Ich war froh, daß er nicht bei uns war, denn ich hätte ihm sonst sicher gesagt, was ich von seinem Museum hielt. Es enthielt selbstverständlich eine ganze Menge der interessantesten Dinge, aber der Staub und das Durcheinander! Meine hausfraulichen Instinkte fühlten sich herausgefordert.
»Vielleicht bist du jetzt nicht ganz fair«, hielt mir Evelyn in ihrer sanften Art vor. »Es gibt so unendlich viele Gegenstände, täglich kommen neue dazu, und das Museum ist trotz der kürzlichen Vergrößerung viel zu klein. Wie soll man da immer Ordnung halten und Staub wischen können?«
»Um so mehr Grund, Ordnung zu halten«, erwiderte ich.
»Früher wurde alles, was die europäischen Abenteurer fanden, außer Landes geschleppt. Nun besteht doch ein Abkommen zwischen Großbritannien und Frankreich, das den Franzosen die Aufsicht über alle Altertümer einräumt, während unser Staat Finanzen, Bildungs- und Gesundheitswesen, Außenpolitik und so weiter überwacht. Ich glaube, englischer Ordnungssinn wäre hier eher angebracht als französische Lässigkeit.«
Wir waren inzwischen in einem abgelegenen Raum angelangt, der mit unzähligen Gegenständen wie Vasen, Perlketten, winzigen Figuren und anderen Dingen angefüllt war, die in den vorderen Räumen keinen Platz gefunden hatten. »Schau dir doch das hier an!« sagte ich zu Evelyn, nahm ein Figürchen und rieb mit meinem Taschentuch den Schmutz ab. »Sie könnten doch ...«
Da erschütterte ein fast tierisches Heulen den kleinen Raum. Ehe ich noch nach dessen Quelle Umschau halten konnte, entriß mir eine kräftige, sonnenbraune Hand die Statuette und brüllte mir ins Ohr: »Madam! Tun Sie mir den Gefallen, und lassen Sie die unersetzlichen Kostbarkeiten in Ruhe! Schlimm genug, daß dieser unfähige Esel Maspero sie so miserabel behandelt, und jetzt wollen Sie in Ihrer Idiotie auch noch das vernichten, was er übrigläßt!«
Ich nahm meine ganze Würde zusammen und drehte mich zu diesem Kannibalen um. Er war sehr groß, hatte
Schultern wie ein Stier und einen nach der Art assyrischer Könige geschnittenen schwarzen Bart. Sein Gesicht war dunkel wie das eines gewöhnlichen Ägypters, doch daraus funkelten mich wütende grellblaue Augen an. Die Stimme kannte ich ja schon, sie war ein tiefer, dröhnender Baß; dem Akzent nach schien er ein Gentleman zu sein, den Gefühlen nach war er es nicht.
Ich maß ihn von oben bis unten. »Sir, ich kenne Sie ja gar nicht.«
»Aber ich kenne Ihre Art, Madam! Diese britischen Weiber sind doch von allen die dümmsten und arrogantesten! Oh, ihr Götter! Diese Brut ist so unnütz und aufdringlich wie ein Moskitoschwarm, und kein Fleck der ganzen Erde ist vor ihnen sicher. Zum Verrücktwerden ist das!« Jetzt mußte er dringend einmal Atem holen. Diese Pause nützte ich aus.
»Und Sie, Sir, sind der überheblichste Brite mit den schlechtesten Manieren. Nun, wir britischen Frauen müssen den von den boshaften Männern verursachten schlechten Ruf reparieren, so gut es geht. Randalieren, von der eigenen Überlegenheit überzeugt sein ...«
Vorsichtshalber trat ich ein paar Schritte zurück und griff fester um den Knauf meines Sonnenschirms. Ich bin nicht klein und ängstlich, aber dieser Mann überragte mich wie ein Turm, und er machte den Eindruck, als wolle er mich mit seinen sehr großen und sehr weißen Zähnen zerfleischen.
Ich schaute auf und sah Evelyn mit einem kleineren, schmäleren, bartlosen Ebenbild meines Gegners sprechen; er war dunkelhaarig, blauäugig und groß, wenn auch nicht so bullig wie der andere, und der Bartlose legte dem Bärtigen eine Hand auf die Schulter.
