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Ingrey unterdrückte einen Fluch und ging hinein.

Während des darauf folgenden Reisetages hatte Ingrey kaum einen Blick für die herbstliche Landschaft. Umso intensiver war er sich Ijadas Gegenwart bewusst, die neben dem Wagen mit ihrer neuen Zofe ritt. Diese war eine verschüchterte junge Novizin aus der Kirche der Tochter in Rottwall, die vom heimischen Geistlichen für diese ungewohnte Aufgabe von ihren Pflichten fortbefohlen worden war.

Einmal, als sie aufgebrochen waren, hatte Ijada ihm zugelächelt. Ingrey hätte das Lächeln beinahe erwidert, bis ihm Gescas spöttische Bemerkung wieder in den Sinn kam und sein Gesicht zu einer verzerrten Grimasse erstarren ließ. Bei diesem Anblick riss Ijada die Augen auf und rückte von ihm ab. Er ritt voran, bevor die Muskeln in seinem Gesicht zu zucken begannen.

Ingrey fragte sich, was für ein Wahnsinn ihn gestern Abend im Tempel wohl befallen hatte. Auch wenn es um ihr Leben ging: Natürlich musste Ijada sich weigern, mit einem Mann zu fliehen, der versucht hatte, sie umzubringen … wie oft? Dreimal? Fünfmal? Was für eine Wahl sollte das sein? Denk nach, Mann. Konnte er ihr eine andere Begleitung anbieten? Wo konnte er jemanden finden, dem er vertrauen konnte?

Kurz stellte er sich vor, wie er sie entführte und davonritt, während sie quer über seinen Sattelbaum lag. Doch das führte zu Gedanken, die sogar noch weniger hilfreich waren. Er wusste, welche Schnelligkeit und Wildheit ihm sein Wolf verleihen konnte. Was konnte ihr Leopard für sie tun, auch wenn sie eine Frau war? Sie hatte bereits Boleso erschlagen, der ein kräftigerer Mann gewesen war als Ingrey. Obwohl sie den Prinzen zugegebenermaßen überrascht hatte. Wie Ingrey es einschätzte, hatte sie sich selbst überrascht. Wenn sie beschloss, sich ihm zu widersetzen, wenn er dann … und sie dann … diese eigenartig anregende Tagträumerei wurde gestört von der Erinnerung an Gescas andere Stichelei — für Euch ist das noch ein besonderer Reiz? —, und er blickte noch missmutiger drein.

Und ich werde mich auch ganz gewiss nicht in sie verlieben, verdammt sollst du sein, Gesca.

Und sie auch nicht begehren.

Nicht so sehr.

Nicht so sehr jedenfalls, dass er es nicht vollkommen unter Kontrolle halten konnte.

Den Rest des Tages gab er sich größte Mühe, nicht in ihre Richtung zu lächeln, sie nicht einmal anzusehen, weder in ihre Nähe zu kommen, noch mit ihr zu reden oder sonst auf irgendeine Weise zu zeigen, dass er ihre Gegenwart zur Kenntnis nahm. Dieses Verhalten schien ansteckend zu sein: Einmal lenkte Gesca sein Pferd neben ihn, um eine Bemerkung fallen zu lassen, doch nach einem Blick auf Ingreys Gesicht schluckte er herunter, was er sagen wollte, und wich wohlweislich an das andere Ende der Kolonne zurück. Auch sonst wagte sich niemand in seine Nähe, und Bolesos Gefolgsleute schreckten vor seinem Blick zurück. Wenn er gelegentlich einen Befehl erteilte, gehorchten die Männer ihm eiligst.

Sie waren spät aufgebrochen und kamen langsam voran. Selten trieben sie ihre Pferde zu mehr als Schritttempo. Infolgedessen erreichten sie am Nachmittag eine Stadt, die kleiner war als bei allen vorherigen Aufenthalten, wenn auch viel näher an Ostheim gelegen, als Ingrey lieb war.

Mitleidlos ließ Ingrey Bolesos Männer zusammen mit ihrem verstorbenen Dienstherren im bäuerlichen Tempel von Mittelstadt schlafen und beschlagnahmte das einzige Gasthaus für sich selbst, seine Gefangene und ihre Anstandsdame sowie für Hetwars Leute. Im Dämmerlicht ging er die Stadtgrenzen ab, was rasch getan war. Heute Abend würde es keinen Ausflug zu diesem überfüllten Tempel geben, um eine geflüsterte Unterhaltung zu führen. Morgen Abend musste er eine größere Stadt für ihre Rast auswählen, beschloss Ingrey. Und am Abend darauf … es gab nicht mehr genug Abende darauf.

Gesca bereitete sich lieber ein Lager in der Schankstube, als mit Ingrey ein Gemach zu teilen. So brachte Ingrey seine immer noch nicht verheilten Schrammen nicht nur frühzeitig, sondern auch allein zu Bett.

