Tostig führte jetzt den Angriff gegen Eindringlinge, die den Kochtopf erobern wollten, der über dem Herd hing.
Drenchie von den 13-K leitete den Entsatzschlag gegen den Herd. Einem ihrer Krieger gelang es, den Bratspieß hinaufzulaufen und auf den Griff des Kochtopfs zu springen. Der Plan bestand darin, um den Rand herumzusausen und Eintopfreste abzukratzen, die noch am Topf klebten. Leider war der Griff ziemlich fettig, und der athletische Krieger rutschte ab und fiel in den Eintopf. Ein kurzer Schreckensschrei ertönte, gefolgt von einem saugenden Geräusch. Dann herrschte Schweigen im Topf. Der Herd war ausgeschaltet und der Topfinhalt abgekühlt; trotzdem schien das Ertrinken im Eintopf keine wünschenswerte Todesart.
»Reißt ihnen die Augen aus!« erscholl der Schlachtruf Ulfs, des Rebellenführers und Sohnes von Gorm. »Zerfetzt ihre Kehlen!«
Ulf war von seinen Beschützern, den Auserwählten, umgeben, besonders treuen und bevorzugten Mitgliedern seiner Bande. Sie wehrten jeden Versuch des Stamms der Wilden ab, auch nur in die Nähe ihres geliebten, gutaussehenden Anführers zu gelangen. Die 13-K verfügten nur über sehr begrenzte Kampferfahrung, machten dieses Manko aber durch große Begeisterung und jugendliche Tapferkeit weit. Ulf lenkte seine Krieger entschlossen zur offenen Tür der Speisekammer. Es gelang ihm, die Linie der Verteidiger zu durchbrechen und die überquellende, niemals leer werdende Speisekammer der Wilden zu betreten. Die 13-K, die bei ihm geblieben waren, nutzten den Vorteil einer reichen Auswahl köstlichen Futters. Allerdings mußten sie nun gleichzeitig kämpfen und fressen.
Gorm der Alte war außer sich angesichts dieses Durchbruchs. Seine persönlichen Leibwächter, die Unsterblichen, hatten einen Ring um ihn und Hakon gebildet. Es gelang dem Anführer einfach nicht, sich durch die Eindringlinge zu seinem verlorenen Sohn vorzukämpfen.
»Mein eigenes Fleisch und Blut!« polterte Gorm. »Vom eigenen Sohn beraubt! Ich reiße ihm die Milz heraus! Ich ziehe ihm Haut und Fell vom Bauch! Ich will sein Blut fließen sehen!«
Inzwischen war Drenchie zum Gegenangriff auf Tostigs Streitkräfte übergegangen und hatte die Verteidiger bis zum Küchentisch zurückgedrängt. Zwei oder drei 13-K-Krieger kletterten an einem Tischbein hoch und stießen Jubelrufe aus.
Sie hatten dort oben Unmengen von Brot, Käse und Gemüse entdeckt. Ein Futterregen ging auf Drenchies Krieger nieder, die die Stücke eifrig schnappten und damit zur Küchentür rannten. Seiltänzer, ein Hauptmann der 13-K, machte einen Fluchtweg für die Mäuse frei, die mit Vorräten beladen den Rückzug antraten.
In einer Ecke der Küche war eine Milchflasche umgefallen. Eine schwangere 13-K-Maus zwängte sich durch die Öffnung, um einen Eierbecher voll Milch zu ergattern. Sie trank die sahnige Flüssigkeit, bis ihr Bauch wie ein Pendel hin und her schwang. Sie geriet in Panik, als sie feststellen mußte, daß ihr der Rückweg durch den engen Flaschenhals versperrt war.
»Wälze dich in der Milch«, rief ihr ein Freund von draußen zu. »Das macht dein Fell naß und schlüpfrig.«
Das ängstliche Weibchen befolgte seinen Rat und schaffte es, sich mit Mühe durch den Hals zu quetschen. Es eilte auf dem schnellsten Weg zum Holzschuppen zurück.
»Assundoon! Assundoon!« wütete der Anführer des Stamms der Wilden. Er rannte törichterweise weit vor den Unsterblichen her, die ihn von hinten decken sollten, und jagte den Räubern der 13-K nach, die seine geliebte Speisekammer plünderten.
Einige 13-K-Krieger wandten sich gegen den schutzlosen Anführer. Sie hofften, mit einem Angriff auf den Häuptling des wildesten Stammes aller Zeiten ein wenig Ruhm zu ernten. Hakon kam seinem Herrn zu Hilfe. Er mußte ihn erreichen, bevor sich zu viele Feinde versammelt hatten. Hauptmann Gunhild von den Unsterblichen eilte ebenfalls herbei. Die 13-K stießen ein Triumphgeschrei aus, als sie auf die einsam dastehende Gestalt zustürmten.
