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Das Gelobte Haus stand an einer holprigen Straße: ein altertümliches Gebilde mit seltsamen Türmen, hohen Fenstern und Wällen. Das blaue Schieferdach war von rotem Efeu überwuchert. Auf einem Turm thronte ein Wetterhahn mit schwellendem Kamm. Das Anwesen war groß und wirkte recht gepflegt. Es gab nur wenige Blumenbeete, aber zahlreiche beschnittene Hecken. Im Garten standen ein solides Treibhaus, zwei Schuppen und ein Pavillon.

Die Mäuse betrachteten das vielversprechende Gebäude.

Astrid äußerte: »Ich habe mit einigen einheimischen Schatten gesprochen. Sie sagen, es seien gerade wieder Nacktlinge eingezogen; das Haus habe lange Zeit leergestanden.«

»Klingt gut«, meinte Trödler. »Vermutlich leben dann noch keine anderen Stämme darin.«

Wisperer wurde als Späher ausgeschickt und kam eine Stunde später zurück. »Nicht übel«, erklärte er. »Kaum Möbel oder Teppiche, aber eine riesengroße Küche, die für uns alle reicht. Sie riecht, als hätten sie noch vor kurzem darin gekocht. Und da hing auch so ein Hauch von Blauschimmel in der Luft .«

»Feindliche Stämme?« wollte Trödler wissen.

»Es gibt ein paar Mäuse, doch mir scheint, sie sind einzeln eingezogen. Scheinen überhaupt nicht organisiert zu sein. Ihre Markierungen sind ein wenig zufällig. Wir könnten sie ohne weiteres in unsere Reihen aufnehmen.«

»Gibt es eine Bibliothek?« wollte Frych wissen, die zum zig-sten Mal trächtig war, diesmal von Hywel dem Bösen.

»Und was für eine - ein Geschenk der Götter!«

»Dachböden?« erkundigte sich Zaghaft.

»Dutzende - jeder Turm hat seinen eigenen.«

»Klingt ideal.«

»Keller?« krächzte Furz.

»Weinregale, so weit das Auge reicht«, verkündete Wisperer. »Deine Leber versagt innerhalb einer Woche, Furz.«

»Worauf warten wir noch?« rief Leichtfuß. »Bringen wir un-sere Gypsy ins Warme.«

»Ja«, sagte Trödler, »geht hinein. Ich selbst werde, nachdem ich das Gelobte Haus gesehen habe, nicht mitkommen. Ich habe euch hergeführt und damit meine Pflicht als Pfadfinder erfüllt. Nun müßt ihr ohne mich weitermachen. Einer von euch wird euer Anführer sein. Ich kenne ihn und glaube, daß er sein Schicksal ebenfalls kennt, doch ihr braucht vielleicht ein wenig Zeit, um ihn anzunehmen.«

Die Mäuse schauten ihn verblüfft an.

Mycella

»Was sagst du da?« schrie Leichtfuß auf.

»Das meinst du nicht ernst - du mußt mitkommen - wir brauchen dich«, murmelte der Kleine Prinz.

»Meine Zeit mit euch ist vorüber, Kleiner Prinz, das weißt du besser als jeder andere. Du und ich saßen als einzige von uns hinter Gittern. Du hast beinahe eine Ewigkeit in Gefangenschaft verbracht. Aber durch deine Zeit bei den Nacktlingen hast du viel über sie erfahren. Du konntest nachdenken, deinen Verstand erweitern. Du bist die Maus, deren Wissen den alten Stämmen das Überleben ermöglichen wird ...«

Leichtfuß und einige andere Mäuse verstanden, daß Trödler mit diesen Worten den Kleinen Prinzen zu seinem Nachfolger ernannte. Falls sie diese Verwandlung vom Feind zum Führer ablehnten, sagten sie es nicht. Sie achteten Trödlers Entscheidung.

»Viel Glück euch allen«, sagte Trödler.

»Bist du dir ganz sicher?« wollte Ulf wissen.

»Ja«, erwiderte Trödler. »Ich bin mir sicher, aber ich möchte es nicht erklären - niemand außer Leichtfuß .«

Sie stand traurig in seiner Nähe.

Wisperer, Töricht, Nichtschwimmer, Tolpatsch, Grimmig, Zaghaft, Nesta, Mefyn und die anderen murmelten Abschiedsworte. Nur die Aufregung über das neue Haus dämmte ihre Traurigkeit ein wenig ein.

»Ist irgendwie nicht richtig, ohne dich hineinzugehen«, schniefte Furz mit einem Blick auf das Haus.

»Ich bin sehr gerührt«, entgegnete Trödler.

Furz drehte sich um und rümpfte die Nase, daß seine ungepflegten Schnurrhaare zuckten.

