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Nun drang der Winter durch die zerbrochenen Fenster und die offene Tür herein. Frost schlich sich ins Haus und zwickte die Mäuse schmerzhaft, die reglos in ihren Nestern lagen. Welkes Laub wurde ins Haus geweht. Es hatte den Mäusen stets Wärme und trockene Behaglichkeit geboten, doch nun herrschten Kälte und Zwielicht. Das Haus unterwarf sich den Gewalten der Natur.

Astrid verabschiedete sich von ihren weinenden Schatten. Sie war das einzige Lebewesen, das sie jemals zur Kenntnis genommen hatte und mit ihnen in Verbindung getreten war. Nun herrschte große Traurigkeit. Die Schatten erklärten, ohne Astrids Gegenwart würden sie in den Mondnächten weniger schwarz und gespenstisch sein. Sie würden nicht mehr in den Ecken und Winkeln hocken, in denen sie sich immer getroffen hatten. »Paß auf dich auf, Astrid«, warnten sie.

»Und ihr auf euch«, antwortete die Priesterin.

»Wir vermuten, daß du neue Schatten zum Reden findest -du wirst uns bald vergessen.«

»Ich werde meine alten Schatten nie vergessen«, murmelte die Priesterin. »Wann immer sich das Licht ändert, werde ich mich an euch erinnern.«

Zur selben Zeit sprachen sich in einem anderen Teil des Hauses Furz und Fusel für die kommende Herausforderung Mut zu.

»Klappt schon, Kumpel - wird gar nicht so schlimm, wie's aussieht.«

»Hab keine Angst um mich, Alter. Du machst mir Sorgen. Bist doch ein Nesthocker.«

»Na ja, solang wir zusammen sind, ist es doch egal. Uns beide kriegen sie nicht klein ...«

Frych die Gefleckte rief ihren ganzen Stamm zusammen. »Buchverschlinger!« redete sie ihn an. »Diese feierliche Versammlung wurde einberufen, damit ich euch über die Fährnisse belehre, die euch unterwegs erwarten. Wir müssen Wüsteneien durchwandern, gewaltige Gewässer überschreiten; wir werden auf Gebirgszüge, dichten Dschungel, Hecken und Gräben stoßen. Dies ist kein unbedeutender Ausflug. Gürtet eure Lenden!«

Die Versammelten wußten, wo sich ihre Lenden befanden. Vielleicht hatten sie sonst nichts von Frychs Worten verstanden, doch ihre Lenden kannten sie. Jedes Mitglied des Stamms schnappte begierig nach dem Wort und schaute zwischen seinen Vorderbeinen hindurch auf seine Lenden. Wie sollte man diesen lebenswichtigen Bereich des Leibes gürten? Welche Folgen würde ein Nicht-Gurten haben? Niemand, auch Frych nicht, wußte genau, wie es vonstatten ging.

»Ich erwarte«, rief Frych und schaute auf ihre Untertanen, die alle die Köpfe zwischen die Vorderbeine gesteckt hatten, »eure Aufmerksamkeit, wenn ich über das Thema Überleben spreche. Nun ist es an der Zeit, euren Nabel zu betrachten .«

Auf dem Dachboden hielt Wisperer eine ähnliche Rede. Er pries mit Donnerstimme seinen Stamm als besten im Haus und sagte, er sei davon überzeugt, daß seine Gefährten ihn nicht enttäuschen würden. »Wir sind ein Stamm, auf den wir stolz sein können«, dröhnte er. »Unsere Mitglieder haben Dachratten besiegt, Eulen getrotzt und den Dachboden erfolgreich gegen die Angriffe anderer Stämme verteidigt. Nun sind wir aufgerufen, unser Zuhause zu verlassen und fern davon neue Dachböden zu finden, die wir friedlich besiedeln können. Einer von uns wurde erwählt, bei diesem Unternehmen der Anführer zu sein - Trödler, den manche eine Außenmaus nennen -, der aber zu uns kam und eine Unsichtbare zur Gefährtin nahm .«

Trödler, der hinten in der Menge stand, nickte bei diesen Worten seinen Freunden und Bekannten zu. Leichtfuß drängte sich dicht an ihn. Sie wußte, wie schwer die Verantwortung auf ihm lastete. Trödler würde auf der bevorstehenden Reise ihre Unterstützung brauchen.

