Über das Sprechfunkgerät in seinem Raumanzug unterhielt sich der Pilot mit seinem Begleiter.
»Was kann ihnen nur passiert sein, George? Ich glaube nicht, dass sie hier irgendwo sind.«
»Wo sollen sie denn sonst sein? Aber ich würde mich jetzt beim Stützpunkt melden. Wir haben unser Gebiet abgesucht, und es hat gar keinen Sinn, nochmals von vorne anzufangen. Jedenfalls nicht vor Sonnenaufgang — dann besteht eher eine Chance, etwas zu finden. Dieses verdammte Erdlicht macht mich noch ganz wahnsinnig.«
Er schaltete das Sendegerät ein und gab das Rufzeichen seines Fahrzeugs.
»Staubschlitten Zwei ruft Kontrollturm — bitte kommen.«
»Hier Kontrollturm Port Roris. Haben Sie etwas gefunden?«
»Keine Spur. Was gibt's bei Ihnen Neues?«
»Wir glauben nicht, dass die Selene im Meer ist. Der Chefingenieur möchte mit Ihnen sprechen.« — »Gut.«
»Achtung, Staubschlitten Zwei, hier Lawrence. Das Plato-Observatorium hat eben ein Beben in der Nähe des Gebirges der Unzulänglichkeit gemeldet. Es hat um neunzehn Uhr fünfunddreißig stattgefunden, und ungefähr um dieselbe Zeit befand sich die Selene vermutlich im Kratersee. Man ist der Ansicht, dass sie dort irgendwo von einem Bergrutsch erfasst wurde. Fahren Sie also ins Gebirge und sehen Sie nach, ob Sie einen Bergrutsch feststellen können.«
»Wie groß ist das Risiko, Sir, dass weitere Beben stattfinden?«, fragte der Staubschlittenpilot besorgt.
»Nach Meinung des Observatoriums sehr gering. Angeblich kann es Tausende von Jahren dauern, bis so etwas wieder vorkommt, nachdem sich die Spannungsverhältnisse jetzt ausgeglichen haben.«
»Hoffentlich stimmt das auch. Ich rufe vom Kratersee aus zurück, also in etwa zwanzig Minuten.«
Aber schon nach einer Viertelstunde zerstörte Staubschlitten Zwei die letzten Hoffnungen der wartenden Männer im Kontrollturm.
»Hier Schlitten Zwei. Ich fürchte, hier muss es passiert sein. Ich habe den Kratersee noch nicht erreicht und fahre immer noch die Schlucht hinauf. Das Observatorium hatte recht. An verschiedenen Stellen hat ein Bergrutsch stattgefunden, und es war nicht einfach, daran vorbeizukommen. Hier müssen zehntausende Tonnen Felsgestein herumliegen. Wenn die Selene da hineingeraten ist, finden wir sie nie.«
Der Kontrollturm schwieg so lange, dass sich der Staubschlitten noch einmal meldete. »Achtung, Stützpunkt — haben Sie mich empfangen?«
»Verstanden«, sagte der Chefingenieur müde. »Versuchen Sie wenigstens die Überreste zu finden, ich schicke Ihnen Schlitten Eins nach. Sind Sie sicher, dass es keinen Zweck hat, sie auszugraben?«
»Das kann Wochen dauern, selbst wenn wir sie sofort finden. Ich habe einen Bergrutsch gesehen, der mindestens dreihundert Meter lang ist. Wenn man zu graben anfängt, setzt sich das Geröll bestimmt wieder in Bewegung.«
»Seien Sie vorsichtig und melden Sie sich alle fünfzehn Minuten, ob Sie etwas gefunden haben oder nicht.«
Lawrence erhob sich vom Mikrofon und trat erschöpft ans Fenster. Er starrte zur sichelförmigen Erde hinauf. Es war kein tröstlicher Anblick.
Man konnte es schwer fassen, dass sie für immer dort am südlichen Himmel hing — so nahe am Horizont.
Lawrence war so in seine Gedanken verloren, dass er erst nach einiger Zeit auf den Signaloffizier aufmerksam wurde, der neben ihm stand.