»Ich rede nicht von dir - hab' Fusel gemeint, klaro? Der alte Knabe ist wohl bloß noch Eulenmist, aber manchmal rede ich noch mit ihm, als wär' er hier.«

»Tut mir leid.«

»Schon gut, Meister«, meinte Furz versöhnlich. »Stoß auf mich an, wenn du das nächste Faß aufmachst.«

»Ganz bestimmt.«

Nacheinander zogen die Mäuse an Trödler vorbei und marschierten über die Wiese zum Haus. Schließlich blieb nur Leichtfuß übrig, die Gypsy in der Schnauze trug. Sie legte das Junge auf den Boden und schaute Trödler schweigend an.

Er blieb fest. »Ich muß in die Hecke zurückkehren.«

»Ich weiß.«

»Ich hätte Gypsy gerne aufwachsen sehen, aber sie wird schnell groß. Junge Mäuse brauchen ihre Eltern nicht lange.«

»Das stimmt«, meinte Leichtfuß.

»Ich glaube nicht, daß sie mich vermissen wird - es gibt so viele andere Mäuse im Haus.«

»Vermutlich nicht.«

»Und sie hat dich - das ist am allerwichtigsten«, meinte Trödler.

»Ja.«

»Ich werde irgendwann wiederkommen.«

Leichtfuß schüttelte den Kopf. »Nein, das wirst du nicht.«

Er seufzte. »Du hast recht - wahrscheinlich nicht. Ich würde dich bitten, mit mir zu kommen, aber in der Hecke könntest du keinen Monat überleben.«

»Ich weiß.«

»Tut mir leid.«

»Es macht nichts - ich meine, wir hatten eine wunderschöne Zeit miteinander. Paß auf dich auf in deiner Hecke. Und lege dich nicht mit den Füchsen an.«

»Nein. Lebe wohl, Leichtfuß.«

»Lebe wohl, Trödler.« Mit diesen Worten nahm Leichtfuß Gypsy in ihre Schnauze und huschte über die Wiese hinter den anderen her. Sie schaute noch einmal zurück, bevor sie das Gelobte Haus betrat.

Trödler stieß einen tiefen Seufzer aus und wandte sich nach Norden. In dieser Richtung vermutete er seine alte Hecke. Er war sich zwar nicht ganz sicher, daß sie dort lag, aber Sonne, Mond und Wind konnten ihm vielleicht den Weg nach Hause weisen.

Er war traurig wegen Leichtfuß, konnte und wollte aber in keinem Haus mehr leben. Als Landmaus mußte er zu seinen Wurzeln zurückkehren. Weißdorn und Schwarzdorn riefen nach ihm. Er wollte mit dem Geruch von Habichtskraut und Knoblauchsrauke in der Nase aufwachen. Er wollte im nächsten Frühling die Rotschwanzhummel sehen, die Maurerwespe und den Totengräberkäfer. Er wollte sein altes Nest unter dem breitblättrigen Ampfer beziehen, gleich neben den Larven des Maikäfers und den Puppen des braungeränderten Ochsenauges.

Er würde Leichtfuß einige Stunden vermissen, doch Mäuse blieben nur selten ein Leben lang zusammen. Dennoch würden sie einander nie vergessen. Leichtfuß war ein Teil von ihm und er ein Teil von ihr. Dieser Gedanke würde ihn bis ans Ende seines Lebens begleiten.

Quark

Die Nacht war beinahe zu Ende. Tinker, der alte Heckenmäu-serich, sammelte eifrig frisches Stroh für sein Nest. Da in den frühen Morgenstunden ein Sturm getobt hatte, bei dem ein wenig Wasser in den Bau eingedrungen war, mußte die durchnäßte Polsterung ersetzt werden. Tinker freute sich nicht gerade über die zusätzliche Arbeit, doch sein Rheumatismus verlangte ein trockenes Bett.

Bei der Auswahl des Strohs gab er sich viel Mühe, denn zwischen den trockenen Halmen verbargen sich oftmals Disteln, auf die er im Bett gut verzichten konnte. Nichts war schlimmer, als von einem Stich im Rücken aufzuwachen. Er schätzte Behaglichkeit über alles. Als junger Mäuserich hätte er sich einfach zusammengerollt, doch wenn er jetzt aufwachte, fiel ihm das Wiedereinschlafen schwer.

Trotz seiner schlechten Augen entdeckte er einen brauchbaren Halm, knabberte ihn säuberlich ab und schleppte seinen Fund ins Nest.

»Wo willst du hin, Alter?« knurrte ein großer Gelbhals, der vor dem Eingang zu Tinkers Nest herumlungerte.

Tinker blieb seufzend stehen. Eine Horde junger Randalierer hatte den Bau heimgesucht. Sie faulenzten herum und nahmen sich, was sie brauchten, ohne danach zu fragen, wem es gehörte. Sie stahlen Futter, besetzten die schönsten Nester - eine wahre Plage.