Da es jetzt in der Küche zu zugig war, lauschte die Armee der Wilden im Schrank unter der Treppe ihrer neuen Anführerin Gunhild. Sie selbst bevorzugte den Titel General. Die Mäuse standen ordentlich in Reih und Glied, immer eine Schnurrhaarlänge voneinander entfernt, alle mit erhobener Nase. Zu Gunhilds Freude bildeten sie einen wunderbar geschlossenen Block aus Mäuseleibern. Sie hatte dafür gesorgt, daß die mit dem dunkleren Fell an den vier Ecken des Quadrats Stellung bezogen. Nach innen wurden die Felle immer heller. Symmetrie, so erklärte sie ihnen, sei das A und O. Niemand achte eine schlampige Armee. Ordnung sei der Kern jeder erfolgreichen Expedition in die Wildnis.

»Marschieren oder sterben«, schnappte sie, »das ist unsere Devise. Marschieren oder sterben! Ich erwarte kluge, disziplinierte Soldaten. Ich werde euch in Ränge einteilen, bevor wir aufbrechen. Es wird Unteroffiziere, Feldwebel, Leutnante, Hauptleute, Majore, Oberste und Brigadegeneräle geben - jeder bekommt einen Rang. Ihr müßt ihn euch allerdings verdienen. Ich werde jeden sorgfältig beobachten, seine Einsatzfreude beurteilen, seine Fähigkeiten einschätzen. Trödler ist auf diesem Marsch unser Generalfeldmarschall. Ich nehme seine Befehle entgegen. Diese Befehle werden durch die Ränge hinunter weitergegeben, von den Brigadegenerälen zu den Ober-sten, den Majoren und so weiter. Es ist von wesentlicher Bedeutung, daß ihr euch an diese Befehle haltet. Wenn einer nicht gehorcht, kommt der Rest der Truppe aus dem Tritt .«

Wie betäubt lauschten die Versammelten dieser Ansprache. Die meisten von ihnen waren gar nicht scharf darauf, Soldaten zu werden, hatten aber keine andere Wahl. Hätten sie doch nur jemanden wie Gytha Schönbart als vorübergehenden Anführer gewählt! Er wirkte zwar ein wenig feminin, verzichtete aber auf diesen ganzen Militärmist. Vereinzelte Komplotte wurden geschmiedet, um sich von dieser wahnsinnigen Generalin zu befreien, die Gorm der Alte als seine Nachfolgerin vorgeschlagen hatte.

Gorm selbst stand am Ende der letzten Reihe, da sein Fell dunkelgrau war, und hörte befriedigt zu. Schon bald würden sie ihm wieder seine alte Stellung als Stammesführer anbieten, da war er ganz sicher. Noch immer konnte er die meisten von ihnen im Zweikampf schlagen, wollte aber nicht auf diese Weise an die Spitze des Stammes gelangen; das würde ihm nur Wunden eintragen. Besser, sie bekamen eine starke Dosis Generalin Gunhild und wehrten sich mit einer Revolte gegen diese Roßkur. In der Zwischenzeit konnte er sich von seinen Verletzungen erholen.

Auch bei den Totenköpfen und den 13-K fanden Vorbereitungen statt. Überall wurden Ansprachen gehalten.

»Wenigstens hat mein alter Vater nicht den Oberbefehl«, sagte Ulf im Holzschuppen zu seiner Bande. »Jetzt ist er nur noch ein einfacher Soldat in Gunhilds Truppe. Geschieht dem alten Teufel recht!«

Trotz seiner Worte war Ulf insgeheim tief bekümmert. Nun, da sein Vater entehrt worden war, verspürte er den heftigen Wunsch, die Drahtzieher dafür zu bestrafen. Schließlich gehörte Gorm noch immer zur Familie.

Als sich die Versammlungen auflösten, huschten die Mäuse durchs Haus und pinkelten überall hin, um wenigstens ihre Markierungen zu hinterlassen. Manche trösteten sich damit, daß sie immerhin die Nacktlinge besiegt hatten. Sicher, sie hatten sich damit selbst in Schwierigkeiten gebracht, doch die Nacktlinge waren ihnen auf den Leim gegangen. Nacktlinge waren und blieben eben blöd. Das einzig Bemerkenswerte an ihnen schien ihre Größe zu sein.

Mäuse unterschieden sich nach eigenem Ermessen beträchtlich von ihnen. Sie waren normal groß, überaus klug und die wagemutigsten Säugetiere auf vier Beinen.

Was die Säuger auf zwei Beinen anging - genug der Worte, Schluß, aus!

Haloumi

Unmittelbar bevor sie aufbrachen, riefen die Mäuse Ulug Beg im Baumhaus zu, daß sie sich auf den Weg in ein neues Land machten. Niemand wußte, ob sie diese Nachricht hörte. Vielleicht lebte die uralte Maus überhaupt nicht mehr. Wenn ja, wollten es die meisten ohnehin nicht wissen, denn Ulug Begs Tod würde nur zur allgemeinen Schwermut beitragen.