Als er noch sehr jung war, erzählte ihm seine Mutter die folgende Geschichte: »In der Hecke können die Geister von Mäusen und Eulen einander flüchtig berühren. Die Wiesel und Hermeline sind unsere Feinde - ihre Sprache klingt furchtbar in unseren Ohren, ihre Freßgewohnheiten stoßen uns ebenso ab wie ihr Aussehen -, und doch schweißt uns die Hecke zusammen, weil sie unsere gemeinsame Heimat ist. Die Hecke ist erfüllt von den Seelen toter Tiere, von Vögeln, die über die Zeit hinausgeflogen sind und deren Geister sich im Netz des Schwarzdorns verfangen haben. Dies verbindet uns und verleiht der rohen Welt ein wenig Harmonie .«
In der Hecke war Trödler geboren, besser gesagt, im Erdreich darunter. Obgleich er zwischen ihren Zweigen und Dornen ebenso viel Zeit verbrachte wie auf der Erde, hatte ihn seine Mutter in einer Lehmhöhle unter dem grasbewachsenen Rand des Grabens zur Welt gebracht. Dort unten verlief ein Netz von Tunneln, die zu Höhlen führten. Darin lebten Waldmäuse und Gelbhalsmäuse zusammen.
Hier, in der warmen Sicherheit des heugepolsterten Nestes, von der Erde wie von einer großen, warmen Pfote umfangen, wurden Trödler und seine Geschwister geboren. In dieser Höhle sagte seine Mutter damals zu einer Nachbarin: »In dem Augenblick, als dieser Bursche zur Welt kam, trat ein Maikäfer in die Tür und raschelte mit den Flügeln.«
»Na und?« fragte die Nachbarin, die ihre eigenen Sprößlinge für sehr viel wichtiger hielt als die jeder anderen Maus.
»Was heißt hier >na und<?« ereiferte sich Trödlers Mutter. »Weißt du denn nicht, daß ein Maikäfer Größe prophezeit? Eine wandernde Waldmaus hat mir einmal erzählt, daß Frych die Gefleckte, die Hexenmeisterin aus dem großen Haus, es selbst gesagt hat. Dieser hier wird einmal Großes vollbringen, das kannst du mir glauben.«
»Maikäfer? Die haben doch nur ein Käferhirn. Und dann auch noch Frych die Gefleckte!« schnaubte die Nachbarin und kehrte zu ihrer eigenen kostbaren Brut zurück.
»Paß bloß auf«, brüllte Trödlers Mutter, »wenn du den Namen einer Zauberin mißbrauchst, verwandelt dich ihr Fluch vielleicht selbst in einen Maikäfer!«
Trödler lebte geschützt in der Hecke, bis er zu einem ausgewachsenen Gelbhals, der größten Mäuseart der Gegend, geworden war. Seinen Namen verdankte er der Angewohnheit, zunächst mit seinen Geschwistern, dann auch mit anderen Mäusen sein Futter zu tauschen. Die anderen fanden es ungewöhnlich, da Mäuse immer das fraßen, was sich ihnen an Ort und Stelle bot. In ihren Augen war Trödler komisch, weil er stets eine Beere gegen eine Nuß tauschen wollte, doch sie machten das Spiel mit und hatten ihren Spaß an dieser Erfindung.
Für viele Tiere und Vögel, die in ihr lebten, bedeutete die Hecke die ganze Welt. Trödler hatte schon einige Male die gefährliche Krone des nahen Baums bestiegen, wo ihn Turmfalken und Weihen sehen konnten.
Trödler hatte keine allzu guten Augen, da sich Mäuse mehr auf ihren Tast- und Geruchssinn verlassen, aber er spürte die Beständigkeit der Hecke. Sie war einfach da. Sie war seit der Ankunft der Bäume da gewesen und würde für immer da bleiben.
In diesem Heiligtum hatten Trödlers Ururgroßeltern und deren Vorfahren gelebt und waren hier gestorben. Ihre Linie ließ sich bis in die Zeit zurückverfolgen, als die ganze Welt eine samenreiche Wiese war und nur von Mäusen bewohnt wurde. Man spürte sie noch in den halb verwehten Gerüchen, den Pelzfetzen, die sich in Zweigen und Dornen verfangen hatten, dem Flüstern der Gräser.
Die dornige Hecke mit ihren pikenbewehrten Wällen und Palisaden diente auch als Burg und schützte ihre vielen Bewohner vor Greifvögeln und vierfüßigen Räubern.
Selbst Raubtiere suchten hier Zuflucht, wenn sie von den Nacktlingen und deren Hunden gehetzt wurden.
