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Ingrey fragte sich, ob sie sich für ihn auch ein Lendentuch vorgestellt hatte, aber er wagte nicht, danach zu fragen. Die wilde Erregung, die ihn während der Raserei befallen hatte, ließ jetzt erst allmählich nach, gedämpft von seiner Verwirrung und dem Schmerz.

»Nachdem wir diese sengenden, klammernden Dinger allesamt aus Euch herausgerissen hatten, stellte sich heraus, dass es gar nicht mehrere Geschöpfe waren, sondern nur ein einziges. Einen Augenblick lang sah es aus wie ein Knäuel sich paarender Schlangen, die man zur Frühlingszeit aus irgendeinem Schlupfwinkel hervorgeharkt hat. Dann aber wurde es reglos und verschwand, und ich war wieder hier. In diesem Körper. Wenn das in irgendeiner Form dem entsprach, was die Krieger des Alten Weald erleben konnten, dann glaube ich zu verstehen, warum sie es so sehr begehrten. Abgesehen natürlich von diesen blutigen Ranken. Und doch … auch da haben wir gesiegt

Ihre weit aufgerissenen Augen brachten nicht nur Furcht zum Ausdruck, stellte Ingrey fest. Es war auch Begeisterung darin zu lesen. Ijada wandte sich an Hallana und fügte hinzu: »Hast du meinen Leoparden gesehen? Oder die blutigen Ranken? Oder den Wolfskopf?«

»Nein.« Enttäuscht stieß Hallana die Luft aus. »Eure Geister waren aufgewühlt, aber ich hätte kaum mein inneres Auge benötigt, um das festzustellen. Glaubst du, du könntest an jenen anderen Ort zurückkehren? Nach Belieben?«

Ingrey wollte schon den Kopf schütteln, aber sein Gehirn fühlte sich an, als würde es bei jeder Bewegung lose gegen den Schädel schlagen. Also murmelte er nur: »Nein.«

»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Ijada. »Ich bin nicht selbst dorthin gegangen, der Leopard hat mich hingebracht. Und es war auch nicht wirklich ein dort. Wir waren immer noch hier.«

Hallanas Gesichtsausdruck wurde noch aufmerksamer. »Habt ihr an diesem Ort die Gegenwart eines Gottes gespürt?«

»Nein«, erwiderte Ijada. »Da war keiner. Es gab mal eine Zeit, da hätte ich das nicht mit Bestimmtheit sagen können. Aber nach meinem Traum als Leopard … nein. Ich hätte es gewusst, wenn Er zurückgekehrt ist.« Ungeachtet ihrer Erschöpfung umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Es galt nicht ihm, dessen war Ingrey sich bewusst. Und doch weckte es in ihm das Bedürfnis, zu ihr hinzukriechen.

Hallana streckte die Schultern, was angesichts ihres gegenwärtigen Leibesumfangs ein beunruhigender Anblick war, und verzog das Gesicht. »Bernan, hilf Lord Ingrey auf und löse die Ketten.«

»Seid Ihr sicher, Herrin?«, fragte der Diener zweifelnd. Unruhig blickte er zu Ingreys Schwert, das nun in einem Winkel des Raumes lag. Offenbar hatte er es aus Ingreys Reichweite getreten, während er sich mit der Brechstange schlagbereit hingestellt hatte.

»Lord Ingrey? Was sagt Ihr dazu? Ihr habt die Lage schon einmal richtig eingeschätzt.«

»Ich glaube nicht … dass ich mich überhaupt bewegen kann.« Der Eichenholzboden war kühl und hart, doch bei dem Schwindelgefühl in Ingreys Kopf wirkte er immer noch sehr viel verlockender als eine aufrechte Lage.

Ingrey wurde trotzdem in eine aufrechte Position gezwungen, auf die Füße gezerrt und schließlich von den beiden Dienstboten zu dem Stuhl geschleppt, in dem zuvor die Geistliche gesessen hatte. Bernan schlug mit dem Hammer die Klammern los, und Hergi holte eine Schale mit sauberem Wasser, Seife, Handtücher und die Ledertasche herbei, in der sich medizinische Instrumente und Heilmittel befanden. Unter der Aufsicht der Geistlichen kümmerte sie sich fachkundig um Ingreys Verletzungen, die alten wie die neuen, und mit einiger Verspätung kam Ingrey in den Sinn, dass die Zauberin in ihrem derzeitigen Zustand natürlich mit ihrer eigenen Hebamme unterwegs sein würde. Er fragte sich, ob Hergi wohl mit dem Schmied verheiratet war — wenn das tatsächlich Bernans Beruf sein sollte.

