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Beim Abklingen des Unwetters kletterte er durchs Schwarzdorngestrüpp nach unten und schlüpfte in das Loch in der Wand des Grabens. Zunächst stieg der Tunnel an, damit kein Wasser eindringen konnte. Dahinter kamen tiefergelegene Kammern. In einer davon befand sich Trödlers Nest.

Der Eingang zum Tunnellabyrinth lag unter einem knorrigen Haselzweig - einem sogenannten uralten Schnörkel -, der im überlieferten Mäusewissen als mächtiges Symbol galt. Die Magie eines uralten Schnörkels konnte gut oder böse sein: Er verteilte seine Gaben je nach Verdienst. Er beschützte die Nester vor Wieseln und Hermelinen, die sich daher auch ungern im Bannkreis eines so bedeutungsvollen Zeichens aufhielten.

Als Trödler an Tinkers Nest vorüberkam, rief ihm sein Vetter zu: »Hast du etwa schon genug?«

»Im Augenblick ja«, erwiderte Trödler knapp. Er überquerte seine eigene Duftgrenze und kuschelte sich ins warme Heu seines Nestes. Die Erdwände und das Dach über seinem Kopf schenkten ihm Wärme und Geborgenheit. Die Wurzel einer Zaubernuß, die sich über eine Wand zog, diente ihm oft als Wetzstein für die Zähne. Auch jetzt knabberte er am harten Holz und lauschte dabei dem fernen Donnergrollen.

Trödler hatte sich eingerollt und den Schwanz über die Augen gelegt. Bald nickte er ein und träumte den einen besonderen Traum. Darin erschienen ihm seine Vorfahren und drängten ihn, das Haus aufzusuchen, hinter dessen Mauern sein Schicksal liege. »Geschichte und Mythologie werden eins«, sagten die Ahnen. »Sie sind ineinander verflochten wie Efeu und Akelei.« Seine Vorfahren kamen in Gestalt von Nebelfetzen, ihre Stimmen klangen im Rauschen der Blätter, doch die Botschaft war klar und deutlich. Er sollte die Hecke verlassen und zum Haus gehen, um dort seine Rolle in den Ereignissen zu übernehmen, die dieses große Land heimsuchen würden. Ihre Prophezeiung lautete, er werde »der Eine sein, der mit den Vielen geht«.

Nachdem er zitternd aus dem Schlaf hochgefahren war, lief Trödler geradewegs zu einem alten, weisen Mäuserich namens Diddycoy.

Der verschrumpelte Bursche war mehr als vierhundert Nächte alt. Viele jüngere Mäuse fürchteten sich vor der ergrauten Gestalt. Diddycoy teilte mit einigen älteren Gefährten eine große Kammer am Ende der Kolonie, wo sie vor der rastlosen Energie der Jungen sicher waren.

Als Trödler zaghaft den Raum betrat, brummte Diddycoy: »Ich habe nichts zu tauschen, junger Kerl, ganz und gar nichts. Du kannst dich verziehen und woanders deinem Handel nachgehen.«

»Ich will gar nichts tauschen. Ich habe nur eine Frage«, erwiderte Trödler nervös.

Er durfte bleiben und Diddycoy von seinem Traum erzählen. Er fragte den alten Weisen, ob er wahr sei.

»Was meinst du mit >wahr<?«

»Ich möchte wissen, ob ich die Reise zum Haus unternehmen muß.«

»Natürlich«, befahl Diddycoy selbstsicher. »Wozu, glaubst du, ist dieser verdammte Traum gut? Gehorche den Stimmen deiner Vorfahren, Kleiner, sonst wird es dir noch leid tun.« Er blickte ihn neugierig an, als sehe er ihn mit völlig anderen Augen.

»Du meinst, ich muß jetzt gleich gehen?«

»Wenn dies ein Ruf ist, hat dein Leben eine besondere Bestimmung, und du wirst den Traum wieder träumen«, erklärte Diddycoy. »Deine Vorfahren werden dir sagen, wann die Zeit des Aufbruchs gekommen ist. Jetzt aber fort mit dir, ich bin alt und brauche mein Schläfchen!«

Trödler verließ Diddycoys Nest. Er fühlte sich geehrt, daß ein so gewöhnlicher Mäuserich wie er dazu ausersehen sein sollte, die Weisheit seiner Ahnen zu empfangen. Als er wieder bei seiner eigenen Gruppe war und mit verspielten Mäusen wie dem jungen Totter und Pikey herumtollte, hätte man kaum geglaubt, daß er in irgendeiner Weise auserwählt sein könnte.

Der Traum kehrte einige Male wieder, und der Ruf wurde immer drängender. »Du wirst der Eine sein, der mit den Vielen geht.« Erst allmählich verstand Trödler, daß ihm vielleicht ein anderer Weg als den gewöhnlichen Mäusen vorherbestimmt war ...

