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Zuerst dachte ich, es läge an seinen kleinen, wisst Ihr, Missbildungen, dem Rückgrat und dem seltsam geformten Gesicht. Doch er scheint sich wegen seines Körpers keinerlei Gedanken zu machen. Auf keinen Fall wird er davon behindert.« Sie schaute mit verspäteter Vorsicht zu Ingrey hinüber. »Kennt Ihr ihn gut?«

»Nicht, seit wir erwachsen sind«, erwiderte Ingrey. »Ich bin eng mit ihm verwandt, über seine verstorbene Mutter. Als wir beide noch Kinder waren, bin ich ihm einige Male begegnet.« Ingrey erinnerte sich an den jungen Lord Wenzel von Rossfluten: ein schmächtiger, ungeschickter Junge mit ewig feuchtem Mund, der nicht allzu klug wirkte. Vielleicht lag es an seiner Schüchternheit, dass er kaum den Mund aufbekam. Doch als Kind hatte Ingrey wenig Mitgefühl empfunden für einen kleineren Vetter, der nicht mithalten konnte. Er hatte gar nicht erst versucht, ihn in seine Spiele mit einzubeziehen. Aber glücklicherweise, wie er im Nachhinein feststellen musste, hatte Ingrey ihn auch nicht gequält. »Sein Vater und der meine starben im Abstand von nur wenigen Monaten.«

Der bejahrte Graf von Rossfluten war allerdings schnell gestorben, und zwar auf annehmbare Weise an einem gewöhnlichen Schlaganfall. Nicht in der Blüte seiner Jahre, bellend und mit Schaum vorm Mund, während seine fiebrigen Schreie durch die Gänge der Burg hallten, als würden sie aus einem tiefen Abgrund der Qualen emporsteigen … Ingrey unterdrückte die Erinnerung.

Sie blinzelte in seine Richtung. »Was war Euer Vater für ein Mann?«

»Er war der Burgvogt von Birkenhain, unter der Herrschaft des alten Grafen Kasgut von Wolfengrund.« Und ich bin es nicht. Würde das ihrem wachen Verstand auffallen, oder würde sie einfach davon ausgehen, er wäre bloß ein jüngerer Sohn? »Birkenhain beherrscht das Tal des Birkbachs, wo er in die Lure fließt.« Was genau genommen ihre Frage nicht beantwortete. Wie waren sie nur auf dieses unheilvolle Thema gekommen? Ihm wurde klar, dass ihr Tonfall auf gleiche Weise neutral geklungen hatte wie seine Suggestivfrage nach Rossfluten.

»So viel habe ich schon von Ritter Ulkra erfahren.« Sie tat einen tiefen Atemzug und schaute zwischen den Ohren ihres Pferdes hindurch nach vorne. »Außerdem erzählte er von Gerüchten, nach denen Euer Vater am Biss eines tollwütigen Wolfes starb, dessen Seele er stehlen wollte. Und dass er auch Euch einen Wolfsgeist gegeben hat, der sich jedoch als verdorben erwies und Euch sehr krank machte. Und deswegen hätte man um Euer Leben und Euren Verstand gebangt, und Birkenhain fiel an Euren Onkel, nicht an Euch. Später jedoch wäret Ihr auf Wunsch Eurer Familie auf Pilgerfahrt gegangen und hättet dabei Linderung erfahren. Ich habe mich gefragt, ob das wahr sein mag und warum Euer Vater so etwas Fahrlässiges hätte tun sollen?«

Erst nachdem dieser ganze Tratsch aus ihr hervorgesprudelt war, wandte sie ihm wieder das Gesicht zu. Ihre Augen blickten bang und forschend zugleich.

Ingreys Pferd schnaubte und schüttelte den Kopf, als er derb am Zügel zerrte. Er lockerte den festen Griff und einen Moment später auch seine aufeinandergebissenen Zähne. Schließlich knurrte er: »Ulkra ist eine Klatschbase. Das ist eine üble Schwäche.«

»Er hat Angst vor Euch.«

»Nicht genug, wie es aussieht.« Ingrey zog sein Pferd herum und gab vor, den Zug zu inspizieren. Dann ritt er auf der gegenüberliegenden Seite wieder zur Spitze der Kolonne zurück. Allein. Sie blickte ihn an, als er vorbeiritt, und öffnete den Mund, doch er beachtete sie nicht.

