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»Trotzdem dachte ich immer, Sie würden in roter Seide mit Spitzchen und Rüschchen recht hübsch aussehen«, antwortete Mr. Fletcher lächelnd.

Meine gute Laune war gerettet, doch ich schüttelte den Kopf. »Geben Sie's auf, Mr. Fletcher. Mir können Sie nicht schmeicheln, denn ich kenne die Liste meiner Fehler viel zu genau. An einigen Stellen bin ich zu mager, an anderen zu füllig, meine Nase ist zu lang, mein Mund zu groß, mein Kinn ist zu männlich. Blasse Haut und rabenschwarzes Haar sind im Moment unmodern, und meine grauen Augen unter den dichten Brauen jagen den Leuten Angst und Schrecken ein, denn vor Güte strahlen sie selten. Können wir jetzt zu den Geschäften übergehen?«

Ich folgte seinem Rat und machte mein Testament, wenn ich auch noch lange nicht die Absicht hatte, zu sterben; es ist jedoch immer mit einem gewissen Risiko verbunden, in ungesunde Gegenden zu reisen. Mein ganzes Vermögen vermachte ich dem Britischen Museum, in dem Papa so viele glückliche Stunden verbracht hatte.

Schließlich suchte ich mir noch eine Reisegefährtin, weil ich einsam war, nicht weil ich es unschicklich gefunden hätte, allein zu reisen. Immer hatte ich für Papa gesorgt, und ich brauchte auch jetzt einen Menschen, für den ich sorgen konnte. Miß Pritchett war ein paar Jahre älter als ich, kleidete und benahm sich jedoch so, als sei sie wesentlich jünger. Allerdings sahen die Rüschchen und Spitzchen an ihrem Knochengerüst recht grotesk aus, und ihre Stimme klang sehr schrill. Sie war ungeschickt, einfältig und neigte zu Ohnmachts- und Schwächeanfällen, oder sie gefiel sich darin, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergab. Ich hatte ganz schön zu tun, wenn ich sie durch die Straßen Kairos und die Wüsten Palästinas schleifen wollte.

Kaum hatten wir jedoch Rom erreicht, als sie an einem Typhusfieber erkrankte. Sie kam zwar durch, aber ich mußte meine Reise nach Kairo um zwei Wochen verschieben. Da sie eine lange Erholungszeit benötigte, schickte ich sie nach England zurück und übergab sie der

Obhut eines Geistlichen und seiner Frau, die gerade Rom verließen. Ihr Gehalt wollte ich ihr bezahlen, bis sie einen neuen Posten fände. Sie versuchte, als sie sich verabschiedete, weinend meine Hand zu küssen.

Meine Pläne waren also durchkreuzt, und ich fühlte mich schlechter Laune. Meine ganzen Vorbereitungen hatten zwei Personen gegolten. Sollte ich mir eine neue Gefährtin suchen oder die Reise einsam antreten? Darüber dachte ich nach, als ich der trostlosen Kuhweide einen Besuch abstattete, die einstmals das historische Forum von Rom gewesen war.

Es war ein unfreundlicher Dezembernachmittag. Piero sah trotz der von mir gekauften Jacke wie ein frierender, geschorener Pudel aus. Die umgestürzten Säulen waren von braunem, dürrem Unkraut überwuchert. Ich las ein paar gemeißelte Inschriften und stellte den Ort fest, wo Cäsar überfallen wurde; damit war ich zufrieden und setzte mich zu kurzer Rast auf einen Säulenstumpf.

Von Piero ließ ich mir den heißen Tee geben, den die Hotelküche zusammen mit einem kleinen Imbiß für mich vorbereitet hatte. Während ich meinen Tee trank und Pie-ro im Korb nach etwas Besserem kramte, bemerkte ich in der Nähe einen Menschenauflauf und schickte Piero zum Nachschauen, was es dort gebe. Viele Fremde, berichtete er wenig später, seien um eine junge englische Dame versammelt, die am Boden liege. Was konnte eine solche junge Dame auch anderes sein als Engländerin? Und sie sei ganz gewiß tot, weil sie sich nicht rühre.

Nun, Engländerin oder nicht, ich zweifelte, daß sie tot sei. Piero liebte als Römer das Dramatische ein wenig zu sehr, und von den vielen Fremden schien niemand etwas für die junge Dame zu tun. Also ging ich hin, schob energisch mit meinem kräftigen Sonnenschirm einige Gentle-men zur Seite und stand endlich neben der jungen Dame.

Sie sah erbarmenswert aus, und niemand hatte auch nur einen Finger für sie gerührt.

