Jetzt war das Hindernis verschwunden — oder es befand sich in einer Tiefe, die mit der Sonde nicht mehr zu erreichen war.
»Hier ist nichts — wir müssen zurück.«
Es war eine mühsame Aufgabe, die Umrisse des Objekts festzustellen, das da unten begraben lag. Vor Jahrhunderten hatten die Menschen mit beschwerten Tauen die Meere der Erde ausgelotet. Bedauerlich, dachte Lawrence, dass ein Echolot bei dieser Tiefe des Staubes nicht funktionieren würde.
Daran hätte er schon längst denken sollen! Deswegen hatte man die Funksignale der Selene nicht mehr auffangen können. Der Staub wirkte natürlich als Abschirmung. Aber bei dieser geringen Entfernung, wenn er sich wirklich unmittelbar über dem Kreuzer befand …
Er schaltete seinen Empfänger auf die Katastrophenfrequenz — und da war das Notsignal. So laut, dass man es eigentlich auch in Port Roris empfangen müsste. Aber dann erinnerte er sich, dass seine Sonde auf dem Rumpf der Selene ruhte; dadurch wurden die Funkwellen an die Oberfläche weitergeleitet.
Er lauschte dem Signal eine ganze Weile, bevor er den Mut fand, den nächsten Schritt zu tun. Er hatte niemals erwartet, wirklich etwas zu finden, und selbst jetzt konnte die Suche umsonst gewesen sein. Das automatische Signal würde wochenlang funktionieren, wie eine Stimme aus dem Grab, wenn die Insassen der Selene längst den Tod gefunden hatten.
Dann schaltete Lawrence mit einer zornigen Geste, die dem Schicksal Trotz zu bieten schien, auf die dem Kreuzer zugeteilte Frequenz — und Pat Harris' Stimme dröhnte in seinen Ohren: »Achtung. Hier ist die Selene — hier ist die Selene. Empfangen Sie mich? Bitte kommen.«
»Hier Staubschlitten Eins«, antwortete er. »Chefingenieur Lawrence. Ich befinde mich fünfzehn Meter über Ihnen. Ist bei Ihnen alles gesund? Bitte kommen.«
Es dauerte lange, bis er die Antwort verstehen konnte, so wurde sie von dem Jubelschrei der Passagiere übertönt. Wenn man sie hörte, mochte man beinahe glauben, dass sie angetrunken waren. In ihrer Freude über die Entdeckung, über den Kontakt mit ihren Mitmenschen glaubten sie, ihre Sorgen seien vorbei.
»Staubschlitten Eins ruft Kontrollturm Port Roris«, sagte Lawrence, während er darauf wartete, dass sich der Tumult legte. »Wir haben die Selene gefunden und Funkverbindung hergestellt. Nach dem Lärm zu urteilen, geht es allen gut. Sie befindet sich fünfzehn Meter unter der Oberfläche, genau dort, wo Doktor Rawson sie vermutete. Ich rufe in wenigen Minuten zurück. Ende.«
Mit Lichtgeschwindigkeit würden sich jetzt Wellen der Erleichterung und des Glücks über den Mond, die Erde und die inneren Planeten ausbreiten und Milliarden Menschen erfreuen. Auf Straßen und Gleitwegen, in Bussen und Raumschiffen würden fremde Menschen zueinander sagen: »Haben Sie schon gehört? Man hat die Selene gefunden.«
Es gab nur einen Mann, der sich dieser Begeisterung nicht aus vollem Herzen anzuschließen vermochte. Chefingenieur Lawrence saß auf seinem Staubschlitten, lauschte den Jubelrufen aus der Tiefe und fühlte sich hilfloser als die Männer und Frauen, die dort unten in der Falle saßen. Er wusste, welche Aufgabe ihm bevorstand.
15
Zum ersten Mal in vierundzwanzig Stunden konnte sich Maurice Spenser ausruhen. Er hatte alles Menschenmögliche getan. Ein paar Leute und die entsprechenden Geräte waren unterwegs nach Port Roris. Es war ein glücklicher Zufall, dass sich Jules Braques in Clavius City aufhielt — er war einer der besten Kameramänner und hatte oft mit Spenser zusammengearbeitet. Captain Anson saß am Elektronenrechner und studierte die Reliefkarten. Die Mannschaft war aus den Bars zurückgeholt und davon verständigt worden, dass ein neuer Kurswechsel bevorstand. Die Finanzexperten von Spensers Nachrichtenagentur berechneten mit wissenschaftlicher Genauigkeit, wie viel sie den anderen Agenturen abverlangen konnten, ohne sie so weit zu treiben, dass sie selbst Raumschiffe mieteten. Aber Spensers Vorsprung war schon zu groß. Kein Konkurrent vermochte das Gebirge der Unzugänglichkeit früher als in achtundvierzig Stunden zu erreichen. Er würde in sechs Stunden dort sein.