»Entschuldigen Sie, Sir — Sie haben Schlitten Eins noch nicht verständigt. Soll ich das veranlassen?«
»Was? Ja — tun Sie das. Schicken Sie ihn zum Kratersee, damit er dort Schlitten Zwei unterstützen kann. Teilen Sie mit, dass wir die Suchaktion im Meer des Durstes eingestellt haben.«
6
Die Nachricht, dass die Suche abgebrochen worden war, erreichte Lagrange II, als Tom Rawson mit müden, rotgeränderten Augen die letzten Veränderungen am Hundertzentimeterteleskop vornahm. Er hatte im Wettlauf mit der Zeit gearbeitet, und jetzt schien die ganze Mühe umsonst gewesen zu sein. Die Selene befand sich überhaupt nicht im Meer des Durstes, sondern in einem Gebiet, wo er sie nie finden konnte — die riesigen Felswände um den Kratersee verbargen es vor seinem Blick, und um das Maß vollzumachen, lag das Schiff vermutlich unter tonnenschweren Felsblöcken begraben. Toms erste Reaktion war nicht Mitgefühl für die Opfer, sondern Wut über nutzlos vergeudete Zeit und Arbeit. Die Schlagzeile »Junger Astronom findet vermisste Touristen« würde nun nie über die Bildschirme der bewohnten Welten flimmern. Er fluchte mit einer Geläufigkeit vor sich hin, die seine Kollegen erstaunt hätte. Dann demontierte er wutentbrannt die Apparaturen, die er aus anderen Abteilungen zusammengebettelt, entliehen und entwendet hatte.
Er war davon überzeugt, dass es funktioniert hätte. Die Theorie war wohlbegründet — sie beruhte immerhin auf einer fast hundert Jahre alten Erfahrung. Die Verwendung der Infrarottechnik ließ sich mindestens bis zum Zweiten Weltkrieg zurückverfolgen; damals hatte man getarnte Fabriken durch die dort produzierte Hitze entdecken können.
Hatte die Selene auf dem Meer auch keine sichtbare Spur hinterlassen, so doch auf jeden Fall eine infrarote. Ihre Schiffsschrauben hatten den relativ warmen Staub in einer Tiefe von etwa dreißig Zentimetern aufgewirbelt und ihn an die kältere Oberfläche gebracht. Mit einem Infrarotauge musste ihr Pfad also noch nach Stunden zu verfolgen sein. Es wäre gerade Zeit genug gewesen, so hatte sich Tom ausgerechnet, den Versuch durchzuführen, bevor die Sonne aufging und die letzten Reste der Hitzefährte durch die kalte Lunarnacht auslöschte.
Aber offensichtlich hatte es jetzt keinen Sinn mehr, weiterzumachen. Zum Glück konnte niemand an Bord der Selene wissen, dass die Suche auf dem Meer des Durstes abgebrochen worden war und die Staubschlitten ihre Bemühungen nun auf den Kratersee konzentrierten. Es war auch gut, dass keiner der Passagiere von Dr. McKenzies Voraussage wusste.
Der Physiker hatte auf einem Blatt Papier den erwarteten Temperaturanstieg grafisch dargestellt. Jede Stunde stellte er den Wert auf dem Kabinenthermometer fest und trug ihn auf seiner Graphik ein. Die Übereinstimmung mit der Theorie war bedrückend genau; in zwanzig Stunden würde die Quecksilbersäule auf vierzig Grad steigen, so dass von da ab mit den ersten Hitzschlägen zu rechnen war. Von welcher Seite man es auch immer betrachtete, es blieb ihnen knapp ein Tag. Unter diesen Umständen wirkten Commodore Hansteens Bemühungen geradezu lächerlich. Übermorgen würde es gleichgültig sein, ob er Erfolg hatte oder nicht.
Aber war das wirklich richtig? Auch wenn sie nur noch die Wahl hatten, entweder als Menschen oder wie Tiere zu sterben, stand die Entscheidung von vornherein fest. Logik und rationelle Begründung hatten hier keinen Platz.
Commodore Hansteen war sich dessen völlig bewusst, als er das Programm für die dahinschwindenden Stunden plante. Zum ersten Mal, seit er die Brücke seines Flaggschiffs Centaurus verlassen hatte, fühlte er sich wieder in seinem Element.
Es spielte gar keine Rolle, was die Leute taten, solange sie sich für ihre Beschäftigung interessierten. Der Buchhalter, der Ingenieur und die beiden Direktoren aus New York spielten mit Begeisterung Poker. Um sie brauchte er sich also keine Sorgen mehr zu machen.
Die meisten anderen Passagiere hatten sich in kleine Gesprächsgruppen aufgeteilt. Die Unterhaltung wurde ziemlich angeregt geführt. Das Vergnügungskomitee tagte immer noch. Professor Jayawardene machte sich gelegentlich Notizen, während Mrs. Schuster trotz der Störversuche ihres Mannes von ihrer Zeit als Revuegirl erzählte. Die einzige Person, die sich ein wenig abzusondern schien, war Miss Morley, die mit präziser Schrift den Rest ihres Notizbuchs füllte. Wahrscheinlich führte sie als gute Journalistin Tagebuch über ihr Abenteuer, doch Commodore Hansteen fürchtete, dass es nur sehr kurz sein würde. Abgesehen davon, bestand nur geringe Hoffnung, dass jemand diese Seiten je zu Gesicht bekam.