»Was ist das?« rief Furz. »Kann doch kein Haus sein, oder? Viel zu groß.«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Trödler aufrichtig, »aber der Anblick gefällt mir nicht. Es hat keine Fenster und nur diese beiden riesigen Türen. Sieht nicht gerade einladend aus.«
Iban meinte: »Warum warten wir nicht bis zum Morgen und schauen es uns bei Tageslicht an? Vielleicht wirkt es dann freundlicher.«
Sie nahmen Ibans Vorschlag an und drängten sich eng an den Zaun, um sich vor Eulen zu schützen.
Als sie aufwachten, entdeckten sie zu ihrer Überraschung ein ungeheures, ovales graues Gebilde, das vor dem Riesenbauwerk schwebte und mit Seilen und Ketten am Boden befestigt war. Am Bauch dieses Giganten befand sich ein großer, hausähnlicher Kasten. An den Seiten gab es eine Reihe von Fenstern und auch eine Tür.
Tolpatsch wurde ausgesandt, dieses unheimliche Etwas zu untersuchen. Mit ihrer üblichen Geschicklichkeit kletterte sie auf eines der Halteseile, um einen Blick in das Gebilde zu werfen. Kurz darauf tauchte sie wieder auf, lief über das Seil zurück und erstattete Bericht. »Da drinnen sind viele Stühle und Betten, die an der Wand befestigt sind, und eine Küche mit Unmengen von Futter.«
»Nacktlinge?« fragte Trödler.
»Ein paar, aber ich habe keine Katzen gerochen. Nur einen Haufen dummer Nacktlinge, die sich wie üblich vollstopften. Futter in Mengen! Ich habe sogar Käse gewittert!«
»Klingt für mich nach Haus«, brummte Gorm. »Ich riskiere es. Hab' genug vom Marschieren.«
»Warte noch«, bat Trödler. »Wir wissen doch gar nichts Genaues. Wo bitte war dieses schwebende Haus, als wir heute nacht angekommen sind?«
»Wen interessiert das?« schnarrte Thorkils Dreibein, der mehr als alle anderen unter schmerzenden Gliedmaßen und wunden Füßen litt, obwohl er weniger davon besaß. »Los, gehen wir hinein!«
Trödler wandte sich an Tolpatsch. »Gibt es dort noch andere Mäuse? Oder Ratten? Wie steht es mit Hunden?«
»Nichts dergleichen. Habe jedenfalls nichts gerochen«, entgegnete Tolpatsch. »Ich habe ausgiebig geschnuppert. Kein Kot, keine Urinmarkierungen - alles war sehr, sehr sauber.«
»Sauber? Mir kommt Sauberkeit grundsätzlich verdächtig vor«, meinte Trödler.
»Ich berufe eine Versammlung ein«, rief Gorm der Alte.
»Du hast gar nichts einzuberufen«, protestierte Gunhild.
Gorm trat vor. Der Augenblick für eine Rebellion erschien ihm ideal. »Nun, hier stehe ich«, knurrte er, »und wer zu mir kommen möchte, soll das tun. Ich habe genug von den Befehlen eines emporgekommenen Unteroffiziers und eines Heckengelbhalses. Los, wer steht Seite an Seite mit Gorm dem Alten?«
Es herrschte betretenes Schweigen, bis Thorkils Dreibein zu Gorm hinüberhuschte, gefolgt von Jarl Gabelbart. Die drei Mäuse standen trotzig da und starrten die übrigen Expeditionsmitglieder herausfordernd an. Schließlich lief auch der junge Elisedd, der Bibliotheksmäuserich, der den Kleinen Prinzen entdeckt hatte, zu ihnen über.
»Gut«, schnarrte Gorm, »das war's dann wohl. Wie steht es mit dir, Elfwin, und dir, Ulf? Wollt ihr euch von diesem Emporkömmling herumkommandieren lassen?«
Elfwin nickte. »Falls du Trödler meinst - ich glaube, er tut sein Bestes für uns.«
»Ich fühle mich hin- und hergerissen«, erklärte Ulf, »aber wir sollten dem Führer vertrauen, den wir gewählt haben.«
»Wie wär's mit mir, Süßer?« piepste der Kleine Prinz.
»Dich wollen wir nicht«, rief Gorm. »Du kannst zur Hölle fahren.«
»Huch - gleichfalls!« meinte die weiße Maus. »Ich habe doch nur Spaß gemacht.«
»Gut, dann kommt, Leute. Dies ist unser neues Haus. Dort werden wir Käse finden! Ich rieche ihn schon von hier aus.«
Die vier Rebellen marschierten auf eines der Halteseile zu, als Astrid einen Schrei ausstieß: »Nein, bleibt hier! Ich sehe ein blendend weißes Licht, das den Himmel erhellt! Ein alles-verschlingendes Weiß! Kommt zurück!«
Elisedd wirkte verängstigt, nachdem er die Prophezeiung der Hohepriesterin vernommen hatte. Er lief zur Hauptgruppe zurück.