Als es so aussah, als würden sie Gorm überwältigen, wurde die ganze Küche in blendendes Licht getaucht, und das Schlachtfeld leerte sich in Sekunden. Ein Nacktling war aus dem Schlafzimmer heruntergekommen. Die Mäuse zerstreuten sich blitzschnell in alle Richtungen und suchten nach dem nächsten Unterschlupf. Nacktlinge waren zwar dumm, konnten aber sehr gefährlich werden. Keine vernünftige Maus ließ es auf eine Konfrontation mit einem von ihnen ankommen.
Der Überfall war vorbei. 13-K-Angehörige zwängten sich durch die Löcher in der Fußleiste und liefen die Gänge hinter den Wänden entlang. Die Wilden zogen sich in ihre Nester in der Küche zurück. Die Flucht vom Schlachtfeld hatte sich so rasch vollzogen, daß der verschlafene Nacktling vermutlich nicht eine einzige Maus bemerkt hatte.
Nachdem die Eindringlinge verschwunden waren, berief Gorm der Alte eine Zusammenkunft der wichtigsten Stammesmitglieder ein. Dazu gehörten Gytha Schönbart, Gunhild, Elfwin, Ketil, Skuli, Astrid und Thorkils Dreibein wie auch das vertrauenswürdige Zwillingspaar Hakon und Tostig.
Zunächst dankte die Hohepriesterin Astrid dem Herrn der Schatten für das rechtzeitige Eingreifen der Götter von Assun-doon, das ihren Anführer vor Tod und Verletzung bewahrt hatte.
Danach hielt Gorm eine seiner verhaßten Einsatzbesprechungen ab. »Ich möchte genau wissen, was heute nacht passiert ist«, grollte er. »Warum haben die Wächter nicht Alarm geschlagen? Die 13-K hätten unsere Geruchslinie niemals überschreiten dürfen. Ich hoffe, es gab ordnungsgemäße Markierungen in den Ecken der Küche.«
Gorm meinte damit die in allen Mäusestämmen verbreitete Methode, durch Urin die Grenzen eines besetzten Gebietes zumarkieren.
Die Runde nickte.
»Dann hat jemand geschlafen.«
Elfwin studierte eingehend das Gesicht seines Anführers. Seine Nase war von hundert Schlachten gezeichnet, ein Ohr im Zweikampf mit seinem Vorgänger abgerissen, die linke Wange hing tiefer als die rechte, nachdem sich spitze Zähne hineinge-bohrt hatten. Gorms Häßlichkeit war unbestritten, ebenso sein übellauniges Wesen. (Nur Thorkils Dreibein war noch cholerischer, was man auf den Verlust des vierten Beines zurückführte.) Im ganzen Haus kannte man Gorm als klugen und furchtlosen Kämpfer. Obwohl vierhundert Nächte alt, war seine Stärke nach wie vor ungemindert.
»Wer hat heute nacht die Posten eingeteilt? Wer war Hauptmann der Wache?« erkundigte sich Elfwin.
Die Anwesenden scharrten mit den Füßen.
Schließlich meldete sich Ketil zu Wort. »Ich bin heute Hauptmann der Wache. Einer meiner Wächter muß wohl ein wenig unaufmerksam gewesen sein ...«
»Ein wenig unaufmerksam?« donnerte Gorm. »Sie lagen mit der Nase unten im Traumland, darauf wette ich! Bist du nun dafür verantwortlich oder nicht?«
»Ja, das bin ich«, murmelte Ketil. Irgend jemand mußte für den Angriff büßen, und es sah aus, als sei er derjenige.
Gorm näherte sich Ketils Gesicht, bis sie Nase an Schnurrhaar standen. »Ich müßte dir eigentlich die Leber herausreißen«, knurrte er.
»Ja.« Ketil zuckte unwillkürlich zusammen.
Danach herrschte langes Schweigen. Ketil stand nur da und bebte vor Angst, sein Fell sträubte sich.
Dann ergriff Astrid das Wort. »Drei Extrawachen, zwei Stunden lang kein Futter und der Verlust der Hauptmannsprivilegien für sieben Stunden sollten reichen, Gorm«, meinte sie.
Astrid war einer von Gorms Lieblingen. Sie hatte ihm mehrere Würfe Junge geschenkt (sein verhaßter, abtrünniger Sohn Ulf war nicht unter diesen Früchten seiner Lenden). Sie konnte keine Kinder mehr bekommen, doch Gorm rief sie noch immer zu sich ins Nest. Manchmal trat Astrid zugunsten der anderen Hauptleute ein, wenn sie das Mißfallen ihres Anführers erregt hatten und Gefahr liefen, auf der Stelle exekutiert zu werden.