Da Ingrey es auf ihrer Reise nicht allzu eilig hatte, drängte er seine Leute am nächsten Morgen auch nicht zu einem frühen Aufbruch. Er nippte immer noch lustlos an einem bitteren Kräutertee und kaute in der Gaststube des kleinen Wirtshauses an seinem Brot herum, als Lady Ijada mit ihrer neuen Zofe die Treppe hinunterkam. Er schaffte es, ihr Nicken ohne unpassende Verrenkung seiner Gesichtszüge zu erwidern.

»War Euer Gemach behaglich?«, erkundigte er sich in unterkühlter Höflichkeit. Er war sich nur zu deutlich der beiden Wachsoldaten bewusst, die in Hörweite ihr Mahl an dem aufgebockten Tisch auf der anderen Seite des Gemachs beendeten.

»Es reichte aus.« Sie runzelte die Stirn und bedachte ihn mit einem prüfenden Blick. Aber das war besser, als dieses gewagte Lächeln.

Er wollte sie schon nach ihren Träumen fragen, zögerte aber, weil dieses Thema womöglich mehr zutage fördern mochte, als einer belanglosen Plauderei zuträglich war. Vielleicht konnte er es wagen, später am Tag ein Stück an ihrer Seite zu reiten. Wenn man mit entsprechendem Beispiel voranging, schien sie durchaus fähig, eine Unterhaltung in verdeckten Andeutungen zu führen, die mehr vermittelte, als unfreundliche Lauscher mitbekamen.

Hufschlag und das Klirren von Rüstungen drangen von draußen herein, und beide drehten sich danach um. »He da drin!«, rief eine raue Stimme, und der Wirt eilte durch den Raum, um die neuen Gäste willkommen zu heißen. Unterwegs hielt er kurz inne und schickte einen Diener zu den Stalljungen, damit diese sich der Pferde der Herren annahmen.

Ijadas Nasenflügel bebten. Sie schlenderte hinter dem Wirt her auf die Tür zu. Ingrey leerte seinen Becher und folgte ihr. Gewohnheitsmäßig prüfte er mit der Linken den Schwertgriff. Als Ijada auf die hölzerne Veranda trat, blickte er über ihre Schulter.

Vier Bewaffnete stiegen gerade von ihren Pferden. Einer war offenbar ein Diener, zwei weitere trugen vertraut wirkende Farben, und der vierte … Ingrey hielt überrascht den Atem an. Und dann stieß er ihn erschrocken wieder aus.

Kurgraf Wenzel von Rossfluten hielt im Sattel inne, die Zügel in den behandschuhten Händen gerafft. Der junge Graf war schlank und trug ein goldgesäumtes Untergewand, das noch unter dem weinrot gefärbten Lederwams hervorblitzte. Der breite Kragen seines Übergewandes war mit Marderpelz eingefasst und verbarg seinen krummen Wuchs. Dunkelblondes Haar, von einigen vorzeitig ergrauten Strähnen durchsetzt, hing ihm in unregelmäßig geringelten Strähnen bis zu den Schultern hinab und wirkte vom Ritt zerzaust. Sein Gesicht war länglich, seine Stirn vorspringend, aber die klaren blauen Augen, die nun auf Ingrey gerichtet waren, verhinderten, dass all diese eigentümlichen Merkmale den Grafen vollends hässlich wirken ließen. Sein Auftauchen hier an diesem hellen Morgen war unerwartet genug. Aber erschrocken war Ingrey aus einem anderen Grund …

Teilweise schien es ein Geruch zu sein, auch wenn er nicht mit der Luft herankam, teilweise ein Schatten, eine Ausstrahlung, die Wenzel irgendwie präsenter wirken ließ als jeden anderen Mann. Der Geruch war ein wenig beißend, wie Urin, und ein wenig warm, wie frisches Heu, und unglaublich kräftig. Und er war in Ingreys Geist, ohne zuvor den Umweg über die Nase genommen zu haben.

Er trägt eine Tierseele in sich.

Ebenfalls.

Und ich habe sie nie zuvor wahrgenommen.

Ingreys Kopf fuhr zu Ijada herum. Ihr Gesicht war ebenfalls starr vor Staunen.

Sie fühlt es auch — riecht es? Sieht es? Und für sie ist es ebenso neu wie für mich. Wie neu ist es?

Das Erkennen betraf anscheinend alle drei gleichermaßen, denn Wenzel richtete sich mit schräg gelegtem Kopf auf und riss die Augen auf, als sein Blick zunächst Ingrey musterte und sich dann Ijada zuwandte. Die Kinnlade fiel ihm ein Stück herab. Dann straffte er sich wieder zu einem schiefen Grinsen.