Ganz langsam, damit keiner der Passagiere durch ein verräterisches Knacken in den Ohren etwas merkte, erhöhte er den Kabineninnendruck um zwanzig Prozent. Dann fühlte er sich etwas zufriedener. Er war nicht der Einzige, denn als sich der Druckmesser auf den neuen Wert eingependelt hatte, sagte eine gelassene Stimme hinter ihm: »Das war ein guter Einfall.«
Er drehte sich nach hinten, um zu sehen, welcher Wichtigtuer ihm nachspionierte, aber sein Zorn verrauchte sofort. Beim ersten Überblick hatte Harris keinen der Passagiere erkannt; jetzt aber glaubte er diesem stämmigen, grauhaarigen Mann, der zu ihm getreten war, schon einmal begegnet zu sein.
»Ich möchte mich hier nicht aufdrängen, Captain — Sie führen ja das Kommando. Aber ich möchte mich doch vorstellen, falls ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann. Ich bin Commodore Hansteen.«
Harris starrte mit offenem Mund den Mann an, der die erste Expedition zum Pluto geführt und wahrscheinlich auf mehr unberührten Planeten und Monden gelandet war als jeder andere Raumfahrer. In seiner Verblüffung konnte er nur stammeln: »Aber Sie standen gar nicht auf der Passagierliste!«
Der Commodore lächelte. »Ich reise unter dem Namen Hanson. Seit meiner Pensionierung sehe ich mir Verschiedenes an, ohne dauernd Verantwortung tragen zu müssen. Seit ich meinen Bart abgenommen habe, erkennt mich kein Mensch mehr.«
»Ich bin sehr froh, dass Sie hier sind«, erwiderte Harris nachdrücklich. Die Last auf seinen Schultern schien leichter geworden zu sein. Der Commodore war ein Mann, auf den er sich in den kommenden schweren Stunden — oder Tagen — verlassen konnte.
»Wenn es Sie nicht stört«, fuhr Hansteen höflich fort, »möchte ich gern Ihre Meinung hören. Wie lange können wir hier aushalten?«
»Wie üblich müssen wir mit dem Sauerstoff als entscheidendem Faktor rechnen. Wir haben einen Vorrat für sieben Tage, vorausgesetzt, dass keine Lecks auftreten. Bisher scheint das nicht der Fall zu sein.«
»Nun ja, das lässt uns jedenfalls Zeit zum Nachdenken. Wie steht's mit Wasser und Nahrung?«
»Wir werden uns einschränken müssen, brauchen aber nicht zu verhungern. Wir haben eine Notreserve an Wasser und komprimierter Nahrung.«
»Strom?«
»Mehr als genug, seit wir die Motoren nicht mehr benützen.«
»Ich habe bemerkt, dass Sie sich nicht bemühen, den Stützpunkt zu rufen.«
»Völlig zwecklos. Der Staub schirmt alles ab. Ich habe das Funkgerät auf Notfrequenz eingestellt — das ist unsere einzige, wenn auch geringe Hoffnung, ein Signal durchzubringen.«
»Man muss uns also auf andere Weise finden. Wie lange, glauben Sie, wird das dauern?«
»Das ist sehr schwer zu sagen. Die Suchaktion wird sofort nach dem Ausbleiben des Signals um zwanzig Uhr beginnen, und das Gebiet, in dem wir uns aufhalten, ist in groben Umrissen bekannt. Aber wir sind wahrscheinlich versunken, ohne eine Spur zu hinterlassen — Sie haben ja selbst gesehen, wie dieser Staub alles verwischt. Und selbst wenn man uns findet …«
»… wie will man uns dann herausholen?«
»Genau.«
Der Captain des zwanzigsitzigen Staubkreuzers und der Raumfahrtcommodore starrten einander stumm an. Dann hörten sie eine sehr britische Stimme laut sagen: »Übrigens, Miss — das ist die erste anständige Tasse Tee, die ich auf dem Mond bisher bekommen habe. Meinen Glückwunsch.«
Der Commodore lachte leise. »Er sollte sich bei Ihnen bedanken, nicht bei der Stewardess«, sagte er und deutete auf den Druckmesser.
Pat lächelte müde. Es stimmte natürlich. Seit er den Kabinendruck erhöht hatte, kochte das Wasser wieder beim normalen Siedepunkt. Auf jeden Fall konnten sie sich jetzt heiße Getränke machen, nicht das übliche lauwarme Zeug.