Ich kniete neben ihr nieder, setzte mich auf die Fersen und bettete den Kopf des Mädchens auf meine Knie. Es tat mir unendlich leid, daß ich keinen Mantel oder Umhang trug, doch das ließ sich leicht ändern.

»Ich brauche Ihren Mantel, Sir«, sagte ich zum nächsten Herrn. Er war dick, rundgesichtig und hatte viele Lagen Fett, die ihn warm hielten. Vorher hatte er mit seinem Goldgriffspazierstock nach dem Mädchen gestochert, um zu sehen, ob sich das arme Ding noch rühre. Das mußte er mir jetzt büßen.

»Was wollen Sie von mir?« knurrte er.

»Ihren Mantel, Sir«, erwiderte ich ungeduldig. »Sofort ziehen Sie ihn aus. Aber schnell!« Das sagte ich nicht sehr leise; sein Gesicht wurde immer röter, als er seinen Mantel langsam auszog. Das Mädchen war, wovon ich mich überzeugt hatte, nicht tot, sondern nur ohnmächtig. Nun hüllte ich das arme Ding in den warmen Mantel ein und musterte es dabei. Da ich selbst recht unscheinbar bin, liebe ich Schönheit über alles, und dieses Mädchen konnte ich nur bewundern.

Natürlich konnte sie nur Engländerin sein, denn so makellose weiße Haut und so blaßgoldenes Haar sind bei keiner anderen Nation zu finden. Ihre Wimpern waren einige Schattierungen dunkler als ihr Haar und ungewöhnlich lang. Für die winterliche Kälte war sie mit einem Sommerkleid und einem dünnen Mantel sehr dürftig gekleidet. Alles sah recht abgetragen aus, mußte früher aber ziemlich teuer gewesen sein und zeugte von bestem Geschmack. Die Handschuhe an ihren zarten Händen waren sauber gestopft. Das Mädchen bot einen armseligen Anblick, schien jedoch von bester Abkunft zu sein und mußte wohl unter Hunger und Kälte leiden.

Da flatterten plötzlich die dunklen Wimpern, die Lider hoben sich und enthüllten Augen von einem sehr dunklen, wundervollen Blau. Als sie mich erfaßten, kam etwas Rot in ihre Wangen, und das Mädchen versuchte, sich aufzusetzen.

»Bleiben Sie ruhig liegen«, mahnte ich und drückte sie zurück. »Sie waren ohnmächtig und sind noch schwach. Ich habe einen Imbiß bei mir. Wenn Sie etwas zu sich genommen haben, sehen wir weiter.«

Sie versuchte zu protestieren, und die starrenden Gaffer machten sie sehr verlegen. Ich befahl den Leuten also zu verschwinden. Von dem Herrn, dessen Mantel ich gefordert hatte, ließ ich mir seine Hoteladresse geben. Ich versprach ihm, den Mantel bis zum Abend zurückzuschicken. »Eine Person von Ihrem Umfang sollte auf keinen Fall so schwere Kleidungsstücke tragen«, mahnte ich ihn noch.

Die Dame neben ihm, die auch so dick war, empörte sich. »Wie können Sie es wagen, so etwas zu sagen! Das ist unerhört!«

»Sicher ist das unerhört«, gab ich ihr recht. »Ich verspreche Ihnen jedoch, Madam, keinen Versuch zu machen, Ihnen christliche Gefühle beizubringen, denn das wäre vergeblich. Am besten ist es also, wenn Sie mit diesem dicken Mann hier schnellstens verschwinden.«

Ich hatte inzwischen dem Mädchen ein paar Happen aus dem Korb zu essen gegeben. Sie hatte Hunger, das sah man, doch sie aß sehr langsam und wohlerzogen. Also war sie eine Dame, wie ich vermutet hatte. Sie trank den Rest des Tees und aß ein Stück Brot, und nun konnte ich sie mit Pieros Hilfe in einen Wagen setzen, der uns zu meinem Hotel brachte. Der herbeigerufene Arzt bestätigte meine Diagnose. Die junge Dame leide an keiner Krankheit, sondern an Hunger und Kälte, erhole sich aber schnell.

In meinem Kopf formte sich schon ein Plan, und ich kam auch bald zu einem Entschluß. Das Mädchen sah wohl sehr zierlich aus, dennoch mußte es von sehr kräftiger Konstitution sein. Sie schien weder Freunde noch Verwandte zu haben, die sie vor einem so desolaten Zustand hätten bewahren können, doch dem konnte man ja schließlich abhelfen. Ich sagte ihr also, was ich zu tun gedachte.