Выбрать главу

»Wie eigenartig?«

»Ungewöhnlich lebendig. Als ich am Morgen aufwachte, hatte ich ihn noch lebhaft vor Augen, während meine anderen Träume verblassten.«

»Erzähl weiter.« Hallanas Gesicht wirkte wie aus Holz geschnitzt, so angespannt hörte sie zu.

»Er war kurz, nur das Aufblitzen einer Vision. Mir war, als sähe ich eine Art … ich weiß nicht. Einen Spuk, in Gestalt eines Hengstes, so schwarz wie Ruß und ohne Glanz oder Schimmer. Er galoppierte, aber sehr langsam. Seine Nüstern waren glühend rot und qualmten; Flammen leckten ihm von Mähne und Schweif. Die Hufe schlugen Funken und hinterließen feurige Abdrücke, die alles am Weg zu Asche verbrannten. Wolken aus Asche und Schatten. Und der Reiter war ebenso dunkel wie das Tier.«

»Hm. War der Reiter ein Mann oder eine Frau?«

Ijada legte die Stirn in Falten. »Das scheint mir nicht die richtige Frage zu sein. Die Beine des Reiters krümmten sich um den Pferdeleib und wurden zu dessen Rippen, als wären sie beide miteinander verwachsen. In der Linken hielt er eine Leine. Am Ende der Leine lief ein großer Wolf.«

Hallanas Augenbrauen zuckten hoch, und sie warf Ingrey einen kurzen Blick zu. »Hast du diesen Wolf erkannt?«

»Ich bin mir nicht sicher. Sein Fell war dunkel, mit silbergrauen Spitzen, genau wie bei …« Ihre Stimme erstarb. Sie nahm sich zusammen und fuhr lauter fort: »Zumindest in meinem Traum kam er mir bekannt vor.« Ihre haselnussbraunen Augen bohrten sich in Ingreys, und zu seinem Unbehagen kehrte auch ihr nüchterner Gesichtsausdruck zurück. »Aber diesmal war es ein vollständiger Wolf. Er trug ein Stachelhalsband, mit den Spitzen nach innen. Blut spritzte von seinen Pfoten, während er lief, und hinterließ bei jedem Schritt schwarze Schlammflecken in der Asche. Und dann nahmen Asche und Schatten mir den Atem, und ich sah gar nichts mehr.«

Die Gelehrte Hallana schürzte die Lippen. »Meine Güte, Kind! Lebhaft, in der Tat. Darüber muss ich erst einmal nachdenken.«

»Glaubst du, dieser Traum könnte eine Bedeutung haben? Oder ist es nur eine Nachwirkung von …« Sie wies in den Raum und meinte damit offenbar die bizarren Geschehnisse, die sich am gestrigen Abend hier abgespielt hatten. Dann warf sie Ingrey unter halb geschlossenen Augenlidern einen Seitenblick zu.

»Bedeutungsvolle Träume«, erklärte Hallana, und ihre Stimme nahm einen leicht lehrerhaften Tonfall ein, »können eine Prophezeiung sein, eine Warnung oder eine Anweisung. Hast du vielleicht irgendein Empfinden, was davon dein Traum gewesen sein mag?«

»Nein. Er war sehr kurz, wie ich schon sagte. Wenn auch intensiv.«

»Was hast du dabei empfunden? Nicht nach dem Aufwachen, sondern während des Traumes? Hattest du Angst?«

»Nicht direkt. Jedenfalls nicht um mich selbst. Ich war eher wütend … fühlte mich aufgehalten, so als wolle ich sie einholen, könnte es aber nicht.«

Einen Moment schwiegen sie alle. Dann fragte Ijada unsicher: »Hochwürden? Was soll ich tun?«

Hallana wirkte abwesend, schien sich jetzt aber ein unechtes Lächeln abringen zu wollen. »Nun … Gebete schaden nie.«

»Das hört sich nicht nach einer Antwort an.«

»In deinem Fall ist es das vielleicht. Und das ist keine Beschwichtigung.«

Ijada rieb sich die Stirn, als hätte sie dort Schmerzen. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich noch mehr von diesen Träumen will.«

Ingrey hätte auch am liebsten gefleht, Hochwürden, was soll ich tun? Aber was hätte sie ihm darauf schon antworten können? Hier abzuwarten wie ein erstarrtes Kaninchen? Das würde doch nur dazu führen, dass Ostheim zu ihm kam. Weiterreisen, wie es ihm seine Pflicht gebot? Gewiss konnte eine Geistliche nichts anderes empfehlen. Fliehen oder Ijadas Flucht in die Wege leiten? Würde sie sich überhaupt darauf einlassen?

