Furz sah zu Trödler hinüber und räusperte sich. »Kommst du von draußen?«
»Ja, sagte ich doch schon.«
»Dachte ich mir. Also, was Fusel und ich gern wissen möchten, hast du jemals den purpurfarbenen Pilz mit den roten Punkten gesehen?«
»Wie bitte?« fragte Trödler verblüfft.
»Ist doch eine einfache Frage, oder?« schnappte Fusel. »Bist du taub oder was?«
»Na, na«, tadelte ihn Furz. »Er hat nicht ganz verstanden, was wir meinen. Also, die Sache ist so. Ich hatte einen Onkel -hieß übrigens Große Galle -, der mal nach draußen ging und die Pilze entdeckte. Als er sie fraß, hatte er wunderbare Visionen. Dachte, er läuft auf Mehlwolken. Versteht du?«
Allmählich fühlte sich Trödler auch ein wenig umwölkt. »Glaube schon.«
»Na ja, dann kannst du uns - also mich und Fusel - zu solchen Pilzen führen, oder nicht? Wir könnten dich zur EhrenStinkmorchel ernennen.«
»Tut mir leid, ich kenne diese Pilze nicht«, erwiderte Trödler. »Wäre mir aber eine Ehre.«
Fusel stieß ein verächtliches »Zu nichts zu gebrauchen« her-vor, und Furz starrte Trödler lange an, bevor er das Wort ergriff. »Und du willst die Pilze nicht einfach für dich behalten?«
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest«, meinte Trödler mit Nachdruck. »Wenn du mich weiter so anstarrst, beiße ich dir die Nase ab.«
»Entschuldige, daß ich überhaupt atme«, brummte Furz und kehrte zu seiner Pfütze zurück.
Trödler begriff, daß seine Sorgen wegen des Weins unbegründet gewesen waren. Er entspannte sich und genoß das Trinken. Bald schon spürte er gar keine Furcht mehr und hätte es problemlos mit einer Armee von Wieseln aufgenommen. Er fühlte sich unbeschwert und stark. »Das ist gut«, nuschelte er, an die Stinkmorcheln gewandt. »Habt ihr noch mehr davon?«
»Klaro, jede Menge. Rot, weiß, mit Sprudel drin. Was du willst. Irgendwo gibt's immer ein Loch, und wenn nicht, machen wir uns eins«, prahlte Furz.
Und der flohgeplagte Fusel fügte hinzu: »Der in Flaschen ist am besten, aber die gehen nicht so oft kaputt, schade drum.« Er stieß Trödler freundschaftlich an.
Dieser verspürte plötzlich eine unerklärliche Wut über diese plumpe Vertraulichkeit. »Stoß mich nicht an«, grollte er und warf Fusel einen drohenden Blick zu.
»Was?« rief dieser überrascht. »Mist, einer von denen!«
»Einer von was?« fragte Furz und leckte sich die Tropfen von den Schnurrhaaren.
»Einer von denen, die pampig werden, wenn sie einen intus haben.«
Furz drehte sich zu Trödler um, der sich hin und her wiegte und die beiden anstarrte.
»Ich lass' mich nicht herumstoßen, kapiert?« schnarrte er.
»O Mann. Ich glaub', du hast recht, Fusel. Und was für einen wir hier haben.«
»Stoß mich bloß nicht herum«, grollte Trödler und fragte sich gleichzeitig, warum der Fußboden unter seinen Füßen ver-schwand.
»Wahnsinnsstoff«, staunte Fusel. »Was der mit der Sprache machen kann. Atemraubendes Vokabular.«
Die beiden Hausmäuseriche nippten weiter von ihrem Wein und behielten dabei ihren neuen Gefährten im Auge. Dieser starrte wie blind an die Decke. Interessiert schauten sie zu, als sich Trödlers Kopf zu drehen begann. Dann kippte er ganz allmählich zur Seite. Schwer atmend lag er auf dem staubigen Kellerboden, die Augen weit aufgerissen. Irgendwann fielen sie ihm zu.
Trödler wachte auf, als ihm die Sonne ins Gesicht schien. Sein Kopf tat weh, und er verspürte ein seltsames Gefühl im Magen. Als er sich umschaute, entdeckte er die beiden Mäuse von vorhin, die an der Kellerwand kauerten. Dann erklangen schwere Schritte auf der Treppe, und die Sonne verlosch mit einem leisen Klicken.
Furz und Fusel kamen zu ihm herüber.
