»Das bedeutet also, dass sie keinen Kontakt mehr mit uns haben«, sagte Barrett. »Sie werden nicht verstehen, warum wir uns nicht melden. Wenn man nun oben annimmt, dass wir alle tot sind und die Rettungsaktion abgebrochen wird?«
»Sie haben doch Chefingenieur Lawrence selbst gehört«, entgegnete Pat. »Er ist nicht der Mann, der aufgeben würde, bevor er den absoluten Beweis hat, dass wir nicht mehr leben. Deswegen brauchen Sie sich bestimmt keine Sorgen zu machen.«
»Wie steht es mit der Luft?«, fragte Professor Jayawardene. »Wir sind jetzt wieder auf unsere eigenen Vorräte angewiesen.«
»Sie müsste mehrere Stunden reichen, seit die Absorber wieder funktionieren. Bis dahin hat man die Rohre längst wieder durch das Dach heruntergelassen«, meinte Pat zuversichtlich. »In der Zwischenzeit müssen wir Geduld haben und uns eben irgendwie die Zeit vertreiben. Wir haben es drei Tage lang fertiggebracht, da sollte es uns doch auch für ein paar Stunden gelingen.«
Pat bemerkte, dass sich einer der Passagiere langsam erhob. Es war der stille Mr. Radley, der bisher kaum ein Dutzend Worte von sich gegeben hatte.
Pat wusste nicht mehr über ihn, als dass er aus Neuseeland stammte und Buchhalter war.
»Sie möchten etwas sagen, Mr. Radley?«, fragte Pat.
Radley sah sich in der schwach erleuchteten Kabine um, wie ein Lehrer, der sich an seine Klasse wendet.
»Jawohl, Captain«, begann er. »Ich muss ein Geständnis machen — ich fürchte, dass das Ganze meine Schuld ist.«
Als Chefingenieur Lawrence seinen Kommentar abbrach, wusste die Erde innerhalb von zwei Sekunden, dass etwas schiefgegangen war. Mars und Venus erfuhren es ein paar Minuten später. Das Bild auf den Fernsehschirmen verriet nichts von der Ursache. Die Gestalten in den Raumanzügen standen beieinander und besprachen sich.
Während der langen Minuten quälender Spannung, während das Studio versuchte, sich zu informieren, bemühte sich Jules, die Bildführung lebendig zu gestalten. Das war äußerst schwierig, weil er nur zwischen Groß- und Totalaufnahmen abwechseln konnte.
Endlich ging die Besprechung auf dem Floß zu Ende. Vielleicht würde Lawrence jetzt auf die Funksignale antworten, mit denen er seit fünf Minuten bombardiert wurde.
»Mein Gott«, sagte Spenser. »Ich kann es einfach nicht glauben! Sehen Sie, was dort draußen geschieht?«
»Ja«, erwiderte Captain Anson, »und ich traue meinen Augen nicht. Aber es sieht so aus, als zögen sie sich zurück.«
Wie Rettungsboote, die von einem sinkenden Schiff abstoßen, fuhren die beiden Staubschlitten mit dem gesamten Personal davon und ließen das Floß zurück.
26
Vielleicht war es ganz gut, dass die Selene keine Funkverbindung mehr hatte. Die Stimmung wäre auf den Nullpunkt gesunken, wenn die Passagiere gewusst hätten, dass sich die Staubschlitten zurückzogen. Aber in diesem Augenblick dachte niemand auf dem Kreuzer an die Rettungsaktion. Radley zog alle Augen auf sich.
»Was meinen Sie damit — dass das alles Ihre Schuld sei?«, fragte Pat in die verblüffte Stille hinein, die auf die Erklärung des Neuseeländers gefolgt war.
»Das ist eine lange Geschichte, Captain«, erwiderte Radley mit einer Stimme, deren seltsame Untertöne Pat vor ein Rätsel stellten. Es war beinahe, als höre man einem Roboter zu. »Ich möchte nicht behaupten, dass ich die ganzen Ereignisse absichtlich herbeigeführt habe, aber ich fürchte, dass das alles nicht zufällig ist, und es tut mir leid, Sie mit in die Sache verwickelt zu haben. Wissen Sie — sie sind hinter mir her.«
Das hat uns noch gefehlt, dachte Pat. Es scheint sich alles gegen uns verschworen zu haben. In dieser kleinen Gruppe von Menschen gab es eine neurotische Jungfer, einen Rauschgiftsüchtigen — und jetzt auch noch einen Irren.
Aber er sah sehr schnell ein, wie unfair diese Beurteilung war. In Wirklichkeit hatte er sehr viel Glück gehabt. Gegen Radley, Miss Morley und Baldur standen der Commodore, Dr. McKenzie, die Schusters, der kleine Professor Jayawardene, David Barrett — und all die anderen, die sich ohne Widerspruch in alles gefügt hatten. Er spürte plötzlich Zuneigung für seine Passagiere.
