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Eine typische Aufgabe war der Besuch der Außenwelt. Iban hatte die Übung pflichtgemäß durchgeführt, ohne jedoch in Begeisterung über die Wildnis da draußen zu geraten. Mäuse wie Stone vertraten die entgegengesetzte Ansicht. Stone war einmal im Haus gewesen und hatte danach die Absicht verkündet, nie wieder einen Fuß über die Schwelle zu setzen.

»Atme diese reine Luft ein!« sagte der Haselmäuserich und füllte seine Lungen mit der Gartenluft.

Iban konnte die Nähe des Klos nicht aus seiner Nase verdrängen und hielt die Atmosphäre für alles andere als rein; vor allem wurde das Klo nicht oft genug entleert, da es von den Nacktlingen nur noch im Notfall benutzt wurde.

»Und der Gestank?«

»Landluft, frische Landluft«, erwiderte Stone zufrieden. »Das gehört einfach zum Leben in der freien Natur.«

Iban wechselte das Thema. »Ich bin aus privaten Gründen hier. Ich brauche deinen Rat.«

Der Haselmäuserich wischte sich mit den Pfoten die Schnurrhaare. »Ehrlich? Ein spiritueller Krieger fragt mich um Rat?«

Iban war peinlich berührt. »Nun ja, es ist eine weltliche Angelegenheit.«

»Gut, gut, sprich nur weiter. Weltliche Angelegenheiten sind meine Stärke. Ich weiß wenig über häusliche Fragen, du verstehst, aber in weltlichen Dingen bin ich erfahren.«

»Nun«, fuhr Iban fort, »die Sache ist die - ich bin Yo geweiht und damit dem Weg der Finsternis und Unwissenheit.« Während er sprach, biß er geistesabwesend in eine Pflanze, die gleich neben ihm wuchs.

Der Haselmäuserich sah ihn mitfühlend an. »Ja, und du kannst nicht - entschuldige bitte, aber kaue nicht auf dieser Lichtnelke herum, sie sind so selten. Da drüben wächst jede Menge Ruprechtskraut. Es hängt uns schon zum Hals heraus. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, du kannst nicht alles vergessen, was du weißt, wer du bist und wozu du hier bist? Keine Sorge, Iban, das renkt sich schon ein. Ich bin sicher, der alte Yo weiß, wie sehr du dich bemühst.«

Iban seufzte, dann platzte es aus ihm heraus. »Ich liebe eine Maus. Ihren Namen darf ich nicht nennen.«

Stone zwinkerte und zuckte die Achseln. »Alles ganz normal«, sagte er in weisem Ton. »Brauchst dich nicht dafür zu schämen. Ich selbst benötige natürlich kein Weibchen, aber es spricht nichts dagegen, wenn Mäuse im eigenen Nest ein wenig kuscheln. Was die Umwelt betrifft, sollte man sich selbstverständlich fortpflanzen. Die Erde ist ein schöpferisches Ganzes - sie gedeiht weiter mit jedem neuen Leben, solange es organisch und natürlich ist.«

Iban schrie ihn an: »Nein, nein, du verstehst mich nicht. Ich habe als Totenkopf ein Keuschheitsgelübde abgelegt.«

Der Haselmäuserich nickte. »Aha. Jetzt kapiere ich. Und du kannst dieser Versuchung nicht widerstehen, oder?«

»Genau. Meine unsterbliche Seele leidet Qualen.«

Stone dachte nach. »Nach meiner Erfahrung wird man eine Besessenheit nur los, indem man sich eine neue, ungefährliche sucht.«

»Was zum Beispiel?« fragte Iban.

»Vermutlich ist die, die du jetzt hast, schon die ungefährlichste. Ich meine, du könntest auch von Krankheit und Tod besessen sein. Oder vom Essen und Trinken wie diese abscheulichen Kellermäuse.« Stone legte Iban freundschaftlich den Schwanz um die Schultern. »Vergiß mal eine Weile den Zustand deiner Seele. So wie ich die Totenköpfe kenne, schaden ihr ein paar dunkle Flecken nicht. Es kann auch zu große Reinheit geben, weißt du ... Willst du schon gehen?« rief er, als Iban sich dem Haus zuwandte. »Paß auf, daß du nicht auf die Sternmiere trittst, sie ist beinahe ausgestorben .«

In dieser Nacht trug Iban einen schrecklichen Kampf mit sich selbst aus und verlor. Schlag zwölf wartete er im Mondlicht zwischen den kupfernen Pfannen auf Astrid.

