Der Sachschaden war enorm. Es gab wieder einige Todesfälle, und viele Mäuse, darunter Gorms verbliebenes Double To-stig, flohen für immer aus dem Haus.
Trödler, Leichtfuß und der Kleine Prinz hielten sich zu dieser Zeit nicht im Nest auf, sondern suchten im Garten nach Holzäpfeln. Sie hörten die Geschichte bei ihrer Rückkehr und entdeckten die traurigen Überreste ihres Nestes. Man hatte es völlig ausgeplündert. Das Sägemehl aus einem alten Teddy, mit dem der Nestboden gepolstert war und das jemand wohl mit Frühstücksflocken verwechselte, hatte ein Angreifer aufgefressen. Irgendwo im Haus litt vermutlich eine Maus unter schrecklichen Bauchkrämpfen. Geschieht ihr recht, dachte Trödler.
Die schlimmsten Übeltäter unter den Aufständischen waren die Kellermäuse Furz und Fusel. Sie stachelten andere zu Gewalt und sinnloser Zerstörung an. Mit ihrem Gegröle hatten sie zunächst die Jugendlichen im Holzschuppen zum Aufstand angestiftet und dann die Mäuse angeführt, die wie eine Flutwelle durchs Erdgeschoß rollte.
»Töten, verstümmeln, quälen!« hatte Furz gekreischt. »Zerstören, plündern, vergewaltigen!«
Später stritt er solche Kriegsrufe ab und erklärte, jemand in der Menge habe seine Stimme nachgemacht. Also kamen die beiden Missetäter wieder einmal ungeschoren davon.
Der Aufstand hatte alle in Angst und Schrecken versetzt, auch die Rebellen. Als sich der Tumult gelegt hatte, schämten sich die meisten Aufständischen in Grund und Boden. Sie bemerkten die Verwüstung, die sie hinterlassen hatten, auch an ihren eigenen Nestern. »Es wird nie wieder passieren«, sagten sie.
Trödler, Leichtfuß und der Kleine Prinz machten sich an den Wiederaufbau ihres Nestes. Die weiße Maus stöhnte unablässig wegen ihrer schmerzenden Muskeln. Sie forderte zusätzliche Nahrung, falls sie für den Rest ihres Lebens körperliche Arbeit verrichten solle.
Nun glaubten die Mäuse, sie müßten gut sein, um die Götter des Füllhorns gnädig zu stimmen und wieder mit Futter gesegnet zu werden.
Doch dies war ein Irrglaube.
Walnut Credioux
Der Garten überwucherte das Haus nur deshalb nicht, weil der Winter näherrückte. Astrid teilte den Stämmen mit, daß er im Frühjahr das Haus erobern werde. Da sie ihre Glaubwürdigkeit zurückgewonnen hatte, weil die sich nicht wieder füllende Speisekammer ihre hellseherischen Fähigkeiten bewies, hörten ihr die Mäuse zu.
»Die Natur fordert ihr Recht, und das Haus will zur Natur heimkehren«, erklärte sie. »Dieser Vorgang ist unvermeidlich. Die Ziegel werden bröckeln; der Beton wird rissig, gesprengt vom allesdurchdringenden Unkraut; Ranken werden das morsche Holz zerdrücken. Das Innen wird zum Außen. Wenn die Stürme das Dach davongeweht haben, ziehen die Feldmäuse ins Haus und übernehmen unsere Löcher. Wir sind hier nicht länger willkommen ...«
»Nicht länger willkommen?« meinte Furz zu Fusel. »Kann ich gut drauf verzichten. Ich brauche ein schönes, warmes Haus, jawohl, auch mit Nacktlingen drin, wenn's sein muß. Natur? Geschenkt. Wir sind doch zivilisierte Hausmäuse, nicht wahr, keine Blödmänner.«
Eines Nachts berief Gorm der Alte erneut eine Versammlung aller Stämme ein. Jede Maus, auch die kleinste und unbedeutendste, wurde dazu eingeladen. Die wichtigen Mäuse wie Frych, Wisperer und er selbst waren selbstverständlich auch dabei. Trödler erschien auf Gorms ausdrücklichen Wunsch. Es ging um das Überleben der Stämme, und Gorm würde jeden Vorschlag begrüßen, der Rettung versprach.
Selbst der Kleine Prinz kam - natürlich als Eh-he. Niemand wurde abgewiesen. Schließlich stand die Zukunft der gesamten Mäusenation auf dem Spiel.
Trotz der Tatsache, daß die Stämme dezimiert worden waren, war es im Schrank unter der Treppe recht voll. Die Mäuse gelten und schubsten und traten einander auf die Schwänze, bis Gorm die Versammlung eröffnete.
