Plötzlich öffnete sich die Klappe des Briefkastens. Die Post flatterte auf die Fußmatte, und die Klappe schloß sich mit einem Klacken. Ein alter Hund bog um die Ecke, nahm die Briefe in die Schnauze und trabte in den Salon zurück.
Spuck achtete nicht weiter auf diesen Zwischenfall, da er nur an Mäusen interessiert war.
Trödler hatte bewundernd mitangesehen, wie Skrang um Haaresbreite entwischte, und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie zum Untergang verurteilt waren. Seine Phantasie reichte aus, um sich vorzustellen, wie ihn zwei krallenbewehrte Pfoten an den Boden preßten und seine Eingeweide in der Halle verteilten. Dieses Bild blockierte sein ganzes Denken und die Hoffnung auf eine mögliche Flucht, obwohl der Kater allerhöchstens zwei Mäuse auf einmal fangen konnte.
In diesem Augenblick hätte Trödler alles dafür gegeben, wieder geborgen in seiner aromatisch duftenden Hecke zu sitzen.
Spuck lief weiter auf und ab, murmelte vor sich hin und peitschte mit dem rötlichen Schwanz den Boden.
Plötzlich tauchte in der Wohnzimmertür die zweite, weitaus gefährlichere Katze auf. In den vier Mäusen wuchs jetzt die felsenfeste Überzeugung, ihr Ende sei gekommen. Augapfel, die kleiner, schneller und athletischer gebaut war als Spuck, schlich in die Halle.
Wie durch ein Wunder trug sie schon etwas im Maul. Als das Licht auf sie fiel und tanzende Schatten auf ihr blaues Fell warf, erkannten die Zuschauer, daß es sich bei diesem Etwas um einen Artgenossen handelte. Er hing schlaff zwischen den Kiefern der Katze. Seine Augen wirkten glasig, die Gliedmaßen baumelten herunter, doch er war eindeutig noch am Leben. Irgendeine törichte Maus hatte es also gewagt, Augapfels ureigenes Territorium, das Wohnzimmer, zu betreten, und mußte nun den Preis für dieses waghalsige Unterfangen zahlen.
Spuck war an der Beute sehr interessiert. Er wirkte ein wenig erbost.
Skrang konnte die Gedanken des rötlichgelben Katers lesen: Er glaubte, Augapfel habe die Maus gefangen, die er selbst gejagt hatte. Der Anblick seiner Maus im Maul seiner Rivalin gefiel ihm ganz und gar nicht. Er sträubte sein Fell, spuckte und miaute leise vor sich hin.
Augapfel würdigte ihn keines Blickes. Sie ließ die Maus auf den Teppich fallen. Diese kam augenblicklich wieder zu sich und wollte fliehen. Die Katze wartete eine Sekunde, schnappte zu und warf ihre Beute hoch in die Luft. Die Maus landete auf dem Boden, überschlug sich und lief in die andere Richtung. Augapfel sah gleichgültig zu, sprang dann los, warf die Maus von einer Pfote in die andere und biß mit einem grauenhaften Knirschen zu. Sie spielte weiter, schmetterte die tote Maus gegen die Wand, warf sie noch einmal hoch in die Luft und fing sie geschickt mit dem Maul auf. Schließlich nahm sie die Beute zwischen ihre Vorderpfoten. Ihr Gesicht sprach eine stumme Drohung aus: Wehe dem, der versucht, sie mir wegzunehmen.
Trödler beobachtete dieses Schauspiel voller Ekel. Ihm war speiübel. Er konnte sich kaum vorstellen, daß die Maus, die so durch die Luft gewirbelt worden war, gerade noch gelebt hatte. Wozu war das alles gut? Eben noch glücklich und zufrieden, erfüllt vom Gedanken an die nächste Mahlzeit - und schon bist du selbst die nächste, der Appetithappen für eine Kreatur mit mörderischen Krallen und scharfen Zähnen.
Ihm war nicht danach, diese Gedanken weiterzuspinnen, da sich in der Halle etwas Interessantes abspielte. Der rötliche Kater war offensichtlich zu dem Schluß gekommen, daß ihn die junge Katze, mit der er sich das Haus teilte, seiner rechtmäßigen Beute beraubt hatte. Nun näherte er sich spuckend, zischend und überaus feindselig der Burmakatze.