»Fast wäre ein Nacktling auf dich getreten«, berichtete Fusel nicht ganz ohne Schadenfreude. »Die Riesenfüße haben dich knapp verpaßt. Schwein gehabt, war nämlich der mit dem weißen Kopf und Gesichtsfell. Ist blind wie ein Regenwurm.«
Trödler nahm die Nase-Hoch-Position ein und rieb sich die Augen. Schmerzensblitze durchzuckten seinen Kopf. »Ihr habt mich vergiftet«, krächzte er. »Ihr habt mich krank gemacht.«
»Wir sollen dich vergiftet haben?« rief Furz. »Ist ja wohl ein Witz! Hast dich wohl eher selber vergiftet. Keiner hat dich gezwungen, unsern Wein runterzukippen. Warst du doch selber, oder nicht? Gib's zu.«
»Ihr habt mir das Gift gezeigt«, erwiderte Trödler anklagend.
Fusel protestierte. »Ist kein Gift, sondern Wein. Wenn du's nicht vertragen kannst, mußt du Bier trinken.«
»Bier?« stöhnte Trödler.
»Vergiß es. Bleib in Zukunft einfach weg von dem guten Zeug. Hast uns bedroht, wir sollten dich nicht anstoßen. Dachte, du wärst ein harter Brocken, von wegen der Prahlerei mit Tunnelgräberin. Hättest sie verprügelt.«
»Ich habe nicht geprahlt - und sie auch nicht verprügelt. Wie gesagt, wir kämpften bis zum -«
»- bis zum Unentschieden. Klaro. Haben wir alles gehört, Kumpel. Aber an Tunnelgräberin ist noch nie einer vorbeigekommen. Hast sie so gut wie verprügelt, oder nicht?«
Trödler war nicht nach einer Diskussion zumute, und er verzog sich in einen anderen Teil des Kellers.
»Ist wohl kotzen gegangen«, bemerkte Fusel.
Trödler blieb eine Weile auf den kühlen Steinen liegen, bis er sich halbwegs erholt hatte. Die beiden anderen Mäuse kehrten zu der Weinlache zurück. Komisch, daß sie keine Vergiftungserscheinungen zeigten; vermutlich waren sie schon immun geworden. Anscheinend wurde diese Flüssigkeit nur Mäusen von draußen zum Verhängnis.
Trödler fragte sich, was für ein Sonnenlicht er wohl gesehen hatte. Gerade hatte die Sonne noch an ihrem höchsten Punkt gestanden, im nächsten Augenblick war es stockdunkel. Was tat die Sonne überhaupt im Inneren des Hauses? Er beschloß, sich bei Furz zu erkundigen.
»Das ist Licht. Noch nie Licht gesehen?«
»Wie bei den Sternen?«
»Nein«, schnaubte Furz verächtlich. »Ich weiß, du kommst von draußen, aber ich weiß mehr als du. Hat mir Onkel Galle alles erzählt. Ich weiß, es gibt Straßenlaternen und solches Zeug. Und was ist mit den fahrenden Kisten, die die Nacktlinge gebrauchen? Nie gesehen, wenn die nachts mit Licht die Straße lang fahren?«
Trödler fiel der Feldweg bei der Hecke ein. »Ach so, ist das dasselbe?«
»Licht ist Licht. Gibt's im ganzen Haus. Manchmal ist es an, manchmal nicht. Normalerweise ist es an, wenn ein Nacktling im Zimmer ist, außer am Tag, oder natürlich im Schlafzimmer, dann schläft der Nacktling vielleicht, dann ist es aus, verstehst du?«
»Glaube schon«, meinte Trödler. »Kann man es vorhersagen?«
»Manchmal«, erwiderte Fusel. »Hier ist es nie an, nur wenn ein Nacktling kommt. Wenn die Tür aufgeht, ist eine Sekunde danach das Licht an. Außer es ist der Nacktling, den wir Kopfjäger nennen - der kommt manchmal im Dunkeln.«
»Wieso? Wer ist der Kopfjäger?« fragte Trödler beunruhigt.
»Ein halbgroßer Nacktling«, erklärte Furz. Er furzte und rülpste gleichzeitig und fügte stolz hinzu: »Wie war das? Beide Enden auf einmal.«
Trödler beachtete diese vulgäre Vorstellung nicht und fragte weiter nach dem Kopfjäger. »Warum kommt er im Dunkeln hier herunter?«
»Um uns zu fangen«, antwortete Fusel düster. »Oder ein anderes Lebewesen, das ihm über den Weg läuft. Ist ein richtiger Dämon. Hat letzte Woche Faulig erwischt. Faulig war auch ein Mitglied unseres Stammes, bis der Kopfjäger kam. Hat den alten Faulig sicher bei lebendigem Leib gekocht.«
»Dieser Kopfjäger-Nacktling? Er foltert uns?«
»Uns, Katzen, Hunde, was du willst. Solltest mal seine Augen sehen. Direkt aus der Hölle. Hab' gesehen, wie er einer Spinne die Beine ausgerissen und den Körper gequetscht hat, bis sie platzte. Der Kopfjäger trägt hier«, Fusel zeigte auf die Stelle, wo bei Nacktlingen das Revers ist, »einen Mäuseschädel, so eine Art Abzeichen.«