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»Laß mich durch«, grollte Trödler die Torwächterin zwischen den Welten an. »Ich will keinen Streit mit dir anfangen .«

»Den Wegezoll«, kreischte Tunnelgräberin, »gib mir etwas zu essen!«

Trödler hätte es ja mit einer Nuß oder einem Stück Obst versucht, doch die Zwergmaus hatte das Wort Käse erwähnt. Dann sprach er die schicksalsschweren Worte: »Ich habe nichts zu essen.«

Tunnelgräberin stieß einen Schrei aus und stürzte sich im selben Augenblick auf ihn. Trödler spürte einen scharfen Schmerz am Ohr, in dem sie sich verbissen hatte. Dank ihrer schlechten Augen erwischte sie jedoch nur den Rand, und er schüttelte sich heftig, bis die Spitze seines Ohres abriß. Die Spitzmaus flog im hohen Bogen davon.

Trödler unterdrückte den Schmerz. Am Geruch konnte er erkennen, wo sich seine Gegnerin aufhielt. Mit Hilfe seiner Nase zeichnete er im Kopf Landkarten seiner Umgebung, selbst wenn er mit den Augen nichts sehen konnte. Er wußte, daß Tunnelgräberin einen nur schwach ausgeprägten Geruchssinn hatte und sich auf ihren Tastsinn verlassen mußte. Spitzmäuse fühlten sich durchs Leben. Er wollte diesen kleinen Vorteil nutzen und verharrte völlig reglos.

Tunnelgräberin warf sich von einer Seite auf die andere, um ihren Gegner zu lokalisieren. Sie kroch und sprang mit erschreckender Energie und Geschwindigkeit durch die Dunkelheit. Verzweifelt versuchte Trödler, sich vor ihren schnappenden Kiefern in Sicherheit zu bringen. Schon zweimal wäre sie ihm um ein Haar an die Kehle gegangen. Ihm war klar, daß sie sich nicht mehr mit seinem Ohr zufriedengeben würde. Sie hatte bereits ein paarmal seine Flanke erwischt.

Doch auch Trödler hatte den einen oder anderen Biß landen können. Einmal bekam er sie unter dem Kinn zu fassen und versuchte, ihr mit den starken Hinterbeinen den Bauch zu zerkratzen. Sie rollten hin und her, während die Spitzmaus wie eine Wahnsinnige strampelte. Trödler mußte schließlich loslassen, worauf sie ihn beim Rückzug noch in die Nase biß. Ein sehr empfindliches Organ. Die Wunde schmerzte höllisch, und ihm traten Tränen in die Augen.

Am Ende stürzten die beiden Mäuse gleichzeitig vor und verbissen sich ineinander.

Keiner hatte die Absicht nachzugeben. Die Bisse taten nicht weh, führten aber in eine Sackgasse, aus der sie sich nur mit beiderseitiger Zustimmung befreien konnten. Egal, wie sehr sie sich auch schüttelten und zogen, sie mußten begreifen, daß sie aneinander gefesselt waren, bis sie sich beide entschlossen los-zulassen.

Nach einem langen Kampf legten sich die beiden noch immer ineinander verbissenen Mäuse auf den Boden und verharrten dort. Man hat schon Gegner in dieser Position tot aufgefunden. Wenn beide zu stur sind, um ein Unentschieden hinzunehmen, bleiben sie ineinander verkeilt und sterben vor Hunger und Durst.

Trödler und Tunnelgräberin blieben lange in dieser Position, bis es ersterem zu langweilig wurde. Er lockerte seinen Biß ein wenig. Tunnelgräberin tat das Gleiche. Allmählich öffneten sie die Kiefer und ließen schließlich los. Ein solcher Vorgang erfordert beiderseitiges Vertrauen, denn ein blutiger, vielleicht tödlicher Angriff ist auch beim Rückzug durchaus möglich.

Allerdings entschied sich keines von ihnen dafür. Trödler war ein Mäuserich mit Stolz und Ehrgefühl. Er wäre lieber gestorben, als eine solche Gemeinheit zu begehen. Zu seiner Verwunderung erkannte er, daß die Spitzmaus die gleichen Prinzipien vertrat. Auch sie hatte ihm wortlos zu verstehen gegeben, daß sie ihn während des Rückzugs nicht angreifen würde, und hielt ihr Versprechen.

Während er sich in einiger Entfernung ausruhte, hörte Trödler, wie Tunnelgräberins Atem allmählich ruhig ging. Er begriff, daß sie eingeschlafen war. Da er nicht an ihr vorbeikonnte und auch nicht in die Außenwelt zurückkehren wollte, legte er sich auf den Bauch, um sich noch ein wenig zu erholen. Lange blieben die beiden so liegen.

