»Ich mache nur mein Bett«, erklärte Tinker.
»Dann mach es schön bequem«, höhnte der Bursche.
Ein anderer stieß zu ihnen.
»Vielleicht möchten wir bald ein Nickerchen halten«, erklärte der erste.
»Nachdem wir bei Tageslicht unseren Spaß gehabt haben«, johlte der andere.
Tatsächlich feierten sie am hellen Tag, lärmten rücksichtslos und störten die anderen Mäuse beim Schlafen. Nachts, wenn die anständigen Mäuse Futter suchten und Nester bauten, schliefen sie natürlich. Ihr Treiben störte die Ruhe und Harmonie im Bau.
Nachdem er seinen Halm im Nest niedergelegt hatte, kehrte Tinker an die Oberfläche zurück und sammelte unter den Pöbe-leien der Jungmäuse weiter Nistmaterial. Auf dem Rückweg zum Nest entdeckte er eine einsame Gestalt, die zwischen den Riesennesseln den Graben entlangwankte. Diese Maus, die nicht mehr die jüngste zu sein schien, kam ihm irgendwie bekannt vor. Er hätte schwören mögen, daß sie seinem Vetter glich, der die Hecke vor über zweihundert Nächten verlassen hatte, um ein Haus in der Fremde aufzusuchen.
Plötzlich blieb der Wanderer stehen und schaute Tinker an. »Bist du es?« fragte er. »Tinker, mein Vetter?«
»Trödler?« fragte Tinker verblüfft. »Ich dachte, du wärst verschollen oder tot.«
Trödler blickte sich um. »Ich bin froh, wieder zu Hause zu sein.«
Tinker wurde ganz aufgeregt. »Bist du jemals ins Haus gelangt? Was hast du erlebt? Natürlich kursierten Geschichten und Gerüchte - Neuigkeiten dringen auch bis zur Hecke vor -aber wer glaubt schon daran? Ich meine, sie wurden von Wieseln verbreitet. Schieß los!«
»Ich bin ins Haus der Stämme gelangt. Allein das ist schon eine lange Geschichte. Doch das Erstaunlichste war der Heimweg zur Hecke, nachdem ich das Gelobte Haus gefunden hatte.«
»Das Gelobte Haus?«
»Es kommt mir vor, als sei alles in einer anderen Welt passiert. Du würdest nicht glauben, welche Abenteuer ich erlebt habe. Ich kann von Glück sagen, daß ich noch heil und gesund bin. Bin ich doch, oder?« Er schaute an sich hinunter.
Tinker sagte mit einem abwägenden Blick auf seinen Vetter: »Du siehst ganz passabel aus, bis auf ein paar verbogene Schnurrhaare. Und die Schwanzspitze fehlt. Wie ist denn das passiert? Du mußt mir alles erzählen - jede Einzelheit. Fang mit dem Haus der Stämme an - wie war es? Voller Nacktlinge?«
»Laß mich erst zur Ruhe kommen. Ich möchte mein altes Nest sehen ...«
Tinker lachte. »Dein altes Nest? Das ist schon lange besetzt. Zuerst ist ein Weibchen eingezogen, dann ein Männchen. Du lieber Himmel, wir konnten es doch nicht leerstehen lassen! Wer hätte geahnt, daß du eines Tages wieder auftauchst?«
»Niemand natürlich«, erwiderte Trödler ein wenig verwirrt. »Dann gehen wir eben in dein Nest. Vielleicht kannst du mich für ein paar Stunden aufnehmen, bis ich etwas Eigenes gefunden habe. Zunächst jedoch muß ich noch etwas erledigen.«
Tinker wartete beim Bau. Trödler nahm einen Schluck Wasser aus dem Graben und suchte nach der Hagebutte, die er vor so vielen Nächten bei seinem Abschied vergraben hatte. Zuerst konnte er die Stelle nicht finden, entdeckte sie nach einigem Suchen aber doch.
Zu seiner Freude sproß ein Schößling aus der Erde, ein sicheres Willkommenszeichen. Dieses neue Leben bedeutete auch, daß er, Trödler, einen neuen Zweig in die unsterbliche Hecke geflochten hatte. Er hatte seinen Teil zu der Welt beigetragen, in der er lebte, und eines Tages würde hier eine Heckenrose blühen und untrennbar mit ihr verbunden sein. Er spuckte das Wasser auf die neue Pflanze und kehrte zu Tinker zurück.