Es war nicht so einfach, den Leichenzug über die schlammige Straße aus dem Tal hinauszubringen. Diese Aufgabe lenkte Ingrey weit genug ab, dass er wieder zur Ruhe kam. Oder zumindest gab es genug anderes, worüber er sich ärgern konnte, um seine ursprüngliche Wut zu ersetzen.

An einem steilen Abhang gerieten die Hufe des schnaufenden Gespanns ins Rutschen, und der Karren schlitterte seitwärts auf eine jäh abfallende Kante zu. Die Frau des Wagenlenkers kreischte eine Warnung. Ingrey sprang vom Pferd und brachte einige geistesgegenwärtige Wachen dazu, sich zusammen mit ihm gegen den Rand und die Rückseite des Wagens zu stemmen und ihn durch den Schlamm von dem Schwindel erregenden Felssturz fortzuschieben.

Das kostete Ingrey eine gezerrte Schulter und eine Menge Dreck auf den Gamaschen. Kurz war er versucht, einfach aufzugeben und den Wagen der Schlucht zu überlassen. Er stellte sich vor, wie der Karren hinabstürzte und auseinanderbrach, wie der Sarg auf die Felsblöcke prallte und aufsprang und Bolesos nackter Leib dann in einem Schwall von Salz seinem gerechten Schicksal entgegenfiel.

Aber der Wagen würde zwangsläufig die beiden treuen Zugtiere mit sich reißen, und sie verdienten es nicht, des Prinzen Los zu teilen. Außerdem stand Ingrey selbst zwischen Wagen und Abgrund und würde gleichfalls hinabgerissen und beim ersten Aufschlag zerquetscht werden. Dann würden seine guten Ledergamaschen als Taschen für seine zermalmten Überreste herhalten müssen … Dieser schauerliche Gedanke heiterte ihn ausreichend auf, sodass er hinterher zwar atemlos, aber in wiederhergestellter guter Laune aufs Pferd stieg.

Mittags machten sie auf einer großen Lichtung Halt, gleich neben der Straße an einem alten Brunnen, der um eine Quelle herum errichtet worden war. Seine Männer wickelten das Brot und den kalten Braten aus, den der Koch der Burg vorbereitet hatte. Ingrey selbst allerdings schätzte die verbleibende Entfernung ab und sorgte sich mehr um die Pferde.

Das Gespann war schlammverkrustet und verschwitzt, also schickte er dem Kutscher ein paar verdrießlich dreinblickende Männer aus Bolesos Gefolge zur Hilfe, um den Tieren das Geschirr abzunehmen und sie trockenzureiben, ehe sie gefüttert wurden. Die schlimmsten Steigungen hatten sie hinter sich, und Ingrey kam zu dem Schluss, dass die Pferde nach einer angemessenen Rast noch bis zum Einbruch der Nacht durchhalten würden. Und bis dahin wollte er die Stadt und den bedeutenden Tempel von Riedenswooge erreicht haben, wo sie ein angemesseneres Transportmittel beschlagnahmen und den Bauernkarren zurückschicken konnten.

Ein fürstlicheres Transportmittel, verbesserte sich Ingrey. Er war geneigt, den Ausdruck »angemessen« eher für das jetzige Gefährt zu reservieren — einen früheren Mistkarren.

In der Nähe von Ostheim würde er einen Boten vorausschicken und eine Ablösung für die Führung des Leichenzuges erbitten. Sollten sich doch diejenigen um prunkvollere und edlere Feierlichkeiten kümmern, denen der Prinz etwas bedeutet hatte. Oder zumindest dessen Rang und die Gelegenheit zur protzigen Selbstdarstellung, die sich anlässlich einer solchen Parade bot. Vielleicht sollte er den Reiter gleich heute Abend aussenden.

Er wusch sich die Hände im Ablauf des Brunnens und nahm von seinem Truppführer Gesca ein Stück Brot mit einer dicken Scheibe Wildbret entgegen. Kauend blickte er sich nach der Gefangenen und ihrer Zofe um.

Die Frau des Gespannführers war mit den Proviantkörben beim Wagen beschäftigt, und Lady Ijada spazierte über die Lichtung. In diesem Gewand brauchte sie bloß in den Wald zu huschen und wäre einen Augenblick später zwischen den mächtigen Baumstämmen verschwunden. Stattdessen betrachtete sie neugierig einen Stein der bröckeligen Brunnenfassung und suchte sich einen Weg dorthin, wo Ingrey auf einem gewaltigen, umgestürzten Baumstamm saß.

»Seht!«, sagte sie und streckte ihm den glitzernden, grauen Mauerstein entgegen.