Ijada stemmte sich auf ihren Stuhl und beobachtete fasziniert Hergis Näharbeiten, biss sich bei jedem Stich der Nadel auf die Lippen. Der aufgerissene Hautfetzen auf Ingreys Handrücken wurde wieder ordentlich zurechtgeschoben und mit einer weißen Leinenbinde umwickelt; die kleineren Schürfwunden am anderen Handgelenk wurde gesäubert und verbunden. Seine Hand tat nicht annähernd so weh wie sein überbeanspruchter Rücken oder wie die Knöchel, in denen ein pochender Schmerz wühlte. Aber vielleicht lenkte ihn ja der eine Schmerz von dem anderen ab. Ingrey fragte sich, ob er wohl lieber die Stiefel ablegen sollte, solange er noch konnte, oder ob er sie sich andernfalls später vom Fuß schneiden musste. Es waren gute Stiefel; er wollte sie nur ungern verlieren. Die Kette hatte tiefe Riefen im Leder hinterlassen.

»An diesem Ort, an dem Ihr Euch plötzlich wiederfandet …«, setzte Hallana an.

»Es war kein wirklicher Ort«, murmelte Ingrey.

»Hm, ja, nun. Aber während Ihr … äh, in diesem Zustand wart, wie habt Ihr mich da wahrgenommen, wenn überhaupt?«

»Ein farbiges Feuer schlug aus Euren Händen und in meinen Mund. Die Ranke, die dort wucherte, wurde wild davon, und das übertrug sich auf die anderen. Auf ihre anderen Teile, besser gesagt. Es war, als hätte Euer Feuer sie aus ihrem Versteck getrieben.« Er bewegte die Zunge im Mund, um sich zu vergewissern, dass die abscheuliche Verformung tatsächlich verschwunden war. Zu seiner Beunruhigung stellte er fest, dass sein ganzes Gesicht von schaumigem Speichel verschmiert war. Er fing an, mit dem Verband am linken Handgelenk an dem klebrigen Schaum herumzuwischen, doch Hergi hielt seine Hand fest und beschützte so ihre Arbeit. Missbilligend schüttelte sie den Kopf und wrang stattdessen ein nasses Handtuch aus. Ingrey wischte und versuchte, nicht an seinen Vater zu denken.

»Die Zunge ist Zeichen und Sinnbild des Bastards an unserem Leib«, meinte Hallana grübelnd.

Wie die Stirn für die Tochter, der Nabel für die Mutter, die Genitalien für den Vater und das Herz für den Bruder. »Die Adern, Tentakel oder was auch immer sie waren, die zu dem Bann gehörten, schienen aus all meinen heiligen Stellen zu sprießen.«

»Das sollte irgendeine Bedeutung haben. Ich frage mich nur, welche. Ob es wohl irgendwelche Schriften aus dem Alten Weald gibt, die dieses Rätsel erhellen können? Wenn ich zurück in Neresblatt bin, werde ich mich in der Bibliothek umschauen. Aber ich fürchte, wir haben dort zumeist medizinische Schriften. Die darthacischen Quintarier, die uns erobert haben, waren mehr daran interessiert, die alten Lehren auszulöschen, als sie aufzuzeichnen. Man könnte fast meinen, sie wollten die alte Waldmagie für jedermann unzugänglich machen, sogar für die Kirche selbst. Und ich bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich ein Fehler gewesen ist.«

»Als ich in dem Leoparden war — als ich der Leopard war«, sagte Ijada, »habe ich all diese geisterhaften Bilder ebenfalls gesehen. Aber dann wurde ich von all dem wieder ausgeschlossen.« Ein Hauch von Bedauern kam in ihrer Stimme zum Ausdruck.

»Ich hingegen«, sagte die Zauberin, »habe gar nichts gesehen. Abgesehen natürlich davon, wie Lord Ingrey sich von Eisenketten freigekämpft hat, die ein Pferd hätten halten sollen. Wenn das ein typisches Beispiel für die Kraft ist, die den Kriegern des Alten Weald von ihren Tiergeistern verliehen wurde, dann ist es kein Wunder, dass diese so hoch geschätzt wurden.«