Als sich Trödler gerade fragte, ob er die Spitzmaus aufwek-ken und zu einem neuen Kampf herausfordern sollte, sprang sie auf ihn zu. Er war völlig überrumpelt.

Die Spitzmaus hielt kurz vor ihm inne und schnappte etwas vom Boden. Flügel knisterten, gefolgt von einem Knacken. Trödlers Herz schlug bis zum Hals, als er das Zuschnappen der Kiefer hörte. Nun war wieder alles ruhig, bis auf die regelmäßigen Kaugeräusche. »Was war das denn?« fragte er. »Was tust du da?«

Seine Gegnerin rülpste vernehmlich, schmatzte und antwortete dann: »Ein schöner, fetter Käfer.«

»Aber du hast doch geschlafen«, erwiderte Trödler verblüfft. »Oder etwa nicht?«

»Käfer höre ich auch im Schlaf. So einen Leckerbissen kann ich mir doch nicht entgehen lassen.«

Sie schwiegen, bis Trödler fragte: »Läßt du mich nun vorbei, oder müssen wir weiterkämpfen?«

»Du hättest weglaufen können, während ich gedöst habe.«

»Ja, aber nur nach draußen. Ich habe geschworen, das Haus zu betreten.«

Nach einer langen Pause kam ihre Antwort: »Nun, dann solltest du das auch tun. Ich kämpfe nicht mit einem Dickkopf wie dir, der die wirkliche Welt verläßt, um freiwillig ins Irrenhaus zu gehen. Wozu willst du nur da hinein? Es steckt voll wilder Mäusestämme - Hausmäuse, Waldmäuse und Gelbhälse wie du. Sie besitzen schon so viel und bekommen den Hals nicht voll. Verrücktes Haus.«

»Ich muß einfach hinein«, erklärte Trödler. »Meine Vorfahren haben gesagt, daß mein Schicksal mit diesem Haus verknüpft ist. Im Traum hatte ich eine Vision ...«

»Ach so, eine Vision«, entgegnete Tunnelgräberin sarkastisch. »Na ja, dann wärst du beim Buchfresser-Stamm genau richtig. Wenn du ein Mystiker bist, nehmen sie dich gerne auf.«

Trödler schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin im Grunde kein Seher oder Mystiker. Ich erlebe keine blendenden Lichtblitze oder Visionen in meinem Kopf. Der Traum brachte mir eine klare, deutliche Botschaft, und der alte Waldmäuserich Diddy-coy sagte mir, ich müsse gehorchen. Und da bin ich nun. Ich bin über viele Felder gereist und werde nicht einfach zurückkehren ... Was ist übrigens der Buchfresser-Stamm?«

Tunnelgräberin senkte die Stimme. »Ich muß noch ein Nik-kerchen halten. Du bist der erste, der mich jemals im Kampf besiegt hat .«

»Es war unentschieden«, berichtigte Trödler sie. »Ganz eindeutig.«

»Also gut, dann eben unentschieden«, gähnte die Spitzmaus. »Ich will nicht darüber streiten. Jedenfalls hat nur dein Körper ein wenig gelitten, deine Ehre ist unversehrt. Das ist noch keinem gelungen. Normalerweise bleibe ich immer die Siegerin. Es wäre mir lieb, wenn du nicht allzu sehr damit prahltest. Sag einfach: >Tunnelgräberin und ich kämpften bis zum Unentschieden und gingen als Feinde auseinander.««

»Als Feinde?«

»Du würdest mich doch nicht allen Ernstes als Freundin bezeichnen, oder? Wir sind Feinde, die einander bewundern. Die einander achten. Trotz allem aber Feinde. Ich habe nämlich keine Freunde. Selbst wenn ich einer anderen Spitzmaus Zärtlichkeiten erweise, sind es aggressive Zärtlichkeiten - ich bin leidenschaftlich, nicht sanft. Für andere Tiere empfinde ich keine Freundschaft. Für niemanden auf der ganzen Welt. Und so gefällt es mir auch.«

Während ihrer Rede wurde Tunnelgräberins Stimme immer leiser. Als das letzte Wort verklang, war sie eingeschlafen. Glücklicherweise lag sie an einer breiten Stelle der Kammer, so daß Trödler an ihr vorbei schleichen konnte. Dabei streifte er ihre kleine Gestalt und wunderte sich über das samtweiche Fell. Sie fühlte sich so warm und einladend an, daß er sich am liebsten an sie gekuschelt hätte. Allerdings wußte er nun, wie wild Spitzmäuse werden konnten, und zog es vor, einem leichten Luftzug zum Ausgang zu folgen.

Der Luftzug führte einen starken Duft mit sich, der ihm anzeigte, daß er sich erneut dem Territorium einer fremden Maus näherte. Er diente als Warnung, doch Trödler lief tapfer weiter.