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Wir hatten sehr viel zu tun mit all den Einkäufen, wir besuchten auch ein paarmal Michaels kleines Mädchen, probierten unser Arabisch aus, ließen das Klavier stimmen, machten einen letzten Besuch in Gizeh und gingen noch ein paarmal ins Museum. Bei den britischen Behörden fand ich einen alten Freund meines Vaters, der im Finanzministerium tätig war. Er war mir fast böse, weil ich ihn nicht schon früher aufgesucht hatte, denn er hätte die Gelegenheit, mich auszuführen, nur allzu gern wahrgenommen. Schließlich fühlte ich mich unter seinem prüfenden Blick unbehaglich.

Endlich platzte er heraus: »Miß Amelia, ahnen Sie denn überhaupt, wie sehr Sie sich verändert haben? Die ägyptische Luft tut Ihnen offensichtlich gut. Sie scheinen heute sehr viel jünger zu sein als bei meinem letzten Besuch in Sussex.«

Ich trug ein Kleid, das Evelyn für mich ausgewählt hatte; es war senfgelber Foulard mit grünen Paspeln und drapierten Röcken. »Feine Federn, mein Freund, stehen auch alten Hennen gut«, antwortete ich. »Aber Sie können mir vielleicht helfen ...«

Natürlich war ich zu ihm gekommen, um etwas über Evelyns Großvater herauszufinden, doch er war so sehr Gentleman, daß er nicht nach dem Grund meines Interesses fragte. Er unterrichtete mich davon, daß er vor etwa zwei Wochen vom Tod des alten Herrn erfahren habe, über die Tatsache hinaus wußte er jedoch nichts. Und ich konnte keine weiteren Fragen stellen, wollte ich nicht verraten, wer Evelyn war. Also blieb meine Neugier unbefriedigt.

Als ich gerade das Büro verlassen wollte, kam Major Baring, jetzt Sir Evelyn, der Generalkonsul und britische Regierungsvertreter, herein. Er erinnerte mich an meine Brüder, die ebenso wie er eine dicke Staublage britischer Respektabilität mit sich herumtrugen. Sein getrimmter Schnurrbart, der goldgefaßte Kneifer, die makellose Kleidung, die rundliche Statur - alles sprach von Fähigkeit, Zuverlässigkeit und langweiligem Trübsinn. Er hatte sich um die finanzielle Gesundung des Landes jedoch sehr große Verdienste erworben und war als der maßgebende Mann Ägyptens bekannt. Er war äußerst liebenswürdig und sagte mir jede nur denkbare Hilfe zu. Meinen Vater hatte er nicht persönlich, nur dem Ruf nach gekannt, so daß ich mir allmählich meinen Vater wie eine Spinne vorstellte, die in einem weltweiten Netz sitzt und an den Fäden zieht.

Wir planten unsere Abreise für Freitag, und am Donnerstag abend kam unser Besucher an. Die Unterhaltung mit ihm klärte einige Punkte, schuf aber viele neue Probleme, die gar nicht leicht zu lösen waren.

Ich hatte darauf bestanden, in die Halle hinabzugehen. Evelyn war den ganzen Tag über sehr nachdenklich und düsterer Stimmung gewesen, teils wegen ihres Großvaters, teils Walters wegen, der sich immer weiter von ihr entfernte. Die Emersons hatten eine Kabine auf einem Flußdampfer genommen, in der sie all ihre Vorräte unterbringen konnten. Sie selbst schliefen auf Deck bei der Mannschaft. Unwillkürlich stellte ich mir meine zarte Evelyn in einer solchen Umgebung vor und konnte nicht sehr bedauern, daß Walter entschwunden war.

Wir waren beide müde von der reichlichen Tagesar-beit, und ich glaube, ich habe ein wenig geschlummert, als mich Evelyns Ausruf weckte. Ich fürchtete schon, es könne wieder Alberto sein, und sprang auf, doch ihre Miene sprach eher von ungläubigem Staunen denn von Angst. Ein junger Gentleman kam rasch auf uns zu und streckte ihr lachend die Hände entgegen.

Ich dachte schon, jetzt wird sie ihm gleich um den Hals fallen, doch das tat sie nicht, sondern schüttelte nur begeistert seine braune Hand.

»Evelyn, liebes Mädchen! Wie erleichtert bin ich ... Aber wie konntest du mir einen solchen Schrecken einjagen!«

»Was, in aller Welt, tust du hier?« rief Evelyn.

