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»Land?« fragte sie ihn und kaute bereits auf dem nächsten Samenkorn herum. »Ach, das Haus. Da würde ich an deiner Stelle nicht hingehen. Steckt voller barbarischer Stämme. Die töten dich. Außerdem«, fuhr sie mit vollem Mund fort, »gibt es nur einen Weg hinein. Durch das Labyrinth unter dem Boden. Es wird von einer boshaften Spitzmaus namens Tunnelgräberin bewacht. Sie beißt dir den Kopf ab und spuckt ihn dir vor die Füße, das kannst du mir glauben.«

Trödler hatte schon öfter Bekanntschaft mit Spitzmäusen gemacht und wußte, daß es im allgemeinen übellaunige, gewalttätige Geschöpfe waren. »Und sie wird mich nicht kampflos vorbeilassen?«

»Du mußt ihr ein Stück Käse geben, um vorbeizukommen, und du siehst nicht gerade aus, als hättest du welchen.«

Selbstverständlich trug er keinen Käse als Wegezoll bei sich. Ihm war nicht einmal klar, was Käse überhaupt war, und er wollte nicht noch dümmer erscheinen. Es gab eine Pflanze namens Wiesenampfer, die auch »Brot und Käse« genannt wurde, aber die war nichts Besonderes und konnte keine derartige Bedeutung haben.

Er richtete sich auf und schaute sich um. Das Haus wirkte ehrfurchtgebietend. Noch nie hatte er etwas so Großes gesehen. Die Wände ragten senkrecht in die Höhe und berührten den Himmel. Das Dach diente sicher als Landeplatz für die Falken, die in den Wolken lebten. Als er so an der Frontseite empor-blickte, kam sich Trödler plötzlich sehr klein vor. Kein Wunder, daß dieses kolossale Gebilde in der Hecke so berühmt war.

Das obere Stockwerk ragte über das untere hinaus. Seine Fensterscheiben waren wie Diamanten geformt. Schwarze Balken hielten das Mauerwerk zusammen und zeichneten dreiek-kige und quadratische Muster auf die weißen Gipswände. Unter dem Vordach befand sich eine schwere, nagelbeschlagene Holztür. Kletterrosen und Efeu rankten empor und umschlangen einander auf dem Dach des Vorbaus. An der Seite des Hauses stand ein Holzschuppen.

Die Macht des Hauses erstreckte sich in alle Richtungen und verlor sich irgendwann in der wilden Natur. Wo der Garten endete, war nicht zu erkennen, da der kurze Rasen in langes Straußgras überging und die Wurzeln der Zierblumen sich mit denen von Disteln, Kerbel und Lichtnelken verschlangen. Der Neuankömmling wußte nicht zu sagen, ob die Wildnis auf dem Vormarsch war und bald das Haus überwuchern würde oder ob der Garten sich ausdehnte und allmählich die Wildnis verdrängte.

Trödler spürte tief in seinem Inneren, daß alles, was sich hinter diesen Mauern befand, auf irgendeine Weise mit seinem eigenen Schicksal verknüpft war. Die Wände zogen ihn an. Voller Neugier dachte er an die angeblich so gewalttätigen Wesen, die in diesem begrenzten Raum lebten. War seine Wißbegierde einmal angestachelt, mußte er den Fragen auch auf den Grund gehen.

Er putzte sich die Schnurrhaare und betrachtete eingehend das massive Gebilde vor seiner Nase. Irgendwo mußte der Eingang zu der Welt hinter den Mauern liegen. Er würde die Stellen, an denen die Wände auf den Erdboden trafen, genauestens untersuchen.

Er ließ sich wieder auf alle viere nieder und sagte zu der Z wergmaus: »Ich werde es wohl im Labyrinth versuchen, ob mit oder ohne Käse.«

Sie nickte. »Ja, wenn du wirklich fest entschlossen bist, findest du vielleicht einen Weg. Irgendwann gab es mal einen Eingang im Holzschuppen, wo jetzt die 13-K leben. Damals war er aber noch aus Holz. Den neuen haben sie aus Ziegelsteinen und Beton gebaut, so daß man an Tunnelgräberin vorbei muß.«

»Wer sind die 13-K?«

»Ein Haufen junger Tunichtgute, die von Ulf angeführt werden. Er ist der Sohn von Gorm dem Alten. Besteht aus dem Abschaum des Hauses.«

Diese Information erschien Trödler vollkommen unverständlich. Er beschloß, nicht weiter nachzufragen, doch die Namen kamen ihm aufregend exotisch vor. Ulf, der Sohn von Gorm dem Alten! Ein Holzschuppen, der einer blutrünstigen Bande von Schurken als Unterschlupf diente, und ein Labyrinth, das von einer unzivilisierten Spitzmaus bewacht wurde ... Trödler erkundigte sich nach der Lage des Eingangs, wünschte der Zwergmaus noch einen gesegneten Appetit und zog weiter.

