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«Für dich immer. «Etwas berührt kalt und klein und feucht ihre Hand, wie eine Schneeflocke.

III (Bumm Bumm)

Du liegst auf der Straße. Und dabei hast du gedacht, die neunziger Jahre sind vorbei.

Und sie sind ja auch fast vorbei, kurz überlegst du, welches Jahr genau ist, du weißt es, du weißt es doch, bist das ganze Jahr über aufgestanden und schlafen gegangen, aufgestanden und schlafen gegangen und hast deine Geschäfte gemacht, und viel Schlaf war nicht …, aber es ist nicht richtig greifbar, du spürst deinen Kopf auf dem Pflaster, als wäre er leckgeschlagen beim Aufprall, regnet es? du liegst zwischen den Autos und siehst die Räder und Felgen, in einer Alu-Felge direkt vor dir bricht und spiegelt sich das Licht, Straßenlaternen, Scheinwerfer, Nacht, und du versuchst, dein Gesicht zu erkennen, neunzehnhundertneunundneunzig.

Nein, nichts ist vorbei. Die Zeit der Gewalt war lang, aber auch lange her, schon fast nicht mehr wahr, die Jahre der Ruhe, dein Kopf auf dem Pflaster, die Stadt ist still am Sonntag, und der Regen ist rot, das Auto ist rot, direkt neben dir. Du bist alleine gekommen, obwohl sie alle gesagt haben:»Geh nicht alleine!«, aber du musstest allein gehen, die Neunziger sind fast vorbei, wir wollen nur Geschäfte machen, du hast kurz geschlafen und bist aufgestanden, da war es schon fast Abend. Du hattest noch Zeit und hast Kaffee getrunken und eine Weile draußen im dunklen Garten gestanden, es wird wieder zeitig dunkel jetzt, du wolltest runter zum See laufen, aber das Telefon hat geklingelt. Nein, es hat nicht geklingelt, du hattest es leise gestellt und hast es blinken sehen durch die Scheibe der Veranda, das Display blinkte und blinkte im Aufladegerät wie ein kleiner Leuchtturm. Nein, du hörst es klingeln, du stellst es doch nie leise, das muss woanders gewesen sein, du hast das ganze Haus voller Telefone, und keins ist leise gestellt, das Handy in der Jackentasche summt. Du drehst dich auf die Seite, versuchst, in die Jackentasche zu greifen. Das fällt dir schwer, obwohl deine Arme in Ordnung sind. Dein Handy summt und summt, und du spürst deinen Herzschlag, und dann hört es auf, und du holst tief Luft und atmest aus, holst tief Luft, atmest die Angst aus, da kommt keiner mehr, nein, da kommt keiner mehr, er war allein gewesen, genau wie du, und du hast ihn weggehen sehen, er hat sich einfach umgedreht und ist gegangen. Hat er noch was gesagt? Was hat er vorher zu dir gesagt? Du kannst es nicht greifen.»Das ist von …«Nein, keine Namen, nie Namen, fang schon jetzt damit an, sie werden dich fragen, gut, dass sie dich noch fragen können, aber sie können dich fragen, bis ihre scheiß Zungen vertrocknen, du atmest die Angst aus und blickst auf deine Beine, die du nicht mehr spürst. Edo, du Drecksau, ich mach dich … Nein, hör auf, die Neunziger sind … Aber du weißt, dass du was tun musst, dass du das tun musst, jetzt wieder, wo du dachtest …, du hast zu viel gedacht, viel zu viel gedacht und zu wenig, bist allein gegangen. Geh nie allein, immer ein Mann dabei, immer ein Mann in der Nähe. Halt dir den Rücken frei, aber er ist nicht von hinten gekommen, kam direkt auf dich zu, wir wollen Geschäfte machen, mehr ist doch nicht, wir wollen nur Geschäfte machen. Edo, du Dreckschwein … Hat er den Namen genannt, hat er Grüße übermittelt? Du kannst es nicht greifen, du wirst es rausfinden, wirst noch mehr rausfinden, aber wie lange kannst du hier noch liegen? wenn der Regen nur aufhören würde, es ist schon kühl in den Nächten, aber es regnet doch gar nicht, oder?