»Unser größtes Problem ist natürlich die Stimmung der Leute«, meinte Hansteen. »Ich halte es daher für wichtig, dass Sie eine aufmunternde Rede über die sicher jetzt anlaufende Suchaktion halten. Aber geben Sie sich nicht zu optimistisch; wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass man schon in einer halben Stunde an unserer Tür klopfen wird. Wir beschwören damit nur Unannehmlichkeiten herauf, wenn — nun, wenn wir mehrere Tage warten müssen.«
»Es dauert nicht lange, die Katastrophenorganisation zu beschreiben«, sagte Pat. »Ehrlich gesagt, ist sie auf eine solche Situation gar nicht eingerichtet. Wenn ein Raumschiff auf dem Mond Bruchlandung macht, kann man es sehr leicht von einem der Satelliten aus finden — entweder durch Lagrange II über der Erdseite oder durch Lagrange I über der Rückseite des Mondes. Aber ich bezweifle, ob man uns jetzt überhaupt helfen kann. Wie ich schon sagte, sind wir untergegangen, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen.«
»Das lässt sich schwer einsehen. Wenn auf der Erde ein Schiff untergeht, lässt es immer etwas zurück — Luftblasen, Ölflecken, Wrackteile.«
»All das gilt nicht für uns. Und ich sehe auch keinen Weg, wie wir etwas an die Oberfläche schicken können — wie weit sie auch entfernt sein mag.«
»Wir müssen also einfach abwarten.«
»Ja«, stimmte Pat zu. Er warf einen Blick auf die Sauerstoffreserveuhr. »Und eins steht jedenfalls fest — wir können nur eine Woche warten.«
Fünfzigtausend Kilometer über dem Mond legte Tom Rawson die letzte Fotografie auf den Tisch. Er hatte jeden Quadratmillimeter der Abzüge mit einer Lupe abgesucht; sie waren hervorragend gelungen. Der elektronische Bildsucher, Millionen Mal empfindlicher als das menschliche Auge, hatte alle Einzelheiten klar herausgearbeitet. Sogar einer der winzigen Staubschlitten war zu erkennen — oder vielmehr der lange Schatten, den das Erdlicht hervorrief. Aber keine Spur von der Selene. Das Meer war so glatt und ungekräuselt wie je zuvor.
Tom hasste es, Niederlagen eingestehen zu müssen, selbst in weit weniger wichtigen Angelegenheiten. Er war der Meinung, dass man alle Probleme lösen konnte, wenn sie mit der passenden Ausrüstung auf passende Weise angefasst wurden. Das war eine Herausforderung an seinen wissenschaftlichen Scharfsinn; die Tatsache, dass zahlreiche Menschenleben auf dem Spiel standen, war nebensächlich. Dr. Tom Rawson hatte für seine Mitmenschen nicht viel übrig, aber er respektierte das Universum. Er betrachtete das Ganze als eine private Auseinandersetzung.
Er überprüfte die Situation mit kühl-kritischer Intelligenz. Wie hätte wohl der große Sherlock Holmes dieses Problem angepackt? Es war charakteristisch für Tom, dass einer der wenigen Männer, die er wirklich bewunderte, nie existiert hatte. Das offene Meer schied aus, also blieb nur eine Möglichkeit. Der Staubkreuzer musste an der Küste oder in der Nähe des Gebirges, vermutlich in dem als Kratersee bekannten Gebiet zu Schaden gekommen sein. Das klang auch plausibel. Ein Unfall war hier weitaus wahrscheinlicher als auf der glatten, hindernislosen Ebene. Er betrachtete wieder die Fotografien und konzentrierte sich diesmal auf die Berge. Sofort stand er vor einer neuen Schwierigkeit. Am Rand des Meeres gab es zahllose vereinzelte Klippen und Felsblöcke — und bei jedem konnte es sich um den vermissten Kreuzer handeln. Schlimmer noch, viele Gebiete konnte er überhaupt nicht überprüfen, weil die Sicht von den Bergen abgeschnitten wurde. Von Lagrange II aus lag das Meer des Durstes weit unterhalb der Wölbung des Mondes, so dass sich ein stark verkürzter Blickwinkel ergab. Der Kratersee blieb ihm zum Beispiel durch die hoch aufsteigenden Felswände völlig verborgen. Dieses Gebiet konnte also nur von den Staubschlitten abgesucht werden.
Es blieb wohl nichts anderes übrig, als den Kontrollturm zu rufen und einen Zwischenbericht zu erstatten.
»Rawson, Lagrange II«, sagte er, als die Verbindung zustande gekommen war. »Ich habe das Meer des Durstes abgesucht — auf der offenen Ebene ist nichts zu sehen. Die Selene muss irgendwo am Ufer auf Grund gegangen sein.«
»Danke«, erwiderte eine Stimme. »Es gibt keine Zweifel?«
»Nein. Ich kann Ihre Staubschlitten erkennen, die nur ein Viertel der Größe Ihrer Selene haben.«