Er hatte ihr schon einmal die Flucht angeboten, in jenem dichten Wald am Flussufer. Vernünftigerweise hatte sie das abgelehnt. Aber was, wenn er das Unternehmen besser vorbereitete? Eine nächtliche Flucht, ohne dass Ingreys Herren einen Hinweis darauf erhielten, wie oder von wem sie ein Pferd bekommen hatte, Geld und Ausrüstung … und eine Eskorte? Darüber müssen wir noch mal reden. Oder konnte er sie der Zauberin übergeben, ihrer Freundin — um sie insgeheim nach Neresblatt schaffen zu lassen? Wenn eine solche Zuflucht allerdings möglich wäre, hätte Hallana sie gewiss schon selbst vorgeschlagen. Er unterbrach seinen schon angesetzten, fragenden Laut wieder und übertönte ihn mit einem Husten. Er wollte sich nicht mit einer Empfehlung zum Gebet abspeisen lassen.

Hergi half ihrer Herrin wieder auf die Füße.

»Eine sichere Reise, Hochwürden«, sagte Ijada. Sie bedachte die Schwangere mit einem schiefen Lächeln. »Mir gefällt der Gedanke nicht, dass du dich meinetwegen womöglich in Gefahr gebracht hast.«

»Nicht deinetwegen, Liebes«, entgegnete Hallana. »Zumindest nicht nur deinetwegen. Das alles ist verworrener, als ich erwartet hätte. Ich sehne mich schon nach einem Rat meines lieben Oswins. Er ist so ein gewitzter Denker.«

»Oswin?«, fragte Ijada.

»Mein Ehemann.«

»Augenblick mal«, sagte Ijada und riss die Augen auf. »Doch wohl nicht … dieser Oswin? Unser Oswin, der Gelehrte Oswin, aus der Burg in den Feuchtmarschen? Diese pingelige Bohnenstange? Nur Arme und Beine, mit einem Hals wie ein Reiher, der gerade einen Frosch verschluckt?«

»Eben der.« Oswins Gemahlin wirkte nicht verärgert über diese wenig schmeichelhafte Beschreibung ihres Angetrauten. Der angespannte Zug um ihren Mund löste sich. »Er ist mit dem Alter besser geworden, das kann ich dir versichern. Damals war er noch sehr unreif. Und ich, nun, ich habe mich möglicherweise auch ein wenig gebessert.«

»Von allen Wundern kann ich das noch am wenigsten glauben! Ihr beide habt euch doch die ganze Zeit nur gestritten!«

»Nur über theologische Fragen … meistens jedenfalls«, erwiderte Hallana milde. »Weil uns das beiden am Herzen lag.« In einer unausgesprochenen Erinnerung zuckten ihre Mundwinkel nach oben. »Und die eine gemeinsame Leidenschaft führte zu weiteren. Er folgte mir zurück ins Weald, als seine Dienstzeit zu Ende ging — vermutlich nur, weil er unbedingt das letzte Wort haben wollte. Und er versucht es immer noch. Jetzt arbeitet er als Lehrer und führt weiterhin gerne Streitgespräche — das ist seine größte Leidenschaft. Es wäre grausam von mir, würde ich sie ihm verweigern.«

»Der gelehrte Herr kann schon mit Worten umgehen«, bestätigte Hergi. »Da freu ich mich nicht eben darauf, wenn ich Euch nicht sicher und zeitig zurückbringe, wie ich es ihm versprochen habe.«

»Ja, ja, meine liebe Hergi.« Lächelnd wandte die Zauberin sich um und verließ das Gemach, fürsorglich geleitet von ihrer Dienstbotin.

Ingrey schaute zu Lady Ijada, die ihrer Freundin hinterhersah. Bedauern lag auf ihren Zügen. Sie wurde auf seinen Blick aufmerksam und rang sich ein schwaches Lächeln ab. Er fühlte sich seltsam berührt und erwiderte das Lächeln.

»Oh«, sagte sie und legte sich die Hand auf den Mund.

»Was, oh?«, fragte er verwirrt.

»Ihr könnt ja lächeln!« Aus ihrem Tonfall ließ sich entnehmen, dass das für sie einem Wunder gleichkam, als hätte er plötzlich Flügel ausgebreitet und wäre zur Decke emporgeflattert. Er sah nach oben und stellte sich eben diesen Anblick vor. Der geflügelte Wolf. Was? Er schüttelte den Kopf, um diese unpassenden Gedanken zu vertreiben, aber davon wurde ihm nur schwindlig. Vielleicht war es besser, dass Hergi die blaue Flasche wieder mitgenommen hatte.

Ijada trat an das Fenster zur Straße, und Ingrey kam zu ihr. Gemeinsam beobachteten sie, wie Hergi ihre Herrin wieder in den Wagen packte, unter Bernans besorgten Blicken. Das Rad war inzwischen repariert. Der Knecht oder Schmied oder was auch immer er war, nahm die Zügel auf, schnalzte in Richtung der stämmigen Pferde, und der Wagen rumpelte die Straße entlang und außer Sicht. Hinter ihnen in der Stube konnte man die Zofe hantieren hören. Sie packte eine Tasche aus, die offenbar schon für die Reise vorbereitet war, doch aufgrund Ingreys Anweisung noch nicht verladen — ebenso wie Bolesos Sarg.