»Feigling«, knurrte Gorm. »Wenn du dieser alten Hure glauben willst, bitte.«
»Sie hat immer recht behalten«, gab Trödler zu bedenken. »Beim letzten Mal hast du nicht auf sie gehört, und deshalb sind wir jetzt hier.«
»Sie ist eine Betrügerin«, brüllte Gorm, »hat beim letzten Mal nur gut geraten.« Mit diesen Worten kehrte er ihnen den Rücken zu und führte die anderen über das gefährliche Seil zum schwebenden Haus empor. Sie kletterten so hoch, bis sie nur noch drei kleine schwarze Punkte auf einer dünnen Linie waren. Einmal stolperte Thorkils Dreibein und baumelte an einer Kralle vom Seil, doch fand er wieder Halt und hangelte sich auf die Halteleine zurück.
Schließlich waren die drei Mäuse oben angelangt und verschwanden in dem schwebenden Haus. Danach wurden sie von den Mäusen unten auf der Erde nicht mehr gesehen.
Trödler und seine Truppe marschierten am Zaun entlang, um nicht die riesige Grasfläche überqueren zu müssen. Plötzlich erscholl ein Schrei aus der Nachhut. Trödler drehte sich um und entdeckte, daß seine Mäuse nach oben schauten. Er tat es ihnen nach und bemerkte erstaunt, daß das schwebende Haus, befreit von Halteleinen und Ketten, sanft mit dem Wind gen Himmel trieb.
Auf dem Boden liefen geschäftige Nacktlinge umher, drehten große Winden, sicherten die abgeworfenen Leinen. Offensichtlich hatten sie erwartet, daß das Haus wegfliegen würde, denn sie wiesen keinerlei Anzeichen von Panik auf. Manche schwenkten sogar Taschentücher und Hüte und stießen erregte Rufe aus.
Gorm, Thorkils und Jarl waren offensichtlich unterwegs zu einem großen Abenteuer über den Wolken. Fast beneidete sie Trödler. Sie bewegten sich in ihrem herrlichen, fliegenden Haus hoch oben zwischen den Vögeln. »Wie es ihnen wohl geht?« fragte er nachdenklich.
»Sie müssen sich wie Götter fühlen!« rief Elisedd, der die Reise beinahe mitgemacht hätte.
Doch der Kleine Prinz murmelte: »Ihnen geht es sicher schlecht, so wie das alles schwankt.«
Das große graue Gebilde drehte die Nase allmählich in die Richtung, die auch Trödler und seine Mäuse eingeschlagen hatten. Von einer unsichtbaren Kraft angetrieben, zog es hoch über den wandernden Stämmen dahin, bis die Wolken es ihren Blicken entrückten.
Bleu de Bresse
Erst eine ganze Nacht später stießen die Wanderer auf ein Nacktlingsdorf mit vier oder fünf Häusern. Eine Vorhut der besten Kämpfer wurde vorausgeschickt - Gunhild, Seiltänzer, Ulf, Drenchie, Wisperer, Skuli, Gruffydd Grünzahn und Rhodri. Diese furchtlosen Acht erkundeten die Häuser und trafen alle auf den erbitterten Widerstand ortsansässiger Stämme.
»Ihr da drinnen«, rief Gunhild, ohne viele Worte zu machen, »wollt ihr eure neuen Kameraden nicht willkommen heißen?«
»Verpißt euch!« lautete die Antwort.
»Wir sind stark und gesund«, brüllte Gunhild.
»Ach ja? Such dir dein eigenes Haus ...«
Als Trödler von den feindseligen Stämmen hörte, wußte er, daß sie das Gelobte Haus noch nicht gefunden hatten, spürte jedoch, daß es ganz in ihrer Nähe lag.
Draußen vor dem Dorf berief er eine Versammlung ein, um den Mäusen seine Ansicht mitzuteilen. Und so sammelten die Wanderer aus dem Haus der Stämme noch einmal ihre Kräfte und zogen wieder in die Wildnis. Sie waren allerdings noch nicht weit gekommen, als Gunhild und der Rest der Wilden mit Ausnahme von Astrid kundtaten, daß sie ins Dorf zurückkehren würden.
»Ich bin sicher, sie nehmen uns auf, wenn wir nicht so viele sind. Zieh weiter, Trödler, viel Glück.«
Und so marschierten die 13-K, die Buchfresser, die Totenköpfe und die Unsichtbaren ohne die Wilden weiter. Nach sieben Stunden waren sie endlich am Ziel.