurde keine Gewalt gegen Menschen angewendet. Der Dieb hat sich in der letzten Nacht Zugang zum Bankgebäude verschafft, den Tresor geöffnet und den gesamten Inhalt, Kleingeld ausgenommen, mitgehen lassen.«

»Wieso konnte er den Tresor einfach so öffnen?« fragte der Prediger erstaunt. »Hat er ihn gesprengt?«

Webb schüttelte seinen Kopf. »Er ist still und leise vorgegangen, so daß der Diebstahl erst heute morgen bemerkt wurde. Irgendwie hat er es geschafft, die Kombination des Tresors zu knacken.«