»Ich bin natürlich dir gefolgt, was denn sonst? Ich fürchtete doch um deine Sicherheit. Aber wir vergessen unsere ganze Höflichkeit .« Er wandte sich lachend an mich. »Das muß Miß Peabody sein, die edle, großherzige Miß Peabody, der ich die Rettung meiner lieben Kusine verdanke. Oh, ich weiß alles! Ich war in Rom beim britischen Konsul, und über ihn habe ich dich ja gefunden. Nein, liebe Kusine, von diesem sauberen Gentleman, der dich nach Rom brachte, wollen wir nicht sprechen, doch ich weiß, was wir Miß Peabody zu verdanken haben. Meine liebe Miß Peabody, entschuldigen Sie, wenn mich meine Begeisterung mitreißt.« Er griff nach meiner Hand und schwang sie so heftig, daß ich dachte, er wolle sie mir ausreißen.

»Wirklich, Sir, ich bin ganz überwältigt ...«, begann ich.

»Ich weiß, ich bin's auch.« Der junge Mann ließ meine Hand los und lachte so perlend, wie man es bei einem Mann selten hört. »Aber bitte, meine Damen, setzen Sie sich doch, damit ich mich auch setzen kann. Dann können wir uns besser unterhalten.«

»Vielleicht denken Sie dann auch daran, sich vorzustel-len«, erinnerte ich ihn und massierte meine geschundenen Finger.

»Oh, Verzeihung, Amelia«, bat Evelyn. »Darf ich dich mit meinem Vetter, Mr. Lucas Hayes, bekannt machen?«

»Das erlaube ich dir, wenn er lange genug schweigt«, antwortete ich ein wenig säuerlich, doch der junge Mann lachte breit.

»Aber ist er denn noch Mr. Hayes? Oder müßte man ihn >Eure Lordschaft< nennen?«

»Sie, Miß Peabody, werden mich doch hoffentlich Lucas nennen«, schlug er liebenswürdig vor. »Für Evelyn könnte es allzu schmerzlich sein, an ihren Verlust erinnert zu werden. Ich sehe ja, daß die Nachricht Sie schon erreicht hat.«

»Wir erfuhren erst vor ein paar Tagen davon«, erklärte Evelyn traurig. »Bitte, Lucas, erzähl mir davon. Ich will alles wissen, selbst wenn es schmerzlich für mich ist. Ich hoffe, daß er mir verziehen hat, daß er wenigstens Zeit für ein freundliches Wort, für eine Botschaft hatte.« In ihren blauen Augen glänzten Tränen. Sie sah sehr schön aus, und das Gesicht des jungen Mannes drückte höchste Bewunderung aus.

»Evelyn, ich bin überzeugt, daß auch er Güte kannte. Aber laß mich meine Gedanken erst sammeln, ich will dir alles erzählen.«

Also sammelte er seine Gedanken, und ich hatte Muße, ihn zu studieren. Er war groß und breitschultrig, und seine elegante Kleidung hatte einen Anstrich von Dandyhaf-tigkeit. Seine Lackschuhe schimmerten wie poliertes Glas, und die Weste war mit Rosenknospen bestickt. Auf seiner schneeweißen Hemdbrust glitzerte ein riesiger Diamant, und die Hosen saßen so eng, daß ich bei jeder seiner Bewegungen fürchtete, etwas könne platzen. Seine ganze Art war sehr englisch, doch seine dunkle Haut und die gro-ßen, dunklen Augen verrieten die Nationalität seines Vaters. Seine Hände waren groß, dunkel und gut geformt, und vor allem so gut gepflegt wie die Hände einer Dame. Die Hand drückt den Charakter des Besitzers besser aus als sonst etwas. Emersons Hände waren schwielig und von harter Arbeit mit Narben bedeckt und verformt.

Dem verehrten Leser mag es vielleicht unlogisch erscheinen, daß ich etwas gegen meinen neuen Bekannten hatte. Seine Manieren waren zwar überwältigend, doch sonst war an ihnen nichts auszusetzen. Der Sprache nach war er ein Mann von Herz, Verstand und Ehre, doch ich mochte ihn einfach nicht.

»Du weißt wohl«, begann Lucas, »daß dein ehrwürdiger Großvater nach deiner . überstürzten Abreise einen fürchterlichen Wutanfall hatte und infolgedessen einen Schlaganfall erlitt. Der alte Herr war erstaunlich stabil und erholte sich wieder. Ich glaube, dieses hitzige Temperament verleiht ungeheure Kräfte. Du darfst mich nicht so vorwurfsvoll anschauen, Evelyn. Ich kann nicht vergessen, wie schlecht er dich behandelt hatte, also darf ich mir ab und zu ein Wort der Kritik wohl erlauben.