Trotzdem waren es eben jene Nacktlinge, die die Hecke beschnitten und am Leben erhielten, ihre breite Schulter im Frühjahr zurechtstutzten, vertrocknetes Laub aus dem Graben darunter harkten und ihre Zweige bogen und drehten, damit sie Wind und Sturm überdauerten. Solange sie nach Anweisung des großen Schöpfers arbeiteten, hatten selbst die Nacktlinge einen gewissen Nutzen und trugen zur Bewahrung von Trödlers Welt bei.
Und so überdauerte die Hecke als Gemeinschaft. Es war unwichtig, daß viele Bewohner, Schmetterlinge und Igel, Spinnen und Hermeline, verschiedene Sprachen besaßen. Es gab noch eine zweite, universelle Sprache, die aus Warnlauten, Bewegungen und Gerüchen bestand und der Bevölkerung der Hecke zur Verständigung in Notfällen diente. Wenn sich ein Sturm zusammenbraute, teilten die Tiere einander sein Kommen mit.
»Ein Sturm zieht auf, ein Sturm zieht auf«, riefen die Amseln in ihrer eigenen Sprache. Und alle, einschließlich Trödler, verstanden die Warnung, weil sie den Ruf schon so oft gehört hatten.
»Alle Mann nach unten«, ordnete sein Vetter Tinker stets an.
Einmal jedoch antwortete Trödler entschlossen: »Nein, ich möchte sehen, was passiert. Ich bleibe hier oben.« Sagte es und kauerte sich in eine Astgabel.
»Du bist verrückt«, murmelte Tinker. »Bekloppt wie ein Nacktling.«
Trödler wollte ein einziges Mal die Stimmen des Himmels in ihrer ganzen Macht hören, nicht gedämpft durch den Lehm über seinem Nest und die Grasnarbe. Er wollte den archaischen, dröhnenden Zungen des schlechten Wetters lauschen, die Geschichten von langverrauschtem Regen erzählten. Die Hecke sprach stets im Flüsterton zu ihm, als wolle sie die Geheimnisse der Urzeit mit ihm teilen. Jedes Blätterrascheln, jeder knarrende Ast trug ihm die Lehren seiner Ahnen zu. Nun wollte er sehen, wie der Himmel Blitz und Donner gebar. Er wollte hören, wie die Stürme durch den Stechginster tobten und der Regen auf die hohle alte Eiche prasselte.
»Tinker wird sich ärgern, weil ich den Mut hatte, draußen zu bleiben«, murmelte Trödler hoffnungsvoll. »Es wird ihm noch leid tun, daß ich so viel mehr erlebt habe als er.«
Der Geruch des Sturms rückte näher. Die ferne Regenwand wühlte die Erde auf und weckte neue Düfte, die wie Flüsse durch die Landschaft auf ihn zuströmten. Trödler saß da und wartete.
Wind kam auf. Er peitschte durch die hohen Brennesseln, zerrte an Knoblauchsrauke und Ackerwinde. Eine Mauerwespe wurde von ihrem Platz auf einem Dorn gerissen und im Nu ins ewige Nichts getragen. Trödler schluckte und klammerte sich fester an den Schwarzdorn. Hirschzunge und breitblättriger Ampfer wurden an den Boden gepreßt, die Primeln schlossen sich wieder zu Knospen. Der Wind fuhr kreischend durch die Hecke, verlieh ihr eine neue Gestalt, Wellen furchten ihre breite Flanke. Sie verwandelte sich in ein lebendes Wesen, das sich verzweifelt bemühte, eine Zuflucht hinter Bergen und Tälern zu finden.
»Das war nun also der Wind«, bemerkte Trödler, beeindruckt, aber nicht überwältigt von dessen Kraft. Er fragte sich, wie wohl die Nächte in jener fernen Vergangenheit gewesen waren, als es noch keine Hecken und Bäume gab. Wenn der Wind durch die langen Gräser peitschte, mußten sich seine Vorfahren wie Zwergmäuse an den Halmen festgeklammert haben.
Danach kam der Regen im dunklen Gewand und fuhr zischend vom Himmel herab.
Eine junge Wühlmaus hatte sich aus ihrem Loch unter Trödlers Aussichtsplatz gewagt, stieß einen schrillen Schrei aus und verschwand wieder in ihrem Nest.
Trödler keuchte, als die Flut auf ihn niederging. Er konnte kaum Luft holen, ohne Wasser zu schlucken. Blitz und Donner fegten ihn beinahe aus seiner Hecke. Seine Augen traten fast aus den Höhlen. »Schon gut, es reicht!« rief er. »Jetzt habe ich Angst.«