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»Er hat ein sehr aufbrausendes Temperament«, bemerkte M. Maspero voll Bewunderung. »Die Großartigkeit seiner Wutausbrüche nötigt einem Respekt ab.«

»Da kann ich Ihnen nicht beipflichten«, widersprach ich ihm. »Wer ist dieser Bursche eigentlich?«

»Ein Landsmann von Ihnen, Madam, der sich für die Altertümer dieses Landes interessiert. Er hat wundervolle Ausgrabungen gemacht, aber ich fürchte, für uns hat er nicht viel übrig. Nicht ein Archäologe in ganz Ägypten entgeht seiner beißenden Kritik.«

»Wir halten Ihr Museum für faszinierend«, warf Evelyn taktvoll ein.

Wir verbrachten noch ein paar Stunden dort. Nicht um die Welt hätte ich das in der Öffentlichkeit gesagt, aber ich fand Emersons Kritik mehr als berechtigt. Die Ausstellungsstücke waren unmethodisch aufgereiht, und überall lag Staub.

Evelyn war dann zu müde, um noch zum Boot zu gehen, und sie war auch sehr schweigsam und nachdenklich. »Mr. Emersons jüngerer Bruder hat nicht das heftige Familientemperament, glaube ich«, bemerkte ich während der Rückfahrt. »Hast du zufällig seinen Namen gehört?«

»Walter«, erwiderte sie und errötete.

Ich tat, als bemerkte ich nichts. »Ah, ich fand ihn sehr angenehm. Vielleicht begegnen wir ihm im Hotel.«

»Nein, sie wohnen nicht bei Shepheard's. Walt. Mr. Walter Emerson sagt, ihr ganzes Geld werde für die Ausgrabungen ausgegeben. Sein Bruder erhält einen Zuschuß von einem Museum oder irgendeiner Institution. Sein jährliches Einkommen ist nicht sehr groß, und sein Bruder Walter sagt, wenn er alle Reichtümer Indiens hät-te, so würden sie ihm für seine Arbeit auch noch nicht genügen.«

»In der kurzen Zeit hast du aber sehr viel erfahren«, stellte ich amüsiert fest und beobachtete Evelyn aus den Augenwinkeln heraus. »Wie schade, daß wir die Bekanntschaft nicht nur mit dem jüngeren Bruder fortsetzen können und dem Wahnsinnigen .«

»Wir werden einander kaum mehr begegnen«, warf Evelyn leise ein, doch da hegte ich recht deutliche Zweifel. Nach einer kurzen Mittagspause besorgten wir die Medikamente, die unser Reiseführer für unerläßlich hielt. Südlich von Kairo gibt es noch immer kaum einen Arzt. Ich hätte, wäre ich ein Mann gewesen, allzu gerne Medizin studiert, denn ich habe dafür eine natürliche Begabung. Ich falle beim Anblick von Wunden nicht in Ohnmacht, wie viele meiner männlichen Bekannten. Selbstverständlich hatte ich auf meiner Liste auch einige chirurgische Instrumente und war durchaus bereit, im Notfall auch Gliedmaßen, mindestens einen Finger oder eine Zehe, zu amputieren.

Michael, unser Dragoman, begleitete uns. Blaue Pillen, grüne Pillen, Chinin, Rhabarberpillen, verschiedene Puder, Desinfektionsmittel, Laudanum und vieles andere, vor allem reichlich Verbandmaterial wurden nacheinander abgehakt. Michael erschien mir die ganze Zeit hindurch ungewöhnlich still, und als Evelyn ihn schließlich nach dem Grund dafür fragte, erklärte er uns, sein Kind sei krank, wenn es auch nur eine Tochter sei.

Nun, weil wir gerade die medizinische Seite unserer Reise vorbereiteten, hielten wir es für angebracht, anschließend nach diesem Kind zu sehen, denn Michael war ehrlich bekümmert.

Es war ein altes, schmales Haus mit holzgeschnitzten Balkonen von sehr schöner Arbeit; sie sind typisch für

Kairo. Es erschien mir schmutzig, wenn auch nicht ganz so verwahrlost wie die Umgebung, doch das Zimmer, in dem das kranke Kind lag, sah trostlos aus. Die Holzläden lagen vor den geschlossenen Fenstern, es war stockdunkel und stank fürchterlich. Im fahlen Licht einer rauchenden, übelriechenden Öllampe sah ich auf einem primitiven Lager ein süßes kleines Ding mit großen schwarzen Augen. Die plärrende Verwandtschaft jagte ich gleich davon und ließ nur die Mutter des Mädchens bleiben, die auch kaum älter als fünfzehn Jahre sein konnte.