Dieser stand am Eingang zum Bau. Zwei fette junge Mäuseriche lagen in seiner Nähe und starrten Trödler unverschämt entgegen. Zweifellos hatten sie ihn beim Gießen des Heckenrosenschößlings beobachtet.
»Was glaubst du eigentlich, wer du bist, Wasserschnauze?« grollte der größere Gelbhals. »Ich könnte einfach hingehen und mir diesen saftigen Sproß als Abendessen holen. Was sagst du dazu?«
Trödler schaute Tinker an. Dessen Gesichtsausdruck verriet ihm, daß es mit dem Bau nicht zum Besten stand. »Ich sage, das würde mich sehr, sehr wütend machen«, entgegnete Trödler laut und deutlich.
»Ach ja?« meinte der andere. »Noch etwas. Du glaubst wohl, du könntest einfach so in unseren Bau marschieren -«
Trödler sprang blitzartig und äußerst flink für sein Alter los und packte die größere Maus an der Kehle. Der Angriff kam so plötzlich, daß er die Randalierer völlig überrumpelte. Der Gelbhals rollte sich sofort auf den Rücken und starrte Trödler entsetzt an. Dieser ließ ihn los und packte den zweiten an der Schwanzwurzel. Der Gelbhals heulte vor Schmerz. Zufrieden ließ Trödler los, trat neben seinen Vetter und schaute die Randalierer prüfend an.
Weitere übermütige Gelbhälse tauchten aus dem Bau auf, blieben aber bei dem Anblick wortlos und mit erhobener Nase stehen.
»Ich heiße Trödler«, verkündete der heimgekehrte Held. »Ihr solltet euch meinen Namen merken. Auf andere Bezeichnungen höre ich nämlich nicht. Wenn ihr mir einen anderen Namen anhängt, kann ich sehr, sehr wütend werden . Da wäre noch etwas. Dieser Schößling ist eine heilige Pflanze, und wir wissen doch, was mit Mäusen passiert, die heilige Pflanzen fressen, oder nicht? Sie leiden unter schrecklichen Alpträumen, in denen sie der Herr dieser Pflanze heimsucht.«
Die beiden Randalierer hatten erkannt, daß sie einer ernsthaften Verletzung oder dem Tod nur knapp entronnen waren, und schwiegen. Dieser Trödler zeigte nicht die geringste Furcht vor ihnen. Da sie nur mit Hilfe der Angst den Bau beherrscht hatten, war ihre Zeit vorüber. Mit Trödler war wirklich nicht zu spaßen.
Trödler wandte sich an die Randalierer. »Ihr solltet euch schleunigst einen anderen Bau suchen. Wenn ich euch noch einmal in dieser Gegend rieche, weiß ich, daß ihr lebensmüde seid.« Er zuckte die breiten Schultern und wandte sich ab. »Und jetzt gehen wir in dein Nest, Tinker ...«
»Woher weißt du, daß sie dich nicht angreifen?« flüsterte Tinker. »Du hast ihnen den Rücken gekehrt.«
»Weil ich sie zu Tode erschreckt habe«, murmelte Trödler. »Sie sind völlig verwirrt. Sie wissen nicht, wer ich bin und wo ich herkomme, das hat mir genützt. Es hat gar nichts mit Stärke zu tun, sondern mit dem Geheimnis alles Fremden. Entweder verschwinden sie, oder sie bitten mich um Verzeihung - jedenfalls haben sie den Respekt vor ihrem Anführer verloren.«
»Er könnte dich auch zum Zweikampf fordern.«
»Den würde er verlieren«, sagte Trödler nachdrücklich. »Und er weiß es auch.«
»Ich bin tief beeindruckt«, erklärte Tinker erfreut.
»Das solltest du nicht sein. Solche Schläger gehören leider zum Leben. Na ja, das Haus der Stämme war schon aufregend und das Gelobte Haus nicht zu verachten, aber der Rückweg erst - eine wahre Odyssee! Ich werde dir alles erzählen ... Aber zuerst muß ich etwas fressen, frisches Stroh für mein Nest sammeln, es mir gemütlich machen - und dann werde ich dir alles erzählen .«