»Morgen schon? Oh! Natürlich denke ich nicht allzu bescheiden über meine Überredungskünste, jedoch ...«
»Es tut mir leid, Lucas, ich werde meine Ansicht nicht ändern«, fiel ihm Evelyn ins Wort. »Und ich bedaure, daß ich deine Gesellschaft nicht mehr lange genießen kann.«
»Nein, Evelyn, darüber müssen wir noch reden. Ich bin ebenso stur wie du. Meine Hoffnungen gebe ich nicht auf. Liebes Mädchen, die Hälfte des Vermögens gehört dir, wenn auch gesetzlich nichts darüber festgelegt ist, und ich werde nie eine Heirat dazu benützen, etwas zu erzwingen . Deine Vermögenshälfte wird dir sofort nach unserer Rückkehr überschrieben. Du gehörst nach Hause; du kannst wohnen, wo du willst; wenn Dower House in El-lesmere dir nicht gefällt, suchen wir ein anderes .«
Evelyn schüttelte den Kopf. »Mein Großvater konnte über sein Vermögen bestimmen, wie er wollte. Ich kann nichts annehmen, was mir nicht gehört, Lucas, und gibst du es mir, dann gebe ich es zurück. Außerdem habe ich versprochen, den Winter mit Amelia zu verbringen. Eine Reisegefährtin hat sie schon im Stich gelassen, ich will nicht die zweite sein. Sie verläßt sich auf mich.«
»Dann im Frühling?«
»Ich verspreche gar nichts.«
»Ich verstehe, es wäre undankbar Miß Peabody gegenüber, sie jetzt zu verlassen. Der Winter in Ägypten ist an sich eine gute Idee. Du wirst dich an Körper und Geist erholen. Ich kann mir inzwischen für meine Freunde zu Hause eine gute Lüge ausdenken, wo ich war, denn die ist nötig. Deine Absage, meine liebe Kusine, nehme ich nicht als endgültig hin. Erst wenn ich dich bis zum Frühjahr nicht von meinen ehrlichen Absichten überzeugen konnte, gebe ich die Hoffnung auf; vorher nicht. Nun, Miß Pea-body, was sagen Sie dazu?«
»Wollen Sie wirklich meine Meinung hören? Nun, mein lieber Lord Ellesmere, Sie haben gewiß einiges Recht auf Ihrer Seite. Und du, Evelyn, kannst die Hilfsbereitschaft deines Vetters nicht zurückweisen. Wenn du das Geld nicht nehmen willst, das er dir zu geben bereit ist, kannst du aber durchaus ein ordentliches Jahreseinkommen akzeptieren. Wenn du nach Hause gehen willst ...«
»Amelia! Wie kannst du so etwas sagen!«
Ich putzte mir die Nase, um meine Freude nicht erkennen zu lassen. »Dann treten wir also unsere Reise an. Sind wir zurück, kannst du über das Angebot deines Vetters entscheiden. Ist das fair oder nicht?«
Lucas schüttelte begeistert meine Hand, doch Evelyn war nicht sonderlich erfreut, wenn sie auch keinen Einwand erhob.
»Aber Sie müssen aus einer gewissen Entfernung werben, Mr. Lucas«, fuhr ich fort. »Es ginge nicht an, daß ich Ihnen eine Kabine auf unserer Dahabije anbiete.«
»Ich dachte nicht, daß Ihnen so sehr an Schicklichkeit liegt«, antwortete Lucas. »Aber selbstverständlich miete ich mir selbst eine Dahabije und folge Ihnen so schnell wie möglich. Sie entkommen mir nicht, meine Damen. Ich werde immer dort vor Anker gehen, wo Sie sind.«
»Das hört sich ja ungeheuer romantisch an«, bemerkte ich trocken. »Hoffentlich sind Sie nicht enttäuscht, wenn hier in Ägypten nicht alles so glatt läuft, wie Sie es wünschen. Heute können Sie sowieso nichts mehr tun.«
»Unterschätzen Sie mich nicht, meine Dame! Morgen, wenn ich Sie zu Ihrem Boot begleite, miete ich mein eigenes, und noch heute besorge ich mir einen Dragoman. Vielleicht können Sie mir einen guten empfehlen?«
»Nein«, erwiderte ich. » Und Michael ist schon nach Hause gegangen.«
»Er ist sicher irgendwo in der Nähe«, meinte Evelyn, »denn er verehrt dich über alle Maßen.«
»Woher willst du das wissen, Evelyn? An dir hängt er so sehr.«
Jedenfalls stimmte das, und Michael war noch im Hotel. Wir verabschiedeten uns von den beiden Männern. Natürlich war Evelyn in ihrer Gutherzigkeit wieder einmal viel zu hilfsbereit gewesen, und das fand ich gar nicht gut.