Augapfel kam flink auf die Füße, die tote Maus wieder im Maul. Sie stieß ein leises, warnendes Grollen aus, das dem eines Hundes gar nicht unähnlich war. Spuck preschte mit gesträubtem Nackenhaar vor. Seine Lippen waren drohend geöffnet und gaben den Blick auf spitze Zähne frei. Augapfel holte blitzschnell mit der krallenbewehrten Pfote aus. Sie traf den Angreifer hinter dem Ohr, riß an seinem Fell. Blut floß. Die beiden verwandelten sich in ein Knäuel aus Beinen und verschlungenen Körpern. Die ältere Katze schien dabei den kürzeren zu ziehen. Nachdem sich die beiden voneinander gelöst hatten, zog sich Spuck klugerweise zurück, außer Reichweite der Krallen seiner Gegnerin. Von seinem linken Ohr perlten rote Tropfen.
Den vier Mäusen kam die Situation wie ein Zweikampf unter Göttern vor. Katzen waren unbesiegbar, furchtlos, die Herrscher des Universums. Es gab niemanden, der kaltblütiger und entschlossener schien als eine Katze. Der Zusammenstoß dieser Geschöpfe kam dem Zusammenstoß zweier Planeten gleich, die aus entfernten Milchstraßen aufeinander zufliegen.
Trödler warf einen Blick auf Fusel. Seine Augen waren vor lauter Angst weit aufgerissen, der Unterkiefer klappte herunter.
Skrang hingegen schien ganz ruhig zu sein. Sie stand im Schatten und konzentrierte sich kühl und nachdenklich auf die Situation in der Halle. Man mußte genau abwägen, wann die Zeit zum Verharren oder Wegrennen gekommen war. Davon hing das Überleben ab. Skrang würde nicht sterben, nur weil sie vor Angst festgefroren war, wenn sie weglaufen mußte. Ebenso würde sie ihr Leben nicht bei der Flucht aufs Spiel setzen, wenn sie hinter der Fußleiste sicher aufgehoben war.
Fusel sah aus, als könne er jeden Augenblick losrennen. Seine Muskeln wölbten sich hervor, die Sehnen waren gespannt, sein ganzer Körper zuckte. Trödler stand bereit, Fusel anzuspringen, falls dieser eine Flucht wagen und damit ihren Aufenthaltsort verraten sollte.
Die beiden Katzen gingen wieder ihrer Wege und ließen die tote Maus auf dem Teppich zurück. Noch nie hatte Trödler eine derart mäuseverachtende Geste erlebt. Also war es bei dem ganzen Kampf überhaupt nicht um die Beute gegangen, sondern nur um Machtfragen. Den angeblichen Grund der Auseinandersetzung hatte man einfach zurückgelassen, da keinem dieser Monster wirklich daran gelegen war.
Sobald die Katzen verschwunden waren, sausten die beiden Stinkmorcheln zum Gwenllian-Loch am anderen Ende der Halle.
Trödler und Skrang blieben zurück. Trödler fühlte sich erschöpft. Draußen in der Hecke hätte er sich in einem Loch, unter dornigen Ästen oder einem Haselzweig versteckt. Noch nie war er Katzen so nahe gekommen. Der Gestank ihrer Felle steckte ihm jetzt noch in der Nase. Trotz der ungeheuren Erleichterung, noch am Leben zu sein, schlug sein Herz bis zum Hals. Er kauerte sich an die Wand, um wieder zu sich zu kommen, schluckte, um den Kloß im Hals loszuwerden.
»Ich habe dich noch nie gesehen«, bemerkte Skrang.
»Ich bin neu hier«, gestand Trödler und kam unwillig aus der Geborgenheit der Wand hervor. »Die Mäuse, die ich bisher getroffen habe, finde ich nicht gerade beeindruckend. Von dir natürlich abgesehen - du scheinst ja halbwegs vernünftig zu sein. Den beiden von vorhin bin ich auf dem Weg ins Haus im Keller begegnet. Sind die anderen hier eher wie du oder wie sie?«
Skrang zuckte die Achseln. »Weder noch. Warum bist du eigentlich hergekommen?«
»Die Stimmen meiner Vorfahren haben es mir befohlen. Ich mußte ihnen gehorchen und die Hecke verlassen. Dann hatte ich gemerkt, daß mich das Haus irgendwie anzieht.« Die genauen Worte der Stimmen behielt Trödler wohlweislich für sich.
Skrang nickte. »Stimmen der Vorfahren? Du mußt zu etwas Besonderem auserwählt sein. Na ja, wenn du schon einmal hier bist, mußt du das Beste daraus machen. Zunächst solltest du dir einen Stamm suchen, der dich aufnimmt. Du bist ein Gelbhals wie ich, da ist es nicht so leicht, mit den Hausmäusen zurechtzukommen. Für ein Totenkopf-Training scheinst du mir ein bißchen zu alt, aber die Buchfresser werden dich vielleicht aufnehmen. Sie haben eigentlich keine Vorurteile, auch wenn sie ein wenig weich in der Birne sind. Falls dich eine Horde von Traumtänzern nicht weiter stört, könntest du ganz gut mit ihnen auskommen.«