»Radcliffe, du ängstigst ja diese Dame«, sagte er. »Ich bitte dich .«
»Mich kann er nicht ängstigen«, erwiderte ich ruhig. »Aber Ihr Freund scheint einem Schlagfluß nahe zu sein. Leidet er sonst auch unter Gehirnschwäche?«
Der jüngere Mann schien nicht sehr besorgt zu sein, denn er lachte breit, und das gefiel mir. Aus Evelyns Miene schloß ich, daß wir uns da einig waren.
»Das ist mein Bruder, Madam«, erklärte der junge Mann fröhlich. »Sie müssen ihm verzeihen. Und du, Radcliffe, beruhigst dich jetzt wieder. Wissen Sie«, wandte er sich wieder an mich, »das Museum wirkt immer so auf ihn. Sie trifft keine Schuld an seiner Erregung.«
»Ganz sicher nicht!« rief ich. »Eine so unentschuldbare Unhöflichkeit .«
»Amelia!« Evelyn versuchte mich am Arm wegzuziehen, weil der bartumrahmte Mund ein Wutgeheul ausstieß. »Wir wollen uns doch nicht weiter Grobheiten an den Kopf werfen.«
»Das liegt mir fern«, erwiderte ich kühl. Evelyn und der junge Mann tauschten Blicke, und wie auf Verabredung zerrte der junge Mann seinen aufgebrachten Bruder mit sich, während Evelyn etwas sanfter meinen Arm packte. Die anderen Museumsbesucher hatten uns voll atemloser Neugier beobachtet, gingen aber nun weiter, als rasche Schritte die Ankunft von M. Maspero ankündigten. Als er uns sah, lachte er breit.
»Ah, c'est le bon Emerson! Das hätte ich wissen können. Sie kennen einander schon?«
»Wir kennen einander nicht!« brüllte der Mann, der Emerson hieß. »Und wenn Sie, Maspero, einen Versuch dazu machen, dann schlage ich Sie mit einem Hieb zu Boden!«
M. Maspero lachte schallend. »Dann versuch ich es lieber nicht . Kommen Sie, meine Damen. Das hier ist unwichtiges Kleinzeug, ich zeige Ihnen die feineren Sachen.«
»Sie sind sehr interessant«, warf Evelyn mit ihrer sanften Stimme ein. »Ich bewundere die schönen Farben dieser Ketten.«
»Sie sind aber nicht wertvoll. Wir finden diese Ketten zu Hunderten. Es sind ganz gewöhnliche Fayencen.«
»Dann sind diese herrlichen Korallen und Türkise gar keine echten Steine?«
»Mais non, Mademoiselle, das alles sind nur Imitationen von Korallen, Türkisen, Lapislazulisteinen und dergleichen und bestehen aus einer farbigen Paste, die im alten Ägypten viel verwendet wurde.«
»Sie sind trotzdem sehr hübsch«, bemerkte ich. »Und schon das Alter dieser Gegenstände ist bewundernswert. Wenn man bedenkt, daß diese wunderschönen Perlen vor tausend Jahren um den Hals ...«
Der Schwarzbärtige wirbelte herum. »Dreitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung«, korrigierte er mich wütend.
Maspero lächelte nur, nahm eine Kette aus winzigen blauen und korallenfarbenen Perlen und überreichte sie mit einer höflichen Verbeugung Evelyn. »Behalten Sie das bitte als Erinnerung an Ihren Besuch hier. Wie schade, daß ich nichts Schöneres für eine so entzückende junge Dame habe . Und das ist für Sie, Mademoiselle Peabo-dy.« Auch mir drückte er eine Kette in die Hand. »Tun Sie mir die Ehre, sie zu behalten, meine Damen - außer Sie fürchten den Fluch der ägyptischen Rachegeister .«
»Ganz gewiß nicht«, versicherte ich ihm.
»Nun, und der Fluch des Mister Emerson?« fuhr er fort. »Sehen Sie, er ist schon wieder dabei, unfreundliche Dinge zu mir zu sagen.«
»Keine Angst, ich gehe schon«, knurrte Emerson. »In Ihrem Horrorhaus kann ich es sowieso nur ein paar Minuten aushalten. In aller Götter Namen, warum katalogisieren Sie nicht endlich diese ganzen Töpfe und Vasen?«
Damit stürmte er hinaus und zog seinen Bruder mit sich, der aber noch einmal umschaute und Evelyn nicht aus den Augen ließ, bis sie seinen Blicken entzogen war.