Es war jedoch typisch für ihn, dass er sich zwar ausruhte, aber deswegen doch keine Möglichkeit aus dem Auge ließ. Er saß in einem bequemen Sessel im Aussichtsraum des Hafengebäudes, in der einen Hand ein Glas Whisky, in der anderen ein Sandwich. Durch die Doppelglasscheiben konnte er den winzigen Kai sehen, von dem aus die Selene vor drei Tagen abgefahren war. Es war lediglich ein Betonblock, der sich zwanzig Meter weit in das Staubmeer erstreckte. Auf ihm lag wie eine riesige Ziehharmonika der flexible Schlauch, durch den die Passagiere den Kreuzer betreten konnten.
Spenser sah auf die Uhr, dann wieder auf diesen unglaublichen Horizont, der mindestens hundert Kilometer entfernt zu sein schien, nicht zwei oder drei.
Ein paar Minuten später sah er dort etwas aufblitzen. Sie kamen langsam über den Rand des Mondes herauf. Sie würden in fünf Minuten hier sein und ein paar Minuten später die Luftschleuse hinter sich haben, Zeit genug, das letzte Sandwich zu vertilgen.
Dr. Rawson schien Spenser nicht wiederzuerkennen, als dieser ihn begrüßte.
»Dr. Rawson? Ich bin Bürochef von Interplanet News. Sind Sie zu einem Interview bereit?«
»Einen Augenblick«, unterbrach Lawrence. »Ich kenne den Reporter von Interplanet News. Sie sind doch nicht Joe Leonard …«
»Stimmt. Ich bin Maurice Spenser — ich habe Joe letzte Woche abgelöst. Er muss sich wieder an die Erde gewöhnen, sonst kommt er hier sein ganzes Leben nicht mehr weg.«
»Na, Sie sind aber verdammt schnell zur Stelle. Wir haben doch erst vor einer Stunde unsere Meldung durchgegeben.«
Spenser hielt es für besser, nicht zu erwähnen, dass er fast schon den ganzen Tag hier wartete.
»Ich möchte wissen, ob ich ein Teleinterview machen kann«, wiederholte er. Er war sehr gewissenhaft. Manche Journalisten gingen ein Risiko ein und filmten ohne Erlaubnis, aber dabei konnte man seine Stellung verlieren.
»Jetzt nicht, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich habe sehr viel zu tun, aber Dr. Rawson wird gern mit Ihnen sprechen — das Ganze ist sein Verdienst. Sie können mich zitieren.«
»Äh — vielen Dank«, murmelte Tom verlegen.
»Gut — ich sehe Sie später«, meinte Lawrence. »Ich bin im Ingenieurbüro zu finden. Aber Sie können sich ruhig ein bisschen ausschlafen.«
»Erst, wenn ich mit Ihnen fertig bin«, korrigierte Spenser, packte Tom beim Arm und führte ihn zum Hotel.
Im kleinen Foyer begegneten sie Captain Anson.
»Ich suche Sie schon die ganze Zeit, Mr. Spenser«, sagte er. »Die Gewerkschaft macht uns Unannehmlichkeiten. Sie wissen, dass es Vorschriften über die Mindestpausen zwischen den Flügen gibt. Anscheinend …«
»Bitte, Captain — nicht jetzt. Verhandeln Sie mit der Rechtsabteilung meines Arbeitgebers — rufen Sie Clavius 1234 an und verlangen Sie Harry Dantzig — er erledigt das schon.«
Er führte Tom Rawson die Treppe hinauf in sein Appartement.
Abgesehen von der Winzigkeit der Zimmer und dem Fehlen jedes Fensters hätte sich das Appartement in jedem billigen Hotel auf der Erde befinden können. Couch und Tisch bestanden zum größten Teil aus Fiberglas, denn auf dem Mond gab es Quarz im Überfluss. Das Badezimmer war im Gegensatz zu den riskanten Raumschifftoiletten völlig normal, aber das Bett wirkte ein wenig unheimlich. Für die Besucher von der Erde hatte man eine elastische Decke beigesteuert, die mit Federn befestigt wurde. Das Ganze sah sehr nach Zwangsjacke und Gummizelle aus.
»Ich weiß, dass Sie sehr müde sind«, begann Spenser, »aber ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen. Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn die Telekamera läuft?«
»Nein«, sagte Tom, dem längst alles gleichgültig war. Er nippte mechanisch an dem Whisky, den ihm Spenser in die Hand gedrückt hatte.