Boursin

Bei den Totenköpfen gab es keine Stammeshierarchie. Der altehrwürdige I-kucheng, der gerade an der Standuhr vorbei durch die Halle schlurfte, war das Gegenstück eines herkömmlichen Anführers. Er bemerkte nicht die Maus, die ihn durch das Schlüsselloch, durch das die Uhr aufgezogen wurde, beobachtete. Es handelte sich um ein Mitglied der Unsichtbaren namens Lauscherin. Sie war stocktaub, sah dafür aber um so besser und wohnte oftmals als stumme Zeugin den Ereignissen in der Halle bei. In diesem Moment erlebte sie den Beginn einer Friedensmission.

Skrang folgte I-kucheng auf dem Fuß und inspizierte dabei alle Ecken und Winkel, an denen sie vorüberkamen.

Plötzlich stürzte eine Gestalt aus einer Nische unter der Treppe hervor. Skrang sprang auf den Eindringling zu und riß ihn mit einem geschickten Ik-to-Tritt von den Füßen. Er blieb auf dem Rücken liegen und reckte die Beine in die Luft. Skrang stürzte sich mit gefletschten Zähnen auf die ungeschützte Kehle.

»Bitte - bitte beiß mich nicht«, flüsterte die unterlegene Maus.

I-kucheng schlurfte weiter, als habe er die Gefahr überhaupt nicht bemerkt, und sagte über die Schulter gewandt: »Komm schon, Skrang, wir müssen noch in dieser Stunde mit Gorm reden.«

»Warum wolltest du meinen Kameraden angreifen?« zischte Skrang.

»Dieser verdammte unfähige Richter«, erwiderte die Maus. »Er ist schuld, daß meine Familie nicht mehr mit mir redet.«

»Sein Urteil ist immer weise und berücksichtigt alle Aspekte einer Auseinandersetzung.«

»Er ist ein sabbelnder alter Trottel«, fauchte die Maus. »Man sollte ihn einsperren.«

Skrang kannte diese Vorwürfe zur Genüge und war ihrer überdrüssig geworden. »Beim nächsten Mal reiße ich dir die Kehle auf, kapiert?«

»Kapiert«, murrte die Maus.

»Wir kommen zu spät«, rief I-kucheng. »Beeil dich, Skrang.«

Skrang ließ die Maus ziehen, die wie der Blitz in den Schatten der Halle verschwand.

»Ich komme schon«, antwortete sie matt. »Ich folge dir, wie immer.«

»So eine ungemütliche Maus«, brummte I-kucheng. »Will mir nie richtig Gesellschaft leisten. Trottet immer nur hinter mir her .«

»Hör auf, mit dir selbst zu reden«, rief Skrang. »Die anderen glauben sonst, du wirst senil.«

Um in die Küche zu gelangen, mußten sie durch eine Ecke von Augapfels Wohnzimmer huschen. Skrang hatte gesehen, daß die Katze an diesem Morgen in einem Korb weggebracht wurde. Folglich würde sie bei der Rückkehr nach der Medizin im Badezimmer riechen. Bis dahin war das Wohnzimmer ein relativ sicherer Ort. Spuck döste im Salon vor sich hin. Er würde es nicht einmal in Augapfels Abwesenheit wagen, ihr Reich zu betreten. Sein Leben war ihm schließlich lieb und teuer.

Im Wohnzimmer saßen nur zwei Nacktlinge und tranken Kaffee. Sie gaben dabei laute Töne von sich und wedelten mit den Armen in der Luft herum. Sie verbreiteten einen süßlichen Duft, der Skrang überhaupt nicht zusagte. Einer trug etwas auf dem Kopf, das an einen verbeulten Mülleimer erinnerte. Um den Hals des anderen hing ein Kranz aus bunten Zähnen. Beide hatten sich in leuchtendbunte Vorhänge gehüllt.

Die beiden Totenköpfe zwängten sich unter der Küchentür hindurch. Ein Nacktling mit dicken Augengläsern arbeitete an der Spüle. Er jagte gelegentlich Mäuse, und die Botschafter machten, daß sie weiterkamen. Sie schlüpften hinter den warmen Ofen, wo sie auf einige Wachen der Wilden trafen, die ihr Territorium beschützen wollten.

»Ich bin es, I-kucheng, mit meiner Gefährtin Skrang.«

Ein Wachtposten starrte sie im Dämmerlicht an und winkte den herbeieilenden Mäusen zu. »Falscher Alarm. Totenköpfe.«

Grollend zogen sich die Wachen in ihre warmen Nester zurück. I-kucheng und Skrang durften die Küche betreten. Sie liefen geradewegs zu Gorm dem Alten, der ebenfalls den Ruf des Wachtpostens vernommen hatte. Der Weg führte hinter der Spüle vorbei und durch die Tür zum Heizungsraum, wo Gorm bereits seine Offiziere hinbeordert hatte.