Aber all das war nicht so wichtig wie die Empfehlung des Ingenieurstabs, versehen mit einem Dutzend technischer Zeichnungen und einem sechsseitigen Bericht. Lawrence las ihn sorgfältig durch und nickte von Zeit zu Zeit zustimmend. Er war bereits im Wesentlichen zu denselben Schlussfolgerungen gelangt. Eine andere Möglichkeit schien undenkbar.
Was immer auch mit ihren Passagieren geschehen mochte, die Selene hatte ihre letzte Reise hinter sich.
24
Der Sturm, der durch die Selene gefegt war, schien mehr mit sich davongetragen zu haben als nur die verbrauchte Luft. Wenn er die vergangenen Tage überdachte, erkannte Commodore Hansteen, dass sie oft in einer hysterischen Stimmung gelebt hatten.
Aber jetzt war das alles vorbei, und der Grund ließ sich leicht einsehen. Die Tatsache, dass eine Rettungsabteilung nur ein paar Meter entfernt arbeitete, war ein Teil der Erklärung, nicht die ganze. Das Gefühl der Gelassenheit, das sie alle beherrschte, rührte von ihrer Begegnung mit dem Tod her. Die kleinlichen Überreste von Empfindlichkeit und Selbstsucht waren wie ausgelöscht. Niemand wusste dies besser als Hansteen. Er hatte es oft beobachtet, wenn die Besatzung eines Raumschiffs in den Tiefen des Weltraums mit ähnlichen Gefahren zu kämpfen hatte.
Er würde sich nur ungern von diesen Menschen hier verabschieden — ja, auch von Miss Morley, die sich jetzt so freundlich und zuvorkommend verhielt, wie es ihr Temperament zuließ. Dass er so weit schon vorausdachte, war ein Maßstab seines Vertrauens. Man war natürlich nie sicher, aber alles schien auf ein gutes Ende hinzudeuten. Niemand wusste genau, wie Chefingenieur Lawrence sie hier herausholen wollte, aber es handelte sich jetzt nur noch um eine Wahl zwischen verschiedenen Methoden. Ihre Gefangenschaft war nur noch eine Unbequemlichkeit, keine Gefahr mehr.
Sie war nicht einmal eine Strapaze, seit man die Nahrungszylinder in die Kabine geschossen hatte. Außerdem waren mehrere hundert Liter Wasser in die beinahe leeren Tanks gepumpt worden.
Es war seltsam, dass sich Commodore Hansteen, der gewöhnlich an alles dachte, nie die einfache Frage stellte: »Was ist aus dem vielen Wasser geworden, das wir zu Anfang hatten?« Dass so viel zusätzliches Gewicht an Bord gebracht wurde, hätte ihm Sorgen machen müssen. Aber er kam nicht darauf, bis es zu spät war.
Pat Harris und Chefingenieur Lawrence trugen gemeinsam die Verantwortung für dieses Versehen. Er war der einzige Fehler in einem großartigen Plan. Und ein Fehler genügte.
Der Ingenieurstab arbeitete immer noch schnell, aber nicht mehr in einem verzweifelten Wettlauf mit der Zeit. Man konnte jetzt Nachbildungen des Kreuzers bei Port Roris im Staub versenken und ausprobieren, wie er am besten zu erreichen war. Noch immer liefen Vorschläge zu Hunderten ein, aber niemand kümmerte sich mehr darum. Die Entscheidung war gefallen.
Vierundzwanzig Stunden nach der Errichtung des Iglus hatte man alle erforderlichen Teile hergestellt und zur Unglücksstelle hinaustransportiert. Lawrence war sehr stolz auf seine Leute.
Und jetzt zeigte er sich zum ersten Mal bereit, seine Meinung zu sagen — Maurice Spenser gab ihm begeistert die Gelegenheit dazu.
Gerade auf diesen Augenblick hatte er gewartet.
Soweit er sich erinnern konnte, war es das erste Mal, dass ein Fernsehinterview stattfand, bei dem Gesprächspartner und Kamera fünf Kilometer voneinander entfernt waren. Das Bild zeigte nicht ganz die gewöhnliche Schärfe, und die kleinste Vibration in der Kabine der Auriga führte zu einer Verzerrung. Aus diesem Grund hatte man alle nicht unmittelbar erforderlichen Maschinen abgestellt, und die Leute hielten sich mucksmäuschenstill.
Chefingenieur Lawrence stand im Raumanzug am Rand des Floßes, gegen einen kleinen Kran gelehnt. Vom Ausleger hing ein großer, an beiden Seiten offener Betonzylinder herab — das erste Stück des Rohrs, das man jetzt in den Staub hinablassen wollte.
