Rawson? Wer zum Teufel ist denn das?, fragte sich Lawrence. Dann erinnerte er sich. Das war der Astronom, der das Meer des Durstes mit dem Teleskop absuchte. Aber man hatte ihm doch sicher mitgeteilt, wie zwecklos es war …
Der Chefingenieur hatte nie das zweifelhafte Vergnügen gehabt, Dr. Rawson kennenzulernen. Er wusste nicht, dass der Astronom ein sehr neurotischer, überaus intelligenter — und, in diesem Fall das Entscheidende, ein sehr eigensinniger junger Mann war.
Rawson hatte eben damit begonnen, das Infrarotauge abzumontieren, als er auch schon wieder innehielt, um zu überlegen. Nachdem er das verdammte Ding zusammengesetzt hatte, konnte er es ebenso gut ausprobieren, schon aus wissenschaftlicher Neugier. Tom Rawson war mit Recht stolz darauf, als experimentierfreudig zu gelten. In einem Zeitalter, da die meisten sogenannten Astronomen in Wirklichkeit Mathematiker waren und ein Observatorium nur von weitem sahen, war das etwas Ungewöhnliches.
Er fühlte sich so müde, dass ihn nur der blanke Eigensinn weitertrieb. Wenn das Gerät nicht beim ersten Mal funktioniert hätte, wäre er wohl zuerst schlafen gegangen.
Aber es klappte. Er musste nur ein paar geringfügige Korrekturen vornehmen, bevor das Abbild des Durstmeeres auf dem Bildschirm auftauchte.
Es erschien Zeile um Zeile, wie ein altmodisches Fernsehbild, als der Infrarotdetektor über der Mondoberfläche hin- und herwanderte. Die hellen Flecken zeigten relativ warme Gebiete, die dunklen kalte Regionen an. Fast das ganze Meer des Durstes war dunkel, abgesehen von einem hell schimmernden Streifen, hervorgerufen durch das Licht der aufgehenden Sonne. Aber in dieser Dunkelheit konnte Tom ein paar undeutliche, ganz schwach schimmernde Spuren erkennen.
Ohne Zweifel war das der Hitzeschweif der Selene. Daneben zeigten sich auch die Zickzacklinien der Staubschlitten, die jetzt noch nach ihr suchten. Alle Spuren liefen auf das Gebirge der Unzugänglichkeit zu und entschwanden dort seinem Blick.
Die Müdigkeit überwältigte ihn, so dass er die Spuren nicht mehr genau studieren konnte. Außerdem war es ja nicht mehr wichtig, weil sie nur bestätigten, was man schon wusste. Seine einzige Befriedigung lag jetzt im Beweis, dass wieder einmal ein von ihm montiertes Gerät funktioniert hatte. Für das Dokumentenarchiv fotografierte er das Schirmbild — dann taumelte er ins Bett, um den versäumten Schlaf nachzuholen.
Drei Stunden später erwachte er aus einem unruhigen Dahindämmern. Er fühlte sich immer noch müde, aber irgendetwas machte ihm Sorgen und ließ ihn nicht schlafen. Wie das leise Rauschen des aufsteigenden Staubes Pat Harris in der untergegangenen Selene geweckt hatte, wurde fünfzigtausend Kilometer entfernt Tom Rawson durch eine geringfügige Abweichung vom Normalen aus dem Schlaf geholt.
Tom Rawson verließ die kleine Zelle, die ihm auf Lagrange II als Privatkabine diente, hakte sich am nächsten Schwebegürtel ein und ließ sich die von der Schwerkraft unberührten Gänge zum Observatorium hinauftreiben. Er begrüßte säuerlich diejenigen Kollegen, die ihm nicht rechtzeitig auswichen. Dann ließ er sich unter den Instrumenten nieder, denen allein seine Zuneigung galt.
Er riss das Foto aus der Kamera und betrachtete es zum ersten Mal. Und dann sah er endlich jene Spur, die aus dem Gebirge der Unzugänglichkeit herausführte und kurz darauf im Meer des Durstes endete.
Er musste sie gestern Nacht gesehen haben, als er den Bildschirm anstarrte — aber sie war ihm nicht aufgefallen. Für einen Wissenschaftler war das ein ernstes, ja unverzeihliches Versehen, und Tom Rawson war sehr wütend auf sich.
Was hatte das zu bedeuten? Er betrachtete das Gebiet mit einer Lupe. Die Spur endete in einem kleinen, diffusen Punkt, dem er einen Durchmesser von etwa zweihundert Metern zusprach. Es war wirklich merkwürdig — es schien beinahe, als sei die Selene aus dem Gebirge herausgekommen und dann wie ein Raumschiff davongeflogen.
