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Die Schlüsselfigur war natürlich Captain Harris. Der Commodore kannte diesen Typ gut. Er war ihm bei den Raumfahrern oft begegnet. Er war ein fähiger, aber nicht ehrgeiziger junger Mann mit Interesse für technische Dinge, der Glück gehabt hatte, einen passenden Job zu finden, der nicht mehr von ihm verlangte als Höflichkeit und Sorgfalt. Er würde loyal, gewissenhaft und phantasielos sein, seine Pflicht tun und am Ende ohne Hysterie sterben. Das war eine Tugend, die weitaus befähigtere Männer oft nicht besaßen, an Bord aber dringend nötig war, wenn sie in fünf Tagen noch hier sein sollten.

Miss Wilkins, die Stewardess, fiel beinahe ebenso ins Gewicht wie der Captain. Sie war keinesfalls der übliche Hostesstyp, der außer schalem Charme und einem starren Lächeln nichts zu bieten hatte. Sie hatte Charakter und war sehr gebildet.

Ja, bei der Mannschaft hatte er Glück gehabt. Und wie stand es mit den Passagieren? Viele lagen natürlich weit über dem Durchschnitt, sonst hätten sie sich gar nicht auf dem Mond befunden. Das Ironische an der ganzen Situation war nur, dass weder besondere Intelligenz noch technische Fähigkeiten jetzt weiterhelfen konnten. Was man brauchte, war Charakter, Seelenstärke oder, um genauer zu sein, Mut.

Mut war in diesem Zeitalter eigentlich nicht mehr erforderlich. Von der Geburt bis zum Tode stand der Mensch nie einer ernsthaften Gefahr gegenüber. Die Männer und Frauen an Bord der Selene waren auf das Kommende nicht vorbereitet, und er konnte sie nicht mehr sehr lange mit Spielen und Vergnügungen beschäftigen.

Irgendwann in den nächsten zwölf Stunden würden sich die ersten Risse zeigen. Dann wäre es offensichtlich, dass die Suchtrupps aufgehalten worden waren, und selbst wenn sie den Kreuzer fanden, konnte es schon zu spät sein.

Commodore Hansteen sah sich in der Kabine um. Abgesehen von ihrer knappen Kleidung und der ein wenig verwahrlosten Erscheinung, waren alle diese einundzwanzig Männer und Frauen vernünftige, beherrschte Wesen.

Wer würde wohl als Erster zusammenklappen?

10

Dr. Tom Rawson war nach Chefingenieur Lawrence' Meinung eine Ausnahme vom alten Sprichwort »alles wissen heißt alles verzeihen«. Die Erkenntnis, dass der Astronom eine lieblose, schwere Kindheit hinter sich hatte und auf Kosten aller anderen menschlichen Qualitäten nur auf Grund seiner überragenden Intelligenz hochgekommen war, trug dazu bei, dass man ihn verstand — aber man empfand keine Sympathie für ihn. Was für ein Pech, dachte Lawrence, dass er der einzige Wissenschaftler im Umkreis von dreihunderttausend Kilometern war, der ein Infrarotauge besaß und damit umgehen konnte.

Er befand sich jetzt im Beobachtersitz auf dem Staubschlitten Zwei, um die letzten Handgriffe an der primitiven, aber wirksamen Konstruktion vorzunehmen. Man hatte auf dem Dach des Schlittens ein Kamerastativ angebracht und das Infrarotauge darauf montiert, damit es in alle Richtungen bewegt werden konnte. Es schien zu funktionieren, aber eine endgültige Entscheidung war in diesem kleinen, druckluftgefüllten Hangar mit seinen zahlreichen Wärmequellen nicht zu treffen. Der wirkliche Test konnte erst auf dem Meer des Durstes stattfinden.

»Es ist fertig«, sagte Rawson zum Chefingenieur. »Ich möchte noch mit dem Mann reden, der den Schlitten steuern wird.«

Lawrence sah ihn nachdenklich an. Es gab wesentliche Argumente für und gegen sein Vorhaben, aber die persönlichen Erwägungen durften jetzt keine Rolle spielen. Dafür war die Sache zu wichtig.

»Sie können doch einen Raumanzug tragen, nicht wahr?«, fragte er Rawson.

»Ich hab noch nie einen getragen. Man braucht ihn ja nur, wenn man nach draußen geht, und das überlassen wir den Technikern.«

»Nun, jetzt können Sie's lernen«, meinte Lawrence, die Anspielung übersehend. »Es ist nicht sehr viel dabei, wenn man auf einem Staubschlitten fährt. Sie bleiben ja auf dem Beobachtersitz, und der Autoregulator kümmert sich um Sauerstoffzufuhr, Temperatur und alles Übrige. Es gibt nur ein Problem …«

»Und?«

»Wie steht es bei Ihnen mit der Platzangst?«

Tom zögerte, denn er gab nicht gern Schwächen zu. Er war natürlich den üblichen Tests unterzogen worden und argwöhnte nicht zu Unrecht, dass er bei der psychischen Beurteilung nur knapp durchgekommen war. Offensichtlich war seine Platzangst nicht allzu stark, sonst hätte er nie ein Raumschiff betreten können. Aber zwischen einem Raumschiff und einem Raumanzug besteht ein großer Unterschied.

