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»Eigentlich nicht. Aber wenn ich auch für seine Taten nicht verantwortlich bin, so bin ich doch dafür verantwortlich, dass er an seinem Zielort eintrifft.«

»Oh. Nun, ich werde ihn wieder in seinen ursprünglichen Zustand bringen, bevor ich abreise. Andernfalls würde der Wahn ohnehin in einigen Stunden von selbst abklingen. In der Zwischenzeit soll er den anderen als Beispiel dienen … Ich bin jedenfalls sehr in Eile: Heute Abend soll ein großer Leichenzug in Rottwall eingetroffen sein, von Prinz Boleso, der angeblich ermordet worden ist. Habt Ihr ihn gesehen? Ich suche nach dem Befehlshaber.«

Wieder deutete Ingrey eine Verbeugung an. »Ihr habt ihn gefunden. Ingrey von Wolfengrund, Euch und Euren Göttern zu Diensten, Hochwürden.«

Sie musterte ihn für einen beunruhigend langen Augenblick. Dann stellte sie fest: »Allerdings, das seid Ihr. Nun. Diese junge Frau, Ijada dy Castos. Wisst Ihr, was aus ihr geworden ist?«

»Sie ist meiner Obhut unterstellt.«

»Ist sie das?« Ihr Blick wurde noch eindringlicher. »Wo hält sie sich auf?«

»Sie ist in Gemächern im Obergeschoss dieses Gasthauses untergebracht.«

Die Dienstbotin schnaufte erleichtert, und die Zauberin warf ihr einen triumphierenden Blick zu. »Aller guten Dinge sind drei«, murmelte sie. »Habe ich es nicht gesagt?«

»Diese Stadt hat nur drei Gasthäuser«, hielt die Begleiterin ihr vor.

»Hat die Kirche Euch geschickt«, erkundigte Ingrey sich hoffnungsfroh, »damit Ihr Lady Ijada unter Eure Verantwortung nehmt?« Und aus der meinen?

»Eigentlich nicht. Nein. Aber ich muss mit ihr sprechen.«

Ingrey zögerte. »Wie steht Ihr zu ihr?« Oder sie zu Euch?

»Wir sind alte Freunde, wenn sie sich überhaupt noch an mich erinnert. Ich bin die Gelehrte Hallana. Ich habe von ihrer Bedrängnis gehört, als die Nachricht mein Seminar in Neresblatt erreichte. Besser gesagt, wir haben von Bolesos Tod gehört und erfahren, wer dieser Tat verdächtigt wird, und ich habe daraus geschlossen, dass sie in Bedrängnis ist.« Die Art, wie sie ihn anstarrte, brachte Ingrey noch immer aus der Fassung. »Wir waren uns sicher, dass der Leichenzug hier durchkommen würde. Aber ich hatte schon befürchtet, wir müssten ihm hinterherjagen.«

Das Seminar der Mutter in Neresblatt lag etwa 25 Meilen südlich von Rottwall. Es war in der ganzen Gegend bekannt für die Ausbildung von Heilkundigen — auch die Schwester, die am Abend zuvor Ingreys Kopfwunde genäht hatte, hatte ihr Handwerk dort gelernt.

Selbst wenn Ingrey sämtliche umliegenden Grafschaften nach einem Tempelzauberer durchsucht hätte, wäre er womöglich nie auf den Gedanken gekommen, in Neresblatt nachzuschauen. Stattdessen hatte sie nun ihn gefunden …

Spürte sie seinen Wolf? Ein Tempelzauberer hatte die Seele des Tiers auf ihn übertragen, und später hatte ein Geistlicher ihm dabei geholfen, den Wolf zu beherrschen. War diese Frau vielleicht ausgesandt worden — vom wem oder was, wagte Ingrey nicht einmal zu raten —, um bei Ijadas Leopard dieselbe Hilfe zu leisten? So unbegreiflich die Anwesenheit dieser Zauberin hier war, schien sie kein Zufall zu sein. Dieser Gedanke ließ ihm einen Schauder den Rücken hinablaufen und die Nackenhaare zu Berge stehen. Ein Zufall wäre Ingrey lieber gewesen.

Er holte tief Luft. »Ich fürchte, Lady Ijada hat derzeit nur noch wenige Freunde. Sie wird sich über Eure Anwesenheit freuen. Darf ich Euch zu Ihr geleiten, Hochwürden?«

Die Frau bedachte ihn mit einem knappen, zustimmenden Nicken. »Ja, bitte, Lord Ingrey.«

Er ging vor den Frauen her in den Flur und wies auf die Treppen zur Linken. In der entgegengesetzten Richtung kroch der Gefolgsmann, der unter dem Schweinezauber stand, noch immer auf dem Boden umher, stieß den Kopf gegen die Tür und grunzte.

»Herr, was sollen wir mit ihm anfangen?«, fragte sein ratloser Kamerad.