»Nach langem Überlegen kamen wir zu dem Schluss, dass wir das Problem so am besten anpacken können«, erklärte Lawrence den Zuschauern, vor allem aber den Männern und Frauen, die sich fünfzehn Meter unter ihm befanden. »Diesen Zylinder nennt man einen Caisson. Er sinkt aus eigenem Gewicht hinab. Der scharfe untere Rand schneidet durch den Staub, wie ein Messer durch Butter.
Wir haben genug Zylinder, um den Kreuzer zu erreichen. Sobald der Kontakt hergestellt und das Rohr am unteren Ende abgedichtet ist — dafür wird übrigens schon ein Druck gegen das Dach der Selene sorgen –, schaufeln wir den Staub heraus. Wenn das erledigt ist, haben wir einen offenen Schacht, eine Art Brunnen, der bis zur Selene hinabführt.
Dann haben wir es zur Hälfte geschafft, nur zur Hälfte. Denn wir müssen den Schacht an einen unserer druckluftgefüllten Iglus anschließen, damit keine Luft entweichen kann, wenn wir das Dach des Kreuzers durchschneiden. Aber ich glaube — ich hoffe –, dass das unkomplizierte Probleme sind.«
Er hob den Arm und winkte dem Kranführer.
»Hinunter damit!«
Langsam glitt der Zylinder in den Staub, bis er fast völlig verschwunden war. Nur ein schmaler Ring befand sich noch über der Oberfläche.
Einer der Ingenieure ging mit einer Wasserwaage vorsichtig auf dem Rand des Caissons entlang, um sicherzustellen, dass der Zylinder vertikal hinabsank. Dann zeigte er mit dem Daumen nach oben. Lawrence bestätigte sein Signal.
»Fertig für Nummer zwei!«, sagte er.
Jetzt wurde es weitaus schwieriger. Das erste Teilstück musste unverrückbar an seiner Stelle gehalten werden, während das zweite angeschraubt wurde. Eigentlich hätte man zwei Kräne dafür gebraucht, aber ein Gerüst aus T-Trägern, ein paar Zentimeter über der Stauboberfläche errichtet, konnte die Last tragen, solange der Kran anderweitig beschäftigt war.
»Jetzt um Himmels willen keinen Fehler!«, murmelte Lawrence vor sich hin. Teilstück Nummer zwei schwebte vom Lastschlitten herüber, und drei der Techniker brachten es in die Vertikale. Bei dieser Arbeit spielte der Unterschied zwischen Gewicht und Masse eine entscheidende Rolle. Der schwebende Zylinder wog verhältnismäßig wenig — aber seine Schwungkraft war genauso groß wie auf der Erde, und sie konnte einen Mann zerquetschen, wenn es ihm nicht rechtzeitig gelang, die Gefahrenzone zu verlassen.
Die beiden Teilstücke wurden aneinandergeschraubt, und wieder gab Lawrence den Befehl, das weite Betonrohr hinabzulassen.
Der Widerstand des Staubes steigerte sich, aber der Caisson sank trotzdem gleichmäßig hinab.
»Acht Meter«, sagte Lawrence. »Ein bisschen mehr als die Hälfte haben wir schon geschafft. Teilstück Nummer drei — los!«
Danach war nur noch ein vierter Zylinder vorgesehen, obwohl Lawrence auf alle Fälle ein Ersatzteilstück bereithielt. Bisher waren zwar nur ein paar Muttern und Bolzen verlorengegangen, aber wenn ein solcher Caisson aus den Kranhaken rutschte, bestand keine Aussicht, ihn je wiederzufinden.
»Zwölf Meter«, sagte Lawrence. »Wir sind nur noch drei Meter über euch, Selene. Jeden Augenblick müsste es so weit sein.«
Schon vor zwei Minuten hatte Hansteen die Vibration des Sauerstoffrohrs bemerkt, als der Caisson daran entlangscharrte.
Da, wieder die Vibration. Gleichzeitig fiel Staub in die Kabine. Die beiden Luftrohre hatte man hinaufgezogen, so dass sie nur mehr zwanzig Zentimeter weit in die Kabine hineinstanden. Sie schienen locker zu werden, aber der schnell trocknende Zement würde schon halten. Trotzdem hielt es Hansteen für ratsam, Harris zu verständigen.
»Komisch«, sagte Pat, als er zu dem Rohr hinaufstarrte. »Auch wenn die Rohre vibrieren, müsste die Zementierung doch halten.«