Nach einer eingehenden Untersuchung stellte er fest, daß die Maus recht hatte. Es gab nur ein einziges, kleines Loch, das in der Nähe des Kellerfensters unter dem Fundament des alten Hauses verschwand. Vielleicht konnte er der gefürchteten Tun-nelgräberin entgehen; ansonsten würde er vernünftig mit ihr reden. Trödler wußte, daß diese Tiere schlecht sehen und hören. Auch waren ihm ihre fieberhafte Aktivität und nervöse Energie bekannt, die sie zwangen, selbst bei der Jagd auf Käfer und Erdwürmer das eine oder andere Nickerchen einzuschieben. Möglicherweise konnte er sich an Tunnelgräberin vorbeischleichen, während sie schlief.

Trödler warf einen letzten Blick auf die Welt und ihre Unermeßlichkeit. Der weiche, blaßblaue Himmel sank auf die Erde nieder. Trödler konnte nur die höhergelegenen Felder hinter den hohen Gräsern sehen. An einer Seite des Gartens standen Obstbäume, auf der anderen bot sich ein freier Ausblick. Durch dieses natürliche Fenster entdeckte er die verschwommenen Umrisse der Hecke, seiner früheren Heimat.

Er zuckte mit dem Schwanz. Tief im Herzen sehnte er sich danach, wieder in der Sicherheit der Dornen zu leben, drunten in seinem warmen Zimmer im Bau. Was tat er hier eigentlich? Warum schickte er sich an, eine unbekannte Welt voller Gefahren zu betreten, wenn er faul auf einem Haselzweig liegen und sich an Mehlbeeren und Tau gütlich tun konnte? Die Hecke würde ihm fehlen. Andererseits konnte das Leben nicht nur aus Behaglichkeit und Ruhe bestehen, das wäre doch langweilig gewesen. Man mußte sich den Herausforderungen stellen, Abenteuer erleben, neue Welten entdecken. Und er, Trödler, würde dem Ruf des Lebens folgen!

Er glitt in das Loch hinter der Regentonne und fand sich in einem Labyrinth von Tunneln wieder, die in alle Richtungen führten. Die oval geformten stammten von Spitzmäusen, die runden von Wühlmäusen. Es gab auch Waldmaustunnel. Solche grub Trödler selber auch, da er ein naher Verwandter dieser Art war. Seine sensiblen Schnurrhaare streiften die Seitenwände des Ganges, um festzustellen, ob er genügend Platz hatte und nicht Gefahr lief, stecken zu bleiben. Die Dunkelheit verwirrte ihn ein wenig. Bald jedoch hatte er sich an die neue Umgebung gewöhnt und setzte Nase, Schnurrhaare und Instinkt ein.

Der stechende Geruch markierter Erde durchflutete seine empfindsame Nase, während er durch die Tunnel eilte. Unterwegs hinterließ Trödler eigene Geruchsmarkierungen und mußte nur zu bald feststellen, daß er im Kreis gelaufen war. Er hatte sich hoffnungslos verirrt. Gerade befand er sich in einem Tunnel mit frischer Erde, als ihm schon wieder der eigene Duft in die Nase drang. Doch noch ein anderer Geruch, der einer Spitzmaus, hatte sich mit dem seinen vermischt und die Wände des Labyrinths durchdrungen. Vermutlich Tunnelgräberins Markierung. Allmählich weitete sich das Tunnelsystem.

Trödler blieb so plötzlich stehen, als sei er gegen eine Wand gelaufen. In der pechschwarzen Nacht spürte er eine Gestalt vor sich und nahm wenig später den überwältigenden Geruch einer Spitzmaus auf. Dann ertönte eine Stimme in der Dunkelheit und bestätigte seinen Verdacht. Die Stimme klang scharf, gereizt und überaus bedrohlich.

»Wer ist da? Sprich, bevor ich dich töte.«

Trödler zwang sich, ruhig zu antworten. »Ein Gelbhalsmäu-serich mit Namen Trödler. Ich bin auf dem Weg ins Haus.«

»Ein Gelbhalsmäuserich?« kreischte Tunnelgräberin wütend. »Was hast du in meinem Labyrinth zu suchen? Raus hier! Verschwinde!«

Trödler bekam es mit der Angst. Tunnelgräberin durfte man als Gegnerin nicht unterschätzen. Allerdings war er schon immer ein ausgemachter Dickkopf gewesen. Neben der Angst verspürte er auch Zorn. Glaubte dieses Weibchen etwa, ihm gehöre die ganze Welt? Er hatte das gleiche Recht, die Tunnel zu passieren wie sie selbst. Bestimmt hatte sie nicht allein das Netz von Gängen gegraben; dafür benötigte man eine ganze Armee von Nagern. Trödler nahm an, daß Tunnelgräberin das Gebiet einfach von den Wald- und Wühlmäusen übernommen hatte, als diese es nicht mehr brauchten.