4. Kapitel
Ich hatte mir vorgenommen, ungewöhnlich früh am nächsten Morgen abzureisen, um Mr. Lucas zu entgehen. Ich unterschätzte ihn. Am Himmel zeigte sich noch kaum ein erster rosenfarbener Schimmer, als wir in die Hotelhalle hinabkamen und dort Mr. Lucas mit einem riesigen Blumenstrauß für Evelyn und einem wissenden Lächeln für mich vorfanden. Er bestand darauf, uns nach Boulaq zu begleiten, und als wir schon auf der Dahabije waren, stand er noch immer winkend und die Pracht seiner Zähne in einem breiten Lachen zeigend am Ufer.
Mit viel Geschrei nahmen die Männer ihre Plätze ein und lösten die Ankertaue. Die Ruderer stießen ab, bald schwellte der Wind die Segel, und wir waren auf dem Weg.
Wir saßen auf dem oberen Deck im Schutz eines Sonnensegels. Teppiche, Liegestühle und Tische machten es zu einem behaglichen Salon, und sofort erschien auch unser Aufwärter, der junge Habib, mit Minzentee und Gebäck. Evelyn gab ihre tiefe Nachdenklichkeit auf und tat kleine Entzückensschreie. Wirklich, selbst ein ausgemachter Pessimist müßte auf die Schönheit eines solchen Tages und einer solchen Reise voll Heiterkeit reagieren. Die Sonne stand an einem wolkenlosen Himmel, und ein sanfter Wind fächelte uns die Wangen. Die Paläste in ihren Gärten, die bis zum Wasser reichten, erschienen uns wie ein Traum oder ein liebliches Märchen. In der Ferne hoben sich die Pyramiden klar vor dem Himmel ab, denn die reine, trockene Luft ließ alle Linien wie graviert hervortreten.
Wir konnten uns von dieser herrlichen Aussicht nicht losreißen und saßen den ganzen Tag über auf Deck. Zur Dinnerzeit wehten delikate Düfte zu uns herauf, und Evelyn aß mit herzhafterem Appetit als seit langem. Dann brach der Abend herein, und wir zogen uns in den Salon zurück. Sie spielte Chopin, während ich an einem Fenster saß und den Sonnenuntergang beobachtete. Solche Momente bleiben ewig in meinem Gedächtnis haften.
Selbstverständlich habe ich nicht die Absicht, die Literatur um ein weiteres Reisebuch zu bereichern und den seltsamen Gesang der Männer in der Abenddämmerung, den Austausch von Saluten mit den Cook-Dampfern und unsere Besuche bei den Monumenten von Dahshoor und Abusir - größtenteils Pyramiden - zu beschreiben. Die meisten Reisenden wollen die schwierigere Fahrt flußaufwärts möglichst rasch hinter sich bringen und besichtigen die historischen Plätze erst auf dem Rückweg. Sehr viel hängt natürlich von den Winden ab, denn bei Flaute ist man entweder gezwungen, am Ufer vor Anker zu gehen oder sich von Männern rudern zu lassen, die wie Sklaven an Taue gelegt werden.
Ich zog es aus privaten Gründen vor, die Reise nilauf-wärts möglichst schnell zu machen, denn ich unterschätzte Mr. Lucas' Energie keineswegs. Ich rechnete mir aus, daß es nicht sehr leicht wäre, eine passende Dahabije zu finden, so daß wir ein paar friedliche Wochen genießen könnten.
Vor unserer Abreise hatte ich einen Plan aufgestellt, weil ich die älteren Grabdenkmäler sehen wollte, bevor ich die aus der griechischen und römischen Periode besichtigte. Reis Hassan erklärte mir jedoch, er müsse sich nach den Winden richten. Ich verstand aber inzwischen so viel Arabisch, daß ich ein paar Bemerkungen begriff, die mir Michael nicht übersetzte. Nach Reis Hassan war ich eine Frau, also eine Närrin, die nichts von Booten und Winden auf dem Nil verstand. Wer ich denn sei, daß ich einem erfahrenen Kapitän sagen wolle, wie er sein Boot führen müsse?
Selbstverständlich machte ich den Reis darauf aufmerksam, daß ich das Boot gemietet habe, und man braucht nicht zu raten, wer die Auseinandersetzung gewann. Trotzdem mußte ich jedesmal mit ihm streiten, wenn ich unterwegs einen Halt vorschlug.