Evelyn kniete bereits neben dem Mädchen, schob die wirren schwarzen Locken aus dem Gesicht und verscheuchte einen lästigen Fliegenschwarm. Die Mutter wagte aus Angst vor uns nicht zu protestieren, denn Fliegen sind dort ein notwendiges Übel, das man hinnehmen muß. Deshalb sind auch sehr viele Menschen dort blind, und die Kindersterblichkeit ist überaus hoch. Von fünf Kindern sterben drei sehr jung.

Ich sah den unglücklichen Michael an und beschloß, daß dieses Kind nicht sterben werde, wenn ich es irgendwie verhindern konnte. Wofür hatte ich so viele Medikamente gekauft?

Die Krankheitsursache war leicht zu entdecken. Das Mädchen hatte sich bei einem Sturz verletzt, und die Wunde war nicht desinfiziert worden. Sie hatte sich entzündet, und der kleine Arm war dick geschwollen. Mit einem desinfizierten Messer schnitt ich die Schwellung auf, und eine übelriechende Masse quoll heraus. Ich reinigte die Wunde und verband sie und unterwies auch die Eltern, wie sie das Kind nun zu pflegen hatten. Evelyn war mir eine große Hilfe. Übel wurde ihr erst, als wir im Hotel waren, aber da gründlich. Michael schickte ich sofort wieder nach Hause, damit er die jammernden Verwandten hinauswerfen konnte.

Abends fühlte sich Evelyn wieder einigermaßen wohl, und deshalb bestand ich darauf, daß wir unten speisten. Sie machte sich große Sorgen um ihren Großvater und quälte sich mit dem Gedanken ab, daß er allein sterben müsse. Deshalb wurde sie manchmal fast menschenscheu, was ich jedoch nicht zuließ.

In ihrem staubrosa Abendkleid mit den breiten Spitzenrüschen an den Ärmeln und dem gerafften Unterkleid sah Evelyn bezaubernd aus. Ich schlüpfte in meine karmesinrote Seide, wenn ich mich darin auch nicht ganz wohl fühlte. Wir erregten einiges Aufsehen, und etliche Gen-tlemen folgten uns nach dem Dinner in die Halle, hauptsächlich zu dem Zweck, von Evelyn ein Lächeln zu erhaschen. Plötzlich sah ich sie tief erröten. Ich folgte ihrem Blick und bemerkte unter der Tür den jungen Emerson, der im Abendanzug großartig wirkte. Er hatte nur Augen für Evelyn und schritt so schnell durch die Halle, daß er um ein Haar über einen niederen Tisch gestürzt wäre.

Er hatte auch seinen Bruder mitgebracht, und da mußte ich wirklich ein Lachen unterdrücken. Sein Abendanzug sah aus, als habe er ihn vor langer Zeit in eine Reisetasche gestopft und ihn jetzt wieder ausgegraben, jedoch vergessen, ihn bügeln zu lassen. Er sah wie ein riesiger schwarzer Bär aus, tappte unbeholfen hinter seinem Bruder drein und warf den elegant gekleideten Gästen mißtrauische Blicke zu.

Walter begrüßte mich hastig und beschäftigte sich anschließend ausschließlich mit Evelyn. Und mir blieb der wütende Emerson, der mich voll Widerwillen musterte.

»Ich bin da, mich zu entschuldigen«, knurrte er.

»Angenommen«, antwortete ich. »Setzen Sie sich, Mr. Emerson. Ich bin überrascht, Sie hier zu sehen. Wie ich hörte, ist das gesellschaftliche Leben nicht nach Ihrem Geschmack.«

»Es war ja auch Walters Idee«, platzte er heraus, setzte sich und rückte so weit wie möglich von mir weg. »Ich hasse Dinge wie Hotels, Menschen, die ..., kurz, all dies hier.« Mit einer verächtlichen Handbewegung schloß er die großartige Halle und alle Gäste in seine Abneigung ein.

»Wo wären Sie dann lieber?« fragte ich.

»Irgendwo in Ägypten, am liebsten bei meinen Ausgrabungen.«

»In der heißen, staubigen Wüste, weit weg von jeder Zivilisation und allein mit unwissenden Arabern .«

»Unwissend mögen sie sein, aber auf die Heuchelei der Zivilisation kann ich verzichten. Ah, wie überheblich sind besonders die englischen Touristen! Bei den Ägyptern gibt es, wie überall, auch gute und schlechte, freundliche, fröhliche und treue Menschen, auch intelligente, wenn man sie unterweist ... Jahrhundertelang wurden sie von Despoten unterdrückt, sie sind mit Krankheit, Armut und Unwissenheit geschlagen, aber das ist nicht ihre eigene Schuld.«