Als der Frühling in seiner vollen Blüte prangte, wanderte Trödler weiter und weiter von der Hecke weg und in die Felder hinein. Er wollte sich selbst prüfen und sehen, wie weit er sich ohne Angst von den vertrauten Gerüchen, Geräuschen und Bildern entfernen konnte. Eines Nachts lief er so weit, daß die Gerüche der Hecke verschwanden und sie selbst im Mondlicht nicht mehr als ein winziger Strich auf der Krümmung der Erde war.

Er wußte, daß es auf den offenen Feldern nur wenig Tiere gab, doch im Schutz seiner Hecke hausten Hunderte, wenn nicht Tausende von Lebewesen. Zum ersten Mal konnte er sie nicht mehr riechen oder hören. Er fühlte sich, als lägen Welten zwischen ihm und seinen Nachbarn.

Erst hier draußen auf den Feldern begriff Trödler den Lebensrhythmus der Hecke, der mit den Rhythmen der Erde ein harmonisches Gefüge bildete. Nun erst, nachdem er diesen Rhythmus nicht mehr unmittelbar in sich spürte, verstand er, wie notwendig er für die Harmonie des Lebens war. Natürlich gab es in der Hecke Auseinandersetzungen, Verzweiflung und schreckliche Todesfälle, doch die Harmonie des Ganzen spendete Sicherheit. Die Hecke war fest in der Erde verwurzelt und wurde von ihren Schwingungen durchdrungen.

Trödler fand diese Erkenntnis ein wenig furchteinflößend. Er fühlte sich, als sei er im Exil und betrachte seine Heimat nur aus der Ferne. Allerdings mischte sich auch Aufregung in die Furcht, was ihm neue Zuversicht verlieh.

Er spürte, wie ihn die Hecke zurückzog, konnte diesem Sog jedoch so lange wiederstehen, bis er seinen Hunger gestillt hatte. »Die Rüben da hinten schmecken viel besser«, sagte er nach seiner Rückkehr beiläufig zu Tinker.

Die Bienen und Wespen veranstalteten einen Höllenlärm, und Tinker schüttelte heftig den Kopf, als traue er seinen Ohren nicht. »Du bist da draußen gewesen?« schrie er. »Du mußt verrückt sein. Ein Turmfalke kann dich im freien Feld problemlos von - von einer Wolke aus erkennen!«

Trödler hielt das für übertrieben. »Es ist eigentlich kein freies Feld - da sind jede Menge Rübenblätter, unter denen ich mich verstecken kann.« Er hielt inne und sprach dann nachdenklich weiter. »Du spürst, wie dich die Hecke zurückzieht. Ein seltsames Gefühl. Ich frage mich, ob man ihrem Einfluß jemals ganz entrinnen kann.«

Als Trödler hundertzweiundvierzig Nächte alt war, sagte ihm der Traum, er müsse nun Abschied nehmen und sich auf die Reise zum Haus machen. Es war an der Zeit, dem Graben und der Hecke am Rande der Felder, wo er seit seiner Geburt gelebt hatte, den Rücken zu kehren. Er mußte die geheimnisvollen »Vielen« suchen, mit denen er gehen sollte, um die Forderungen seiner Ahnen zu erfüllen. Die Spreu fiel um ihn her wie goldener Regen, und die Ampferblätter hingen wie ausgedörrte Zungen in der Sommerhitze. Trotzdem wollten sich seine Füße auf die Reise machen.

Vor dem endgültigen Abschied mußte er noch einige geheime und öffentliche Rituale vollziehen. Das geheime Ritual wurde während des Tages durchgeführt, wenn alle anderen schliefen, und bestand darin, eine wilde Hagebutte unter einer Primelwurzel zu vergraben. Dieser Vorgang besaß eine dreifache Bedeutung. Er sollte sicherstellen, daß man zurückkehren und die Früchte der Erde essen würde. Weiterhin stellte er eine Opfergabe für den einen Schöpfer dar. Trödler hegte die Hoffnung, daß sich der Schöpfer dafür erkenntlich zeigte, sollte er unterwegs einmal hungrig sein. Schließlich diente die wilde Hagebutte als Symbol für das Mäuseherz, das er in seiner Hek-kenheimat zurückließ.

Das nächste Ritual hatte mit Wasser, dem Lebenselixier der Mäuse, zu tun. Trödler trank aus dem Graben und goß Wasser an die Stelle, an der er die wilde Hagebutte vergraben hatte.

Das öffentliche Ritual fand unmittelbar vor seinem Aufbruch statt. Er verkündete seine Absicht, indem er Teile seines Nestes an die Oberfläche brachte, wo sie der Wind davontragen konnte. Schließlich war seine Kammer leer. Dann schlief er eine Stunde in dem Raum auf der bloßen Erde. Andere Mäuse bemerkten sein Verhalten und versammelten sich am Eingang der Kammer. Als Trödler aufgewacht war, verließ er wortlos das Loch und wanderte die Hecke entlang. Er kehrte noch einmal zurück, wandte sich erneut ab und folgte dem Graben ein Stück weiter. Dann kam er ein letztes Mal zurück, um sich von der versammelten Menge zu verabschieden. Danach würde er sie verlassen und nur zurückkehren, um für immer zu bleiben.