Wir besuchten auch Moscheen und die Zitadelle, und ich interessierte mich besonders für die alte Kultur; deshalb sahen wir für einen Tag unseren ersten Besuch in Gizeh vor. Wenn ich gewußt hätte, was uns da bevorstand!
Die Pyramiden besucht jeder Reisende, denn seit dem Bau der Nilbrücke braucht man vom Hotel aus nur eineinhalb Stunden Fahrzeit. Wir brachen am frühen Morgen auf, damit wir den ganzen Tag vor uns hatten.
Selbstverständlich hatte ich Bilder gesehen, doch die Wirklichkeit der Pyramiden ist überwältigend. Die glatten, steilen Steinflanken führen hoch hinauf zur Plattform. Und die Farben! Der ägyptische Kalkstein wirkt in der hellen Sonne vor dem tiefblauen Himmel so, als sei er aus mattem Gold.
Die ganze ebene Fläche, auf der die drei großen Pyramiden stehen, sind mit Gräbern, kleineren und zerfallenen Pyramiden und sandgefüllten Löchern durchsetzt, und in einer großen Sandmulde erhebt sich der majestätische Kopf der Sphinx. Der Körper dieses herrlichen Werkes muß immer wieder vom Sand befreit werden. Ein solches Meisterwerk aus Menschenhand gibt es kein zweites Mal.
Wir machten uns zur größten der drei Pyramiden auf, zum Grab des Khufu. Erst in ziemlich geringer Entfernung erkannten wir die riesigen Steinblöcke, und wir überlegten uns, wie wir in den langen und ziemlich engen Röcken diese Stufen erklettern sollten.
Es gelang uns mit Hilfe von je drei Arabern. Je einer stützte uns links und rechts, ein dritter schob von hinten an, und so standen wir bald auf der Gipfelplattform. Evelyn erschien mir ein bißchen blaß, doch mich nahm die großartige Aussicht völlig gefangen. Diese Plattform hat eine Größe von etwa dreißig Fuß im Quadrat, und einige Steinblöcke, die von der abgetragenen Spitze übrig waren, dienten als Sitze. Mir tränten vom angestrengten Schauen bald die Augen.
Es war ein unvergleichlicher Anblick: im Hintergrund die Minaretts und Kuppeln der Märchenstadt Kairo, im Vordergrund der grüne Streifen des fruchtbaren Niltales. Im Westen und Süden schimmerten golden die Wüsten. Am Horizont waren noch ein paar kleinere Pyramiden zu erkennen, die von Abusir, Sakkarah und Dahshoor.
Evelyn zupfte mich am Ärmel und riß mich aus meiner staunenden Begeisterung. »Könnten wir nicht absteigen?« bat sie. »Ich glaube, ich bekomme einen Sonnenbrand.«
Ihre Nase war trotz des breitrandigen Sonnenhutes schon dunkelrosa, und so ließen wir uns von unseren fröhlichen Führern wieder nach unten bringen. In das Innere der Pyramide mochte Evelyn nicht mitkommen.
Ich ließ sie also bei einigen Damen zurück, raffte meine Röcke und folgte den Männern in die schwarze Tiefe.
Ah, es war schrecklich! Die Luft war kaum zu atmen, am Boden lag überall Schutt, und das Licht der flackernden Kerzen wirkte unheimlich. Die Gänge sind so niedrig und steil, daß man nur geduckt kriechen kann und von den Führern gestützt werden muß, wenn man nicht zurückrutschen will. Natürlich gab es auch Fledermäuse. Doch schließlich standen wir in der Königskammer aus schwarzem Basalt, in der nur der schwarze, massive Sarg stand, in den Khufu vor gut viertausend Jahren zur letzten Ruhe gebettet worden war. Oh, es war ein ungeheuer erhebendes Gefühl, das etwa jenem glich, das ich einmal als Kind erlebt hatte. Mein Bruder William hatte behauptet, ich würde es nicht wagen, auf den Apfelbaum in unserem Garten zu klettern. Ich bewies es ihm, daß ich es wagte, und schaute vom höchsten Ast aus zu, wie er von einem der unteren Äste fiel und sich dabei den Arm brach.
Trotz meiner begeisterten Schilderung weigerte sich Evelyn standhaft, die Pyramide zu betreten.