»Ihr wißt alle, warum wir uns versammelt haben«, knurrte er. »Wir brauchen eine Entscheidung, und zwar schnell. Man hat eine Wildkatze beobachtet, die ums Haus streifte. Wo eine ist, sind auch noch mehr. Ich wiederhole, wir müssen etwas unternehmen, auf der Stelle. Ich übergebe nun an Gunhild.«
Gunhild trat in die Mitte. »Hört zu, Leute«, eröffnete sie knapp ihre Rede, »wie Gorm schon sagte, wir müssen uns entscheiden. Ich mag Entscheidungen - hübsche, saubere Entscheidungen. Kein Gezeter, nur ein klares Ja oder Nein -«
»Weiter«, stöhnte eine Maus in der Menge.
»In Ordnung. Verstanden. Also eine schnelle Entscheidung.« Gunhild ging auf und ab und wackelte mit dem Schwanz. Ihre Schnurrhaare waren gestutzt und wirkten gestärkt, als habe Gunhild sie in Tapetenkleister getaucht. »Leute, die Sache ist die. Man hat mir befohlen - ich meine, mich gebeten -, euch für einen langen Marsch in Form zu bringen. Wir müssen ein neues Quartier finden. Unsere alten Baracken haben sich in Schweineställe verwandelt. Man kann nicht mal eine anständige Parade abhalten, ohne irgendwo auszurutschen. Also müssen wir den Hintern zusammenkneifen, Ordnung in die Reihen bringen und den organisierten Rückzug antreten. Ich will kein Chaos. Wir müssen diszipliniert aufbrechen. Verstanden? Sagt was dazu, Leute.«
Kurz herrschte tiefe Stille, dann rief eine Bibliotheksmaus: »Kann uns mal jemand erklären, was zum Teufel sie meint?«
Skrang trat in die Mitte des Kreises. »Wir müssen das Haus verlassen. Seid ihr bereit?«
»Warum hat sie das nicht gleich gesagt?« brummte die Bibliotheksmaus. »Ich bin bereit. Je eher, desto besser.«
Gorm schrie: »Ihr müßt das verstehen. Draußen beginnt bald der Winter. Wir müssen ein anderes Haus finden, was nicht leicht sein wird. Wir werden feindlichen Stämmen begegnen. Mäuse aus unseren Reihen werden sterben. Doch ich verspreche, daß wir irgendwo ein unbesetztes Gebiet finden werden -ein Haus, in dem wir uns ansiedeln und die guten, alten Kriege wieder aufleben lassen können«, er grinste, »eben den einen oder anderen Überfall, so wie früher. Ich weiß gar nicht, wann ich zum letzten Mal >Assundoon!< gebrüllt habe.«
»Aber ich weiß noch, wann du mich zum letzten Mal in den Hintern gebissen hast«, meldete sich eine Stimme aus dem Hintergrund. »Das habe ich nicht vergessen - du wirst sehen.«
»Wenn du das bist, Ulf, sollst du deine Chance haben. Mein Kampfgeist ist noch nicht erloschen.«
»Wer soll uns anführen?« fragte Rhodri. »Wer ist unser Pfadfinder?«
»Ich natürlich«, brummte Gorm. »Wer denn sonst?«
Wieder herrschte Schweigen, bis Astrid vortrat. »Nicht du, Gorm, tut mir leid. Du magst ein ausgezeichneter, altbewährter Krieger sein - das kann keiner bestreiten -, aber du kannst uns nicht durch die Wildnis führen. Du weißt nichts über die Welt da draußen. Wir brauchen jemand, der sich auskennt und das Gelobte Haus sicher erreicht.«
»Wenn ich sage, ich führe euch an, dann tu' ich das auch, Hure«, fauchte Gorm. »Wie kann eine Nutte wie du mir sagen, was ich zu tun habe?«
»Halt den Mund«, donnerte Wisperer, »sie hat recht!«
Frych ergriff das Wort. »Dieses Weibchen mag sich letzthin gegen die Schranken der Schicklichkeit versündigt haben, indem sie in finsteren Winkeln Verkehr pflegte, doch sie ist immer noch die Hohepriesterin. Sie genießt die besondere Gunst der Schatten und Götter, und ihre Bekundungen müssen als seriöse Prognosen gelten. Wir benötigen einen Lenker, der uns auf gefahrvollem Kurs zum unbekannten Bestimmungsort geleiten kann. Ich selbst schlage Trödler vor, die gelbhalsige Außenmaus.«
Astrid schloß eine Weile die Augen und öffnete sie dann wieder. »Trödler ist der Erwählte!« schrie sie. »Ich habe es klar gesehen!«
»Du verdammte, schattenbequatschende Schlampe!« brüllte Gorm. »Werde ich einfach beiseite geschoben? Zur Hölle mit euch!«