Vor allem aber für Sue, die im rückwärtigen Teil der Kabine unauffällig ihren Pflichten nachging. Niemand bemerkte, dass sie die Schiffsapotheke öffnete und eines der Schlafröhrchen herausnahm. Sie war bereit, falls Radley die Nerven verlieren sollte.
Im Augenblick schien er aber völlig vernünftig und beherrscht zu sein. Er stellte genau das dar, was er war — ein ältlicher Buchhalter aus Neuseeland, der sich einen Urlaub auf dem Mond gönnt.
»Das ist ja sehr interessant, Mr. Radley«, meinte Commodore Hansteen. »Aber Sie müssen unsere Unwissenheit entschuldigen. Wer sind ›sie‹, und warum sollten sie hinter Ihnen her sein?«
»Sie haben doch sicher schon von fliegenden Untertassen gehört, Commodore?«
Fliegenden — was?, dachte Pat. Hansteen schien besser informiert zu sein.
»Ja, allerdings«, meinte der Commodore ein wenig müde. »Ich habe in alten Büchern über Astronautik davon gelesen. Vor ungefähr achtzig Jahren waren sie große Mode, nicht wahr?«
»Sie datieren viel weiter zurück«, erwiderte Radley, »aber erst im vergangenen Jahrhundert wurden die Menschen darauf aufmerksam. Es gibt ein altes Manuskript aus dem Jahr 1920, das in allen Einzelheiten ein solches Gefährt beschreibt. Vor dem zwanzigsten Jahrhundert gibt es mehr als zehntausend Beschreibungen über eine Begegnung mit fliegenden Untertassen.«
»Einen Moment mal«, unterbrach ihn Pat. »Was zum Teufel meinen Sie mit ›fliegenden Untertassen‹? Ich hab nie davon gehört.«
»Dann ist Ihre Bildung sehr mangelhaft, Captain«, meinte Radley bedauernd. »Der Ausdruck ›fliegende Untertasse‹ wurde nach 1947 für die Beschreibung der seltsamen, gewöhnlich kreisrunden Flugkörper gebräuchlich, die unseren Planeten seit Jahrhunderten beobachten. Manche Leute ziehen den Namen ›Ufo‹ vor.«
»Glauben Sie wirklich, dass Besucher aus dem Weltraum die Erde beobachten?«, meinte einer der Passagiere skeptisch.
»Viel mehr als das«, entgegnete Redley. »Sie sind oft gelandet und haben mit Menschen gesprochen. Bevor wir hierherkamen, hatten sie auf der Rückseite des Mondes einen Stützpunkt, aber sie zerstörten ihn, als die ersten Beobachtungsraketen heraufkamen.«
»Woher wissen Sie denn das alles?«, fragte ein anderer. Radley schien die Skepsis seiner Zuhörer nicht zu berühren. Er strahlte eine Gläubigkeit aus, die zwar unbegründet sein mochte, aber doch sehr überzeugend wirkte. Er fühlte sich in seinem Phantasiereich sehr glücklich.
»Wir haben — Kontakte«, meinte er bedeutsam. »Ein paar Menschen ist es gelungen, mit den Leuten aus den fliegenden Untertassen telepathisch in Verbindung zu treten. Wir wissen also sehr viel über sie.«
»Und woher kommt es dann, dass sonst niemand etwas weiß?«, erkundigte sich ein Ungläubiger. »Warum sind unsere Raumschiffpiloten nie jemandem begegnet, wenn es irgendwo auf den Planeten Bewohner gibt?«
»Oh, solche Begegnungen haben stattgefunden«, erwiderte Radley mitleidig lächelnd, »aber man bewahrt Stillschweigen. Die Wissenschaftler wollen nicht zugeben, dass es draußen im Weltraum überlegene Intelligenzwesen gibt. Wenn ein Pilot von einer Untertasse berichtet, wird er ausgelacht. Deswegen schweigt heute jeder Astronaut, wenn er mit einer fliegenden Untertasse zusammentrifft.«
»Haben Sie schon so ein Ding gesehen, Commodore?«, fragte Mrs. Schuster, anscheinend halb überzeugt. »Oder sprechen Sie auch nicht davon?«
»Es tut mir sehr leid, dass ich Sie enttäuschen muss«, meinte Hansteen. »Ich gebe Ihnen mein Wort dafür, dass alle Raumschiffe, denen ich je begegnet bin, in Lloyds Register standen.«
Er begegnete Pats Blick und nickte kurz, wie um zu sagen: »Am besten besprechen wir das in der Luftschleuse.« Jetzt, da er sich davon überzeugt hatte, dass Radley harmlos war, betrachtete er dieses Zwischenspiel sogar als glückliche Fügung. Die Passagiere waren dadurch vom Ernst der Lage abgelenkt worden.