Wir waren damals etwa eine Woche lang in Kairo, und ich hatte die begründete Hoffnung, in ungefähr zwei Wochen absegeln zu können. Ich war einige Male in Boulaq, um Reis Hassan ein wenig anzutreiben, doch nach dem Besuch von Gizeh ließ ich ihn in Ruhe. Ich hatte nämlich in mir eine gewisse Vorliebe für Pyramiden entdeckt und besuchte deshalb auch die beiden anderen Pyramiden von Gizeh und später auch die Stufenpyramide von Sakkarah. Von den kleineren Pyramiden in Sakkarah hat man die massiven Steinblöcke abgetragen und sie für andere Bauten verwendet; die Reste sind deshalb eigentlich nur noch Schutthaufen. Das war mir jedoch egal, denn Pyramiden in jeder Form waren nun meine Leidenschaft.
Ich war fest entschlossen gewesen, wenigstens eine der
Grabkammern zu besuchen, die mit herrlichen Wandmalereien und Hieroglyphen-Inschriften geschmückt sind; wegen Evelyn verzichtete ich darauf, als sie das enge, dunkle Loch sah, in das ich an einem Seil hinabgelassen hätte werden müssen. Sie wurde totenblaß und drohte mir zu folgen. Da ließ ich es lieber sein.
Auch Travers mißbilligte meine Pyramidenausflüge. Etliche meiner Kleider ließen sich nicht mehr reparieren, und die anderen machten ihr sehr große Mühe. Besonders ekelte sie sich vor dem Fledermauskot, den ich gelegentlich und ohne es zu wissen mitbrachte. Einmal schlug ich einen Ausflug nach Dashoor vor, wo es einige hervorragende Pyramiden gibt, doch Evelyn weigerte sich energisch und wollte lieber das Museum von Boulaq besuchen. Das taten wir, denn nach dem Museumsbesuch konnte ich zu Hassan gehen.
Auf M. Maspero, den französischen Abteilungsleiter für Altertümer, freute ich mich. Mein Vater hatte mit ihm korrespondiert, und so durfte ich hoffen, daß mein Name ihm vertraut sei. Er war es, und wir fanden M. Maspero im Museum. Meistens ist er nämlich zu Ausgrabungen weg.
Seinen Assistenten Emil Brugsch kannte ich nur seinem Ruf nach, denn er hatte vor wenigen Jahren das Versteck berühmter königlicher Mumien entdeckt. Während wir auf M. Maspero warteten, erzählte uns Herr Brugsch die Geschichte des Fundes. Gute zehn Jahre früher hatte eine Räuberfamilie aus Theben das Versteck der Mumie gefunden, weil der sehr zwielichtige Abd er-Rasool Ahmed in den Felsen am Rand seines Dorfes namens Gurnah eine Ziege suchte. Die Ziege war in eine Felsspalte gefallen, und da machte er seinen erstaunlichen Fund - die Mumien der großen Pharaonen, die nach der Ausplünderung ihrer Gräber hier versteckt worden waren.
Brugsch hatte von Sammlern Fotos von Gegenständen erhalten, die königliche Namen trugen, und ihm war sofort klar gewesen, daß diese Dinge aus Gräbern stammen mußten. Die meisten dieser Gräber befanden sich, wie er wußte, in Theben, und so bat er die Polizei, solche Leute zu beobachten, die plötzlich mehr Geld ausgaben, als sie offiziell hatten. Der Verdacht konzentrierte sich auf die Familie Abd er-Rasool, die sich inzwischen wegen der Aufteilung der Beute zerstritten hatte; einer verriet das Geheimnis an Brugsch.
Mir lag an diesem Herrn jedoch nichts; er steht seit langem im Dienst von M. Maspero und seinem Vorgänger M. Mariette, und sein Bruder ist ein sehr bekannter Wissenschaftler. Mir gefällt seine harte Art nicht, in der er die Foltern beschrieb, welchen die Diebe ausgesetzt wurden, um ihre Geständnisse zu erzwingen. Ihm war es auch zu verdanken, daß die königlichen Toten sofort in Sicherheit gebracht wurden. Innerhalb von acht Tagen waren sie auf einer Barke nach dem Norden unterwegs. Zahllose Klageweiber hatten die Flußufer gesäumt, um die alten Könige zu beweinen.
Endlich kam M. Maspero. Er war ein stämmiger, ungemein liebenswürdiger Mann mit einem kurzgestutzten, schwarzen Bart. Als artiger Franzose beugte er sich über meine Hand und begrüßte Evelyn voll Bewunderung. Von meinem Vater sprach er in Worten höchster Verehrung. Er bat uns um Entschuldigung, weil er uns nicht persönlich im Museum herumführen konnte, versprach jedoch, später wieder zu uns zu stoßen.