Jetzt hast du das Handy aus der Tasche, die Hände zittern, dir zittern die Hände, das ist doch zum Lachen, hast du was genommen vorher, um dich ruhig zu halten oder um dich munter zu machen? nein, du nimmst nie was, fast nie was, wenn du verhandeln willst. Nur ein kleines Palaver, Sonntag in der stillen Stadt, und dann fällt dir das Handy runter, als du es auf Summen stellst, du bückst dich und hebst es auf, wischst es ab, und da kommt er auf dich zu, was für ein blöder Treffpunkt, du kannst die dunklen Türme des alten Stadions erkennen, ein paar hundert Meter entfernt, jetzt versperren die parkenden Autos die Sicht, der Akku springt raus, und jetzt spürst du den Schmerz im Knie und im anderen Bein weiter oben, nein, du hast nichts genommen, Adrenalin, dein Herz, wie es den Stoff durch deinen Körper pumpt, du wirst müde, aber du musst munter bleiben, darfst nicht einschlafen, und müde bist du, so müde, nicht schlafen, das weißt du, bis sie dich holen, wenn nur die Richtigen kommen und dich holen, aber nein, er war allein und ist weg, und du atmest die Angst aus und siehst die SIM-Karte deines Handys neben dem Akku auf dem Pflaster. Du siehst die kleinen goldenen Metallplättchen auf der Karte. Da blinkt noch was anderes, auch golden, auch auf dem Boden, ein paar Meter entfernt. Eine Münze, denkst du, sieht aus wie der Anhänger einer Kette, ein Talisman, der Schutzengel der Händler, der heilige Michael, und du greifst nach deiner Brust, bist so glücklich, dass du dir über die Brust streichen kannst, bist so glücklich, dass dir die Tränen in den Augen stehen, die Hände zittern dir, und du flennst, das ist doch zum …, wenn sie dich so sehen würden, und du greifst nach deiner Kette, früher war’s ein kleiner goldener Boxhandschuh, damals, als du noch gekämpft hast, Kickboxen, ist auch schon ein paar Jahre her, da warst du ein richtiges As, AK 47 haben sie dich genannt, wie das Maschinengewehr, Arnold Kraushaar, Arnie Schamhaar, das war in der Schule, aber denen hast du schon damals Saures gegeben und sie über den ganzen Schulhof gejagt, nie wieder Arnie Schamhaar, AK 47, im Boxen warst du auch ganz gut, schon damals in der Schule, hast sogar ein paar Amateurkämpfe gemacht, Kickboxen gab’s erst richtig nach der Wende, die Beine, die Füße, die Kicks, da warst du besser als nur mit den Fäusten, du hast jeden Tag trainiert, hast die besten Jungs im Ring mit deinen Kicks erledigt, du blickst auf deine Beine, deine hellen Hosen sind schwarz.

Wie lange liegst du hier schon? Es können nur Minuten sein, du weißt das. Die Zeit stimmt nicht mehr, wenn das Adrenalin im Körper ist.

Ein Taxi fährt vorbei, du willst dich bemerkbar machen, winkst, aber du liegst direkt neben den Autos, und er kann dich nicht sehen. Jetzt reiß dich zusammen! du versuchst hochzukommen, versuchst, dich mit beiden Armen an dem Auto hochzuziehen, versuchst, den Türgriff zu packen, pack zu, Junge, wo ist deine Kraft, verdammt nochmal, aber deine Arme sind schlaff und weich, Gummi, denkst du, nur mit Gummi, Mädels, wie oft muss ich euch das noch sagen, da können sie hinlegen, was sie wollen, was nützt euch das, wenn ihr euch die Syph und die verdammte Pest holt, habt ihr schonmal was von Aids gehört, Mensch, bist du blöd! scheißegal, ob es ein Stammkunde ist, kapierst du? Mensch, Mädel, ich denk doch an dich bei der ganzen Sache! Du weißt, du musst warten, tief atmen, immer tief atmen, wenn du doch nur deine Beine spüren könntest, musst warten, bis deine Kraft wieder da ist, du willst schreien … Hilfe! Holt doch jemand die Bullen, aber was nützen dir die Bullen, du brauchst einen Arzt, und zwar sofort. Wie blöd musst du sein, mitten in der Nacht, wie in einem billigen Gangsterfilm, du bist unvorsichtig geworden, die Jahre der Ruhe haben dich unvorsichtig gemacht, warum hast du nicht auf Alex gehört,»Ich komm mit«, hat er immer wieder gesagt am Telefon, ist erst eine Stunde her, draußen im Garten,»Nein«, hast du gesagt und hast auf den See geblickt hinter den Bäumen, dein bester Mann, du musst lächeln, du erinnerst dich, wie Alex letzte Woche im Ring wieder seine Show abgezogen hat,»Nimm die Deckung hoch, Alexander!«, wolltest du rufen, aber hast doch den Mund gehalten, weil du weißt, wie gerne er im Ring seine Show abzieht, hat zu viele Ali-Videos gesehen, oder wie hieß dieser Boxer noch gleich, den er so verehrt, ein schwarzer Amerikaner,»der König «nennen sie ihn, Jackson …, Jones, Jones Junior oder so ähnlich, der lässt die Arme baumeln, erzählt Alex, macht seine Gegner lächerlich, streckt sein Kinn raus, um es im letzten Augenblick zurückzuziehen, wenn der Schlag kommt, aber Alexander der Große ist kein König, höchstens ein Herzog oder sowas, denn er kassiert jede Menge, taumelt ohne Deckung vor seinem Gegner rum, und du bist dir nicht sicher, ob das noch zu Alexanders Show gehört oder ob er kurz vorm K.o. steht, aber dann in der dritten und letzten Runde hat er ihn umgehauen, wie meistens drehte er zum Schluss richtig auf,»der zweite Atem«, sagt er immer,»le deuxième souffle«, da gibt er immer an, der Spinner, weil er ein bisschen Französisch kann, und du lächelst immer noch und wünschst dir, er wäre hier, und dein Gesicht ist ganz steif, du musst schrecklich aussehen, aber niemand kann dich sehen, warum gibt es keine verdammten Fußgänger um diese Zeit, kein Mensch mehr unterwegs, was für eine miese Stadt, vielleicht der Regen, da sitzen sie lieber im Trocknen, Sonntagabend,»Tatort«-Zeit … Jetzt dreh nicht durch, es regnet nicht, es regnet doch gar nicht, hat die ganze Woche nicht geregnet, dabei war der Himmel heute dunkel gewesen, schon am Mittag zogen Wolken auf, verdammt, wo ist nur dein Riecher geblieben, dein sechster, siebter, achter Sinn, ohne den wärst du nicht dort, wo du heute bist …, auf der Straße, denkst du, im Dreck, und du lachst, und dir klappern die Zähne, Schüttelfrost, und du weißt, dass das kein gutes Zeichen ist.