»Ich schaff's schon«, meinte er schließlich.

»Machen Sie sich aber nichts vor, wenn Sie's nicht schaffen«, sagte Lawrence. »Ich bin dafür, dass Sie mitkommen, aber wir wollen hier nicht falschen Heroismus treiben. Ich verlange nur, dass Sie sich's genau überlegen, bevor wir den Hangar verlassen. Wenn wir auf dem Meer sind, ist es zu spät.«

Tom starrte den Schlitten an und biss sich auf die Unterlippe. Die Vorstellung, mit einem so gebrechlichen Fahrzeug über das Staubmeer dahinzuflitzen, schien verrückt — aber diese Männer taten das jeden Tag. Und wenn das Infrarotauge versagte, bestand wenigstens die Chance, dass er es reparieren konnte.

»Hier ist ein Anzug Ihrer Größe«, sagte Lawrence. »Ziehen Sie ihn an — vielleicht kommen Sie dann zu einer Entscheidung.«

Tom zwängte sich in das schlaffe, aber gleichzeitig faltige Kleidungsstück und zog den vorderen Reißverschluss hoch, wobei er sich sehr albern vorkam. Die auf dem Rücken angebrachte Sauerstoffflasche schien geradezu lächerlich klein, und Lawrence bemerkte seinen besorgten Blick.

»Machen Sie sich keine Sorgen. Das ist nur eine Reserve für vier Stunden. Sie benützen sie überhaupt nicht. Die Hauptzufuhr erfolgt vom Schlitten aus. Passen Sie auf Ihre Nase auf — hier kommt der Helm.«

Er konnte am Gesichtsausdruck der Umstehenden erkennen, dass dies der Augenblick war, in dem sich die Männer von den Jünglingen schieden. Bis der Helm angebracht war, gehörte man immer noch zu seiner Umwelt; danach war man allein, in einer winzigen, mechanischen Welt. Auch wenn nur ein paar Zentimeter entfernt andere Männer standen, musste man sie durch dicke Plastikscheiben anstarren und mit ihnen per Funk sprechen. Man konnte sie nicht einmal berühren, außer über mehrere Lagen künstlicher Haut. Jemand hatte einmal geschrieben, dass es nichts Einsameres gebe, als in einem Raumanzug zu sterben. Zum ersten Mal begriff Tom, wie wahr das sein musste.

Die Stimme des Chefingenieurs klang plötzlich hallend aus den kleinen Lautsprechern an beiden Innenseiten des Helms:

»Der einzige Regler, um den Sie sich kümmern müssen, ist der für die Bordverständigung — die kleine Tafel rechts. Normalerweise sind Sie mit Ihrem Piloten verbunden. Solange Sie sich beide auf dem Schlitten befinden, können Sie jederzeit miteinander sprechen. Aber in allen anderen Fällen können Sie sich nur über Funk verständigen — wie jetzt. Drücken Sie auf den Knopf mit der Aufschrift ›Übertragung‹ und geben Sie Antwort.«

»Wozu dient die rote Nottaste?«, fragte Tom, nachdem er der Anweisung Folge geleistet hatte.

»Die brauchen Sie nicht — hoffentlich. Damit wird ein Notsignal ausgelöst, bis man Sie findet. Berühren Sie keinen der Knöpfe ohne Anweisung — vor allem diesen nicht.«

»Verstanden«, erwiderte Tom. »Also los.«

Er ging mit ungeschickten Schritten zum Staubschlitten Zwei und ließ sich auf dem Beobachtersitz nieder. Ein einziges Anschlusskabel verband den Anzug mit der Sauerstoffversorgung, der Bordverständigung und dem Generator. Das Fahrzeug konnte ihn notfalls drei bis vier Tage am Leben erhalten.

Der kleine Hangar war für die beiden Staubschlitten kaum groß genug, und es dauerte nur ein paar Minuten, bis die Luft durch die Pumpen abgesaugt war. Als der Anzug steif zu werden begann, wurde Tom von panischer Angst ergriffen. Der Chefingenieur und die beiden Piloten beobachteten ihn, und er wollte vermeiden, dass sie ihn für ängstlich hielten. Niemand konnte eine gewisse Erregung verbergen, wenn er zum ersten Mal im Leben in den luftleeren Raum hinausfuhr.