Ingrey wandte sich um und schaute sich die Szene einen Augenblick an. »Pass auf, dass ihm nichts zustößt, bis diese Lektion endet.«

Der andere Soldat sah an Ingrey vorbei der Zauberin hinterher und schluckte. »Jawohl, Herr. Äh … sonst noch was?«

»Du kannst ihm ja ein paar Eicheln suchen.«

Die Zauberin stieg gerade die Treppen empor, die Hand auf dem Geländer, ihre Dienerin dicht hinter sich. Bei Ingreys Worten wandte sie sich kurz um, und ihre Mundwinkel zuckten. Dann ging sie weiter, und Ingrey eilte hinterher.

Zufrieden stellte er fest, dass die Tür zu Lady Ijadas Wohnstube fest verschlossen war. Er klopfte an.

»Wer ist da?«, meldete sich ihre Stimme von innen.

»Ingrey.«

Eine kurze Pause. »Seid Ihr wach?«

Er verzog das Gesicht. »Ja. Hier ist Besuch für Euch.«

Es folgte ein kurzes, verwundertes Schweigen; dann hörte man einen Schlüssel im Schloss klirren und das Kratzen eines Riegels. Die Zofe öffnete die Tür und blinzelte verwirrt, als die Zauberin und ihre Dienstbotin in das Gemach rauschten. Ingrey kam hinterher.

Lady Ijada stand auf der anderen Seite des Raumes und blickte einen Augenblick fassungslos drein.

»Ijada?«, sagte die Zauberin und klang überrascht. »Meine Güte, Kind! Wie groß du geworden bist.«

Ijadas Gesicht strahlte in solcher Freude auf, wie Ingrey es nie zuvor bei ihr gesehen hatte. »Hallana!«, rief sie und eilte zu der Geistlichen.

Mit Lauten des Entzückens fielen die beiden Frauen einander in die Arme. Schließlich trat Ijada zurück, die Hände auf die Schultern der kleineren Frau gelegt. »Was führt dich denn hierher?«

»Die Kunde von deinem Missgeschick erreichte auch das Seminar der Mutter in Neresblatt. Ich unterrichte inzwischen dort, weißt du. Und dann waren da noch die Träume.«

»Und was hat dich nach Neresblatt verschlagen? Du musst mir alles berichten, was seit … oh, Lord Ingrey.« Ijada wandte sich ihm zu. »Das ist die Freundin, von der ich Euch bereits erzählt hatte. Sie war als heilkundige Missionarin auf der Burg meines Vaters in den westlichen Marschen und zugleich eine Scholarin der Kirche des Bastards. Dort folgte sie ihren beiden Berufungen gleichzeitig: Sie studierte die Legendenlieder der Sumpfleute und behandelte deren Kranke, so weit es in ihrer Macht stand. Auf diese Weise wollte sie sie zur Burg und zu den quintarischen Predigten locken. Natürlich war sie damals noch jünger. Und ich … ich war gewiss das schlaksigste und aufdringlichste Kind, das man sich vorstellen kann. Hallana, ich weiß immer noch nicht, warum du es erduldet hast, dass ich den ganzen Tag hinter dir hergelaufen bin. Aber ich habe dich dafür angebetet.«

»Nun, für Anbetung bin ich nicht ganz unempfänglich, was schon dazu geführt hat, dass ich mir so manche Gedanken über die Götter gemacht habe. Außerdem hast du dich nützlich gemacht. Du hattest keine Angst vor den Sümpfen, dem Wald, den Tieren oder den Sumpfleuten. Es hat dir auch nichts ausgemacht, schmutzig zu werden oder dich ausschimpfen zu lassen.«

Ijada lachte. »Ich denke immer noch daran, wie du mit diesem schrecklich eingebildeten Geistlichen während der Mahlzeiten über theologische Fragen gestritten hast. Der Gelehrte Oswin wurde immer so wütend, dass er danach regelrecht auskeilte! Wäre ich älter gewesen und weniger mit mir selbst beschäftigt, hätte ich mir sicher Sorgen um seine Verdauung gemacht. Armer, hagerer Bursche.«

Die Zauberin grinste. »Das hat ihm gut getan. Oswin war der vollkommene Anhänger des Vaters: Ständig wollte er die genauen Regeln herausfinden und sich selbst auf die rechte Seite dieser Regeln stellen. Oder die Regeln auf seine linke Seite schieben. Dieser Vorwurf ärgerte ihn immer besonders.«

»Oh, aber nun sieh dich mal an — du musst dich erst einmal hinsetzen.« Lady Ijada und die Dienstmagd Hergi schlossen sich kurz zusammen und begaben sich auf die Suche nach dem besten Stuhl, polsterten ihn mit Kissen aus und drängten die Gelehrte Hallana, darauf Platz zu nehmen. Diese ließ sich dankbar niedersinken, atmete erleichtert auf und schob den Bauch auf ihrem Schoß zurecht. Die Dienerin rückte eilig einen Schemel unter ihre Füße.