Tom nahm zuerst an, sie sei explodiert und habe daher diesen Hitzefleck hinterlassen, aber dann wären auf jeden Fall zahlreiche kleine Wrackteile zurückgeblieben, die infolge ihrer Leichtigkeit auf dem Staub schwimmen müssten. Den Staubschlitten wären sie kaum entgangen, als sie an dieser Stelle vorbeifuhren — und ein schmaler Streifen bewies, dass sie tatsächlich auch dort gesucht hatten.
Es musste also eine andere Erklärung geben, obwohl die Alternative absurd zu sein schien. Es war fast unmöglich, sich vorzustellen, dass ein so großes Objekt wie die Selene, ohne jede Spur zu hinterlassen, im Meer des Durstes versinken konnte, nur weil in dieser Gegend ein Mondbeben stattgefunden hatte. Er konnte schließlich nicht den Mond rufen und mit einer einzigen Fotografie als Beweis behaupten: »Ihr sucht am falschen Ort.« Obwohl er vorgab, die Meinung anderer bedeute ihm nichts, schreckte Tom davor zurück, sich lächerlich zu machen. Bevor er diese phantastische Theorie weitergeben konnte, musste er weitere Beweise sammeln. Durch das Teleskop zeigte sich das Meer jetzt als flacher, glatter Lichtsee. Das Infrarotauge half hier nicht mehr weiter. Die Hitzespuren waren völlig verschwunden, schon seit Stunden von der Sonne ausgelöscht.
Tom stellte das Instrument auf höchste Empfindlichkeit ein und suchte das Gebiet ab, wo die Spur ihr Ende gefunden hatte. Vielleicht war trotz des Sonnenlichts ein kleiner Rest der Wärmestrahlung zu entdecken. Denn die Sonne stand noch niedrig, und ihre Strahlen besaßen noch nicht die mörderische Gewalt, die sie gegen Mittag erreichen würden.
War es Einbildung? Er hatte den Verstärker voll aufgedreht, und von Zeit zu Zeit glaubte er, einen winzigen Hitzeschimmer genau in dem Gebiet zu erkennen, wo die Spur abgebrochen war.
Es war alles unzuverlässig — keineswegs jene Art von Beweis, die ein Wissenschaftler brauchte, vor allem, wenn er sich damit an die Öffentlichkeit wagte. Wenn er schwieg, würde nie jemand etwas erfahren — aber sein ganzes Leben lang würde ihn dann der Zweifel plagen. Wenn er andererseits mit dieser Behauptung auf den Plan trat, konnte er falsche Hoffnungen erwecken, sich lächerlich machen oder gar beschuldigt werden, dass er persönliche Vorteile suche.
Aber irgendeine Entscheidung musste er treffen. Zögernd nahm er den Hörer ab. »Hier Rawson«, sagte er. »Verbinden Sie mich mit Port Roris — Blitzgespräch.«
8
An Bord der Selene war das Frühstück ausreichend, aber keineswegs appetitanregend gewesen. Ein paar Passagiere, die Kekse und komprimiertes Fleisch, einen Klecks Honig und ein Glas lauwarmes Wasser keineswegs für eine anständige Mahlzeit hielten, beschwerten sich. Aber der Commodore blieb hart: »Wir wissen nicht, wie lange wir mit unseren Vorräten auskommen müssen«, sagte er, »und ich fürchte, dass warme Mahlzeiten nicht in Frage kommen. Wir wissen nicht, wie wir sie herstellen sollen, und außerdem ist es bereits viel zu warm in der Kabine. Tut mir leid, auch mit Tee und Kaffee ist Schluss. Offen gestanden kann es keinem von uns schaden, ein paar Tage Diät zu leben.«
Erst jetzt fiel ihm Mrs. Schuster ein. Hoffentlich fasste sie das nicht als persönliche Beleidigung auf. Sie wirkte wie ein gutmütiges Flusspferd, hingestreckt über eineinhalb Sitze.
»Die Sonne ist eben aufgegangen«, fuhr Hansteen fort, »die Suchabteilungen dürften unterwegs sein, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie uns finden. Man hat vorgeschlagen, darauf Wetten abzuschließen. Miss Morley wird die Einsätze kassieren.
Jetzt zu unserem Programm für den heutigen Tag. Professor Jayawardene — vielleicht teilen Sie uns mit, was das Vergnügungskomitee vorgesehen hat.«
Der Professor war klein und zierlich, seine sanften, dunklen Augen wirkten riesengroß. Man sah, dass er die ihm übertragene Aufgabe sehr ernst genommen hatte, denn seine zarte, braune Hand umklammerte einen dicken Stoß von Notizblättern.
»Wie Sie wissen«, sagte er, »ist meine Spezialität das Theater — aber damit können wir hier nicht viel anfangen. Es wäre sehr nett, wenn wir ein Stück lesen könnten, und ich habe auch schon daran gedacht, ein paar Rollen herauszuschreiben. Unglücklicherweise ist nicht genügend Papier vorhanden.