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»Ich nehme an, unter diesen Bedingungen habt Ihr sehr schnell gelernt.«

Bei diesem trockenen Einwand blickte er auf und verteidigte sich: »Es hat offensichtlich geholfen. Jedenfalls war es besser, sich im Birkbach untertauchen zu lassen, bis mir fast die Lungen platzten, als noch länger Tag und Nacht diese Predigten anzuhören. Unser Geistlicher sorgte dafür, dass wir alle standhaft blieben, aber es war hart. Es war das Letzte, was er noch für meinen Vater tun konnte, den er seinem Empfinden nach im Stich gelassen hatte.«

Ingrey nahm einen Schluck Wein. »Nach einigen Monaten erklärte man mich für so weit erholt, dass ich aus dem Gewahrsam entlassen werden konnte. In der Zwischenzeit war Burg Birkenhain meinem Onkel zugesprochen worden. Mich schickte man auf eine Pilgerfahrt, in der Hoffnung, dass ich dabei einen Weg zu dauerhafter Heilung finden möge. Auch wenn diese Hoffnungen sich zerschlugen, so war ich doch froh, dort wegzukommen. Ich wurde erwachsen und ließ meine Hüter zurück, und meine Suche wurde zu einem ziellosen Umherstreifen. Als mir das Geld ausging, nahm ich jeden Auftrag an, der sich mir bot.« Alles war ihm lieber gewesen, als wieder nach Hause zurückkehren zu müssen. Und dann, eines Tages … war das nicht mehr so.

»Ich traf Lord Hetwar, als der gerade auf Staatsbesuch beim König von Darthaca weilte.« Seine verzweifelten Bemühungen, beim Siegelbewahrer vorgelassen zu werden, hielt er für nicht weiter erwähnenswert. »Er war neugierig, wie ein wealdischer Verwandter dazu kam, so fern der Heimat bei Fremden zu dienen, und ich erzählte ihm meine Geschichte. Er ließ sich von meinem Wolf nicht einschüchtern und wies mir einen Platz in seiner Wache zu, damit ich mir die Rückreise in mein Heimatland erarbeiten konnte. Unterwegs machte ich mich bei einigen Zwischenfällen nützlich, was mir eine dauerhafte Anstellung verschaffte. Anschließend stieg ich in seinem Haushalt weiter auf.« Mit einem gewissen Stolz fügte er noch hinzu: »Dank meiner Leistung.«

Er wandte sich wieder dem würzigen Fleisch zu und tupfte den Rest von der Ingwersoße mit dem guten Brot des Gasthauses auf. Ijada hatte kurz zuvor ihre Mahlzeit beendet und saß nun ernst und nachdenklich da. Mit dem Finger fuhr sie über den Rand ihres geleerten Weinbechers. Als sie wieder aufsah und ihre Blicke sich kreuzten, brachte sie ein schwaches Lächeln zustande. Hallana wehrte die Versuche der Dienstmagd ab, ihr noch ein zweites Apfeltörtchen anzureichen, und Hergi rollte daraufhin die fleckige Serviette zusammen und verstaute sie.

Die Zauberin musterte Ingrey. »Geht es Euch jetzt besser?«

»Ja«, gab er widerstrebend zu.

»Habt Ihr eine Ahnung, wer Euch dieses Zaumzeug hätte anlegen können?«

»Nein. Es fällt mir schwer, darüber nachzudenken. Es bereitet mir fast noch mehr Sorge, dass ich zwischen den Anfällen überhaupt nichts davon bemerke. Allmählich misstraue ich jeder Regung meines Verstandes. Es ist so, als würde ich ständig versuchen, die Rückseite meiner Augäpfel zu beobachten.« Er zögerte und nahm sich zusammen. »Könnt Ihr mich davon befreien, Hochwürden?«

Sie stieß unsicher die Luft aus, während der Diener hinter ihr eindringliche, verneinende Gesten in Ingreys Richtung vollführte und Hergi einen protestierenden Quietschlaut von sich gab.

»Ich wage es nicht, irgendetwas Komplizierteres anzufangen«, erklärte Hallana. »Wenn ich nicht schwanger wäre, könnte ich versuchen … nun, es spielt keine Rolle. Ja, ja, ich sehe dich schon, Bernan. Du brauchst nicht gleich zu platzen«, wandte sie sich an den aufgeregten Diener. »Wenn ich nicht ein wenig Chaos an Lord Ingrey weiterleite, müsste ich ohnehin gleich anfangen, ein paar Mäuse zu töten. Und ich mag Mäuse.«

Ingrey rieb sich das müde Antlitz. »Ich bin gerne bereit, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Aber bitte, fesselt mich vorher!«

Sie runzelte die Stirn. »Haltet Ihr das für notwendig?«

»Für umsichtig.«

Zumindest die Dienstboten der Zauberin schienen jeder Form der Umsicht sehr zugeneigt zu sein. Während Ingrey sein Schwert und sein Gürtelmesser an der Wand neben der Tür ablegte, öffnete Bernan seine anscheinend gut ausgestattete Werkzeugtruhe und wühlte darin. Schließlich brachte er einige Armlängen einer robusten Kette zum Vorschein. In Absprache mit Ingrey wickelte er sie fest um dessen stiefelgeschützte Knöchel und sicherte sie dann mit einer eisernen Klammer und einem Zughaken. Ingrey überkreuzte die Handgelenke und ließ diese auf ähnliche Weise binden; dann überprüfte er beide Fesseln, indem er sich wand und die Muskeln anspannte. Zuletzt setzte er sich auf den Boden, mit dem Rücken gegen den Fenstersitz gelehnt, und ließ Bernan die Hand- und die Fußketten fest zusammenschließen. Er kam sich wie ein Trottel vor, als er schließlich mit fast bis zu den Ohren hochgezogenen Knien dasaß. Sein Publikum blickte ihn verständnislos an, doch niemand machte Einwände.

Die Gelehrte Hallana stemmte sich von ihrem Sitz hoch, ging auf ihn zu, schob die Ärmel hoch und verschränkte die Finger. Dann streckte sie mit einem leisen, aber vernehmlichen Knacken der Gelenke die Hände aus. »Nun gut«, stellte sie munter fest, in einem Tonfall, wie man ihn bei Heilkundigen häufig hörte und der durch seine Munterkeit nur noch bedrohlicher klang. »Sagt mir Bescheid, wenn es wehtut …« Sie drückte eine warme Handfläche gegen Ingreys Stirn.

In den ersten Augenblicken war die Hitze dieser Berührung angenehm, und Ingrey lehnte sich bereitwillig gegen die Hand. Dann aber wurde die Wärme unangenehm. Ein störender Dunst trübte Ingreys Sicht. Plötzlich brauste die Hitze wie ein Schmiedeofen in seinem Geist, und er sah alles doppelt. Das zweite Abbild löste sich von dem ersten, verzerrte sich, veränderte sich.

Er sah den Raum immer noch mit seinen normalen Sinnen. Aber ebenso deutlich nahm er plötzlich einen anderen Ort wahr. Und dort …

Und dort stand er nackt da. Über seinem Herzen kräuselte sich die blasse Haut, schwoll an, platzte auf. Eine Ranke spross heraus, nein, eine Ader, und sie wand und drehte sich um ihn herum, kletterte an seinem Leib empor. Eine andere, heiße Schwellung platzte an seiner Stirn auf, und er sah eine weitere Ranken-Ader, die sich von dort hinabschlängelte — verschwommen durch die Nähe zu seinen Augen. Eine weitere ringelte sich aus dem Nabel, und noch eine aus den Genitalien. Ihre tastenden Spitzen murmelten, und Blut tropfte von ihnen herab. Auch seine Zunge veränderte sich. Sie drang aus dem Mund hervor und wurde zu einem pulsierenden Strang.

In dem Gemach in der materiellen Welt wand sich sein Leib und zerrte an den Fesseln. Ingrey Augen rollten, doch immer noch sah er die Gelehrte Hallana, die sich über ihn beugte — und zurückfuhr, als er ein Heulen ausstieß. Doch zwischen ihren ausgestreckten Händen züngelte weiterhin violettes Feuer und wirbelte in seinen nun so schrecklich aussehenden Mund hinein.

Der lange Tentakel, zu dem seine Zunge geworden war, zuckte und wand sich in furchtbaren Qualen. Sein unverständliches Murmeln wurde schneller und verwandelte sich in ein Zischen, und doch schien er die Hitze zu verschlingen. Die vier anderen Rankengebilde spiegelten seine Erregung. Sie brummten und schwollen an, bespritzten Ingrey mit Blut. Der metallische Geruch und das glitschige Gefühl auf der Haut trieben ihn schier zur Raserei.

In der wirklichen Welt bäumte sein Körper sich gegen die Ketten auf und krümmte sich mit einer Gewalt, die beinahe seine Knochen bersten ließ. Sein Haar kräuselte sich, sein Glied schwoll an und wurde hart. Er kippte zur Seite, zuckte, versuchte durch Rollen und Rucken über den Boden zu der Wand zu gelangen, an der sein Schwert in der Scheide lehnte.

Ijada war auf die Knie gefallen, Mund und Augen weit aufgerissen. Und in dieser anderen Wirklichkeit erschien eine Leopardin …

Ihr Fell war ein weiches Wogen über spielenden Muskeln, ihre Pranken wie geschnitztes Elfenbein; ein goldenes Glühen lag in den strahlenden, bernsteinfarbenen Augen. Sie stürzte sich auf die zuckenden Aderstränge wie ein Kätzchen auf einen Haufen Wolle. Erst tastete sie mit ihren Pfoten, dann krallte sie danach, und schließlich zog sie die zischenden Gebilde auf sich zu und riss mit ihren scharfen Zähnen daran. Die Ranken schlugen noch immer wie Peitschenschnüre aus Säure, und wo sie trafen, hinterließen sie schwarz verbrannte Streifen auf dem glänzenden, gefleckten Fell. Die Leopardin knurrte — ein Grollen, das die Luft erzittern und Ingrey bis ins Innerste erbeben ließ. Und von irgendwo tief in